Business Case

„Ein System ist nur so gut, wie das Know-how, das man einbringt“

Welche Umweltauswirkungen verursachen Produkte? Um diese Frage zu beantworten, müssen Unternehmen Ökobilanzen erstellen lassen. Für die Automobilbranche hat iPoint eine Software-Lösung entwickelt, die diesen Prozess automatisiert. Wie das funktioniert, erklärt Andreas Schiffleitner in einem Gespräch mit UmweltDialog. Er ist Product Manager Sustainability bei dem Softwareentwickler aus Reutlingen und Experte auf dem Gebiet der Ökobilanzierung.

21.11.2023

„Ein System ist nur so gut, wie das Know-how, das man einbringt“

UmweltDialog: Herr Schiffleitner, Ökobilanzen analysieren kontextbezogen die Umweltauswirkungen von Produkten und Services entlang des Lebenswegs. Das lässt sich zudem vergleichen. Klingt so, als ob Unternehmen heutzutage nicht mehr auf Ökobilanzen verzichten können?

Andreas Schiffleitner, Leiter Competence Center Sustainability von iPoint Austria.
Andreas Schiffleitner, Leiter Competence Center Sustainability von iPoint Austria.

Andreas Schiffleitner: Wir haben nur einen Planeten und verbrauchen mehr Ressourcen als der Planet nachhaltig hergibt. Dieses Problembewusstsein hat sich mittlerweile in der Gesellschaft durchgesetzt. Früher wurde man noch belächelt, wenn man von Maßnahmen im Bereich Eco Design gesprochen hat – ein gängiges Vorurteil lautete, dass ökologischere Produkte eine schlechtere Qualität aufweisen. Heute dagegen haben Unternehmen die Umweltauswirkungen ihrer Produkte im Blick und reduzieren diese. Das fordern zum einen der Gesetzgeber, aber auch Kunden innerhalb ihrer Lieferantenbeziehungen, und nicht zuletzt legen auch immer mehr Endverbraucher Wert darauf, nachhaltige Produkte zu kaufen.

Die Transparenz, die Unternehmen mithilfe der Ökobilanzen über die Umweltauswirkungen ihrer Produkte erlangen, hilft ihnen schlussendlich auch, das Fernziel der Klimaneutralität zu erreichen. Denn dieses haben viele Unternehmen bereits in ihrer Klimastrategie festgeschrieben.

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Wie hoch schätzen Sie das Einsparpotenzial ein, etwa beim CO2-Verbrauch, wenn Produkte von Beginn an nachhaltig geplant und hinsichtlich ihrer Umweltverträglichkeit optimiert werden?

Schiffleitner: Alles zu quantifizieren ist schwierig, weil Produkte sehr unterschiedlich sind. Dennoch kann man sagen, dass das Potenzial sehr groß ist. Über die Lebenszyklus-Phasen verteilt gibt es unterschiedliche Bereiche, die zum CO2-Ausstoß beitragen und je nach Produkt und Industrie die größten Auswirkungen haben. Manchmal entstehen die meisten Emissionen bei der Materialgewinnung. Ein anderes Mal bei den verschiedenen Verarbeitungsschritten über die Lieferkette hinweg. Bei energieintensiven Verarbeitungsprozessen, wie etwa in der Metallverarbeitung, erreicht man unter anderem ein großes Einsparpotenzial, wenn man die für die Produktion notwendige Energie komplett aus erneuerbaren Quellen bezieht.

Ein anderes schönes Beispiel ist die Automobilindustrie. In der Vergangenheit entstanden die meisten CO2-Emissionen während der Nutzungsdauer der Autos beim Fahren, nämlich durch die Verbrennung von fossilem Treibstoff. Durch das Aufkommen der Elektromobilität hat sich das verändert, sofern die Fahrzeuge mit Ökostrom fahren. Im besten Fall ist die Nutzungsphase dann CO2-neutral. Allerdings ist der Herstellungsaufwand höher. Dementsprechend ist es wichtig, die unterschiedlichen Phasen des Lebenszyklus durch Ökobilanzierung miteinander zu vergleichen, um mögliche Zielkonflikte zu minimieren.

Ökobilanzierungen dauern und sind teuer. iPoint hat nun eine Softwarelösung entwickelt, die diesen Prozess automatisiert. Wie funktioniert das?

Schiffleitner: Unsere Lösung macht sich die Daten zunutze, die bereits in Unternehmen vorliegen. Dank Digitalisierung können wir so einfach Informationen gewinnen, die wir für die Erstellung von Ökobilanzen benötigen. Das heißt, dass wir unsere Software an bereits bestehende Datenquellen anschließen und damit den Arbeitsaufwand reduzieren. Denn: Bei der Ökobilanzierung – auch Life Cycle Assessment oder kurz LCA genannt – liegt ein sehr hoher Aufwand in der Datensammlung.

Beim klassischen LCA-Ansatz hat man in der Vergangenheit typischerweise jeweils für ein Produkt ein Modell erstellt. Dieses wurde dann von einem Ökobilanzierungsexperten aufbereitet, der gleichzeitig auch die Daten gesammelt und das Ergebnis der Analyse geliefert hat. Dieser Prozess dauerte mehrere Monate. Durch unsere Software können wir Modelle so aufbereiten, dass sie ganze Produktkategorien abdecken; kombiniert mit Stücklisten, die wir aus den Inputdaten generieren. Mithilfe eines Machine-Learning-Ansatzes stellen wir dann die Verbindung zu LCA-Daten her. Die Vorbereitung durch den LCA-Experten, der das Know-how in das System einbringt, ermöglicht die automatisierte Berechnung einer Ökobilanz oder eines Product Carbon Footprints.

Die Lösung ist zunächst für die Automobilbranche gedacht. Warum ist dieser Industriezweig hier Vorreiter?

Schiffleitner: Wir kümmern uns um die Automobilindustrie aus unterschiedlichen Gründen. Zum einen hat dieser Industriezweig einen hohen Impact. PKWs sind in unserem Alltag einfach omnipräsent. Verbesserungen, etwa bei der Reduzierung direkter Emissionen, haben viel Potenzial. Zum anderen hat diese Branche einen enormen Vorteil hinsichtlich der verfügbaren Datenbasis, der tatsächlich einzigartig in der Wirtschaft ist. Dahinter steht das sogenannte International Material Data System (IMDS), das von der gesamten Lieferkette im Bereich Automotiv verwendet wird, um Dinge wie Materialien und Substanzen et cetera zu dokumentieren und zu übermitteln. Somit weiß man genau, was die Produkte enthalten, die man von einem Lieferanten bezieht und kann sich gut ausrechnen, welche Materialien im eigenen Produkt stecken.

Wenn man Ökobilanzierungen künftig nur noch automatisch erstellt, wozu benötigt man dann noch Ökobilanzierungsexperten?

Schiffleitner: Expertise ist immer notwendig. Denn: Ein System ist nur so gut, wie das Know-how, das man einbringt. Das ist auch die Basis für die automatisierte Berechnung.

Was bedeutet das?

Schiffleitner: Ein LCA-Experte muss das System entsprechend vorbereiten und Entscheidungen treffen. Welche Systemgrenzen möchte ich setzen? Welche Wirkungskategorien möchte ich betrachten? Welche Wirkungskategorien sind überhaupt für ein jeweiliges Produkt relevant? Der große Vorteil ist, dass man dieses Know-how skalieren kann. Will sagen, dass der Ökobilanzierer nicht manuell eine Ökobilanz für jedes Produkt einzeln anfertigt, sondern, dass er sein Wissen einmal für eine Vielzahl von Produkten bereitstellt. Dadurch können pro Jahr viel mehr Ökobilanzen berechnet werden als zuvor. Dieses Wissen wird den Unternehmen bereitgestellt und fließt dann in deren Prozesse. So bekommt ein Produktdesigner zum Beispiel direkt ein Feedback für seine Designentscheidung und kann die ökologischere Variante wählen. Oder der Einkauf kann eine nachhaltigere Auswahl bei seinen Lieferanten treffen und entscheidet sich nicht nur aufgrund des besseren Preises für einen bestimmten Zulieferer.

Vielen Dank für das Gespräch!

Quelle: UmweltDialog
 

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