Klimawandel

Die Welt braucht viel mehr Unternehmen wie ALDI SÜD

Die Wettbewerbszentrale beanstandete jüngst eine irreführende und intransparente Nutzung des Begriffs ‚Klimaneutralität‘ in der Werbung von vier Unternehmen, darunter ALDI SÜD, und verklagte diese auf Unterlassung. Dieser Vorgang wurde vielfach in den Medien kommentiert. Eine kritische Auseinandersetzung und Hinterfragung der Legitimität dieser Klagen blieb jedoch aus. In den Medien ist lediglich eine Wiedergabe der Argumentation der Wettbewerbszentrale zu finden.

02.07.2021

Die Welt braucht viel mehr Unternehmen wie ALDI SÜD

Von Prof. Dr. Estelle Herlyn

Klimaneutralität – ein etablierter Begriff

Der Begriff ‚Klimaneutralität‘ ist seit vielen Jahren etabliert. Er stammt aus der Welt der Klimapolitik und wurde erstmals im 1997 beschlossenen Kyoto-Protokoll verwendet. Es wurde dort vereinbart, dass CO2-Emissionen, die in einem Industrieland verursacht werden, andernorts ausgeglichen beziehungsweise kompensiert werden können. Die hierzu entwickelten Mechanismen waren der Clean Development Mechanism (CDM) und die Joint Implementation (JI).

Derartige Ansätze sind absolut sinnvoll und notwendig, da es für den CO2-Gehalt der Atmosphäre, der über das Ausmaß des Klimawandels entscheidet, unerheblich ist, wo auf der Welt CO2 emittiert und eingespart wird. Diese Tatsache macht den Klimawandel zu einem Phänomen, das nur global gelöst werden kann. Ganz oder gar nicht. Internationale Kooperation ist deshalb bei keinem anderen Thema so dringend notwendig wie bei diesem. Das Weltklima wird nicht in Deutschland gerettet werden können – egal wie sehr man sich auch national bemüht, wenn nicht zugleich überall auf der Welt entsprechende Maßnahmen ergriffen werden.

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Spricht man von Klimaneutralität, geht es wie zuvor angedeutet um eine bilanzielle Betrachtung (net zero): Verursachte CO2-Emissionen können ausgeglichen oder kompensiert werden, indem man Aktivitäten selber ergreift oder ermöglicht, bei denen zum Beispiel durch Aufforstung CO2 wieder aus der Atmosphäre herausgeholt wird (Negativemissionen) oder durch die Förderung erneuerbarer Energie CO2-Emissionen vermieden werden.

Auch aus der heutigen politischen Debatte ist der Begriff der Klimaneutralität nicht mehr wegzudenken. Nach dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat sich die Bundesregierung im neuen Klimaschutzgesetz dazu verpflichtet, in 2045 klimaneutral zu sein. Die Europäische Union strebt dies für 2050 an und die Weltgemeinschaft hat sich im Rahmen des Pariser Klimaschutzabkommens dazu verpflichtet, Klimaneutralität in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts zu erreichen. In allen diesen Fällen geht es um das Erreichen von bilanzieller Klimaneutralität, wissend dass es praktisch unmöglich ist, eine lebenswerte Zivilisation für Milliarden Menschen emissionsfrei zu verwirklichen.

Dass es die Wettbewerbszentrale als Irreführung ansieht, wenn der Begriff der Klimaneutralität benutzt wird, wenn dieser Zustand durch Nutzung des Instruments der CO2-Kompensation erreicht wird, ist also nicht nachvollziehbar. Es sei an dieser Stelle kurz darauf hingewiesen, dass die regulatorische Anerkennung von E-Autos als klimaneutral, die bisher von keiner Stelle offiziell beanstandet wurde, als sehr viel irreführender anzusehen ist. Betrachtet man den gesamten Produktlebenszyklus eines E-Autos, so ist dessen CO2-Fußabdruck nicht ‚null‘. Der heutige Strommix führt dazu, dass der tatsächliche CO2-Fußabdruck so manchen E-Autos nicht besser als der eines Autos mit Verbrennungsmotor ist. In der europäischen Flottenregulierung werden E-Autos dennoch sogar zweifach angerechnet, als zwei emissionsfreie Fahrzeuge. Hier sollte nicht nur die Wettbewerbszentrale dringend genauer hinschauen.

Internationale Klimaschutzprojekte erzielen vielfältige positiven Wirkungen

Schaut man genauer in das Hintergrundpapier der Wettbewerbszentrale, so geht es ihr nicht nur um die beschriebene Verwendung des Begriffs Klimaneutralität, sondern auch um die grundsätzliche Nutzung des Instruments der CO2-Kompensation und um die Aktivitäten, die Unternehmen in diesem Rahmen ergreifen. Dies wird deutlich an Formulierungen wie „Einigkeit besteht darüber, dass der Fokus auf der Vermeidung und Verringerung der Treibhausgasemissionen zur Erreichung eines CO2-Fußabdrucks von null liegen muss.“

Wer so argumentiert, lässt ein fehlendes Verständnis der globalen Herausforderung Klimawandel erkennen. Auch wird deutlich, dass der große Mehrwert freiwilliger zusätzlicher unternehmerischer Maßnahmen für internationalen Klimaschutz nicht erkannt wird, die in einer Zeit ergriffen werden, in der heimische Vermeidungs- und Reduktionsmaßnahmen mehr und mehr zum gesetzlichen ‚Muss‘ werden. Für das freiwillige zusätzliche Engagement gebührt den Unternehmen im Gegenteil ein großer Dank.

Die vielfältigen positiven Wirkungen der von der Wettbewerbszentrale kritisierten Aktivitäten lassen sich exemplarisch am Beispiel ALDI SÜD erläutern:

Im Rahmen seiner CO2-Kompensationaktivitäten fördert ALDI SÜD zertifizierte Projekte in Brasilien, Ghana, Indien und auf den Philippinen. Es geht darin um Waldschutz (Brasilien) und um die Förderung von erneuerbarer Energie und Energieeffizienz (Ghana, Indien, Philippinen). Alle Projekte haben eine positive Klimawirkung und befördern außerdem weitere UN-Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030, darunter das so drängende Thema Biodiversitätserhalt, aber auch Ernährungssicherheit und die Schaffung von Arbeitsplätzen. ALDI SÜD leistet auf diese Weise also einen positiven Beitrag zur Bewältigung vieler aktueller Herausforderungen im Bereich der Nachhaltigkeit.

Weiterhin kritisiert die Wettbewerbszentrale, dass CO2-Zertifikate aus Projekten in Entwicklungs- und Schwellenländern günstig sind („Auch kosten Zertifikate, die Klimaschutzprojekte in Deutschland oder Europa fördern, deutlich mehr als Zertifikate für dieselbe CO2-Kompensation in Dritte-Welt-Ländern.“). Geld ist immer knapp, durch die Corona-Pandemie noch mehr. Die globalen Nöte sind erschreckend. Man sollte sich in dieser Lage also besser darüber freuen, dass es möglich ist, anderswo eine sehr viel höhere positive CO2-Wirkung pro Euro zu erzielen als es heute in Deutschland möglich ist, weil die ‚Low Hanging Fruits‘ zu Hause schon lange geerntet sind.

Das Gelingen einer weltweiten nachhaltigen Entwicklung ist alles andere als gesichert. Zu groß sind die ungelösten Fragen im Bereich der Agenda 2030 und speziell im Bereich des Klimaschutzes. Zuletzt sprachen sich 126 Nobelpreisträger dafür aus, dass die „Decade of Action“, also die Zeit bis 2030, unbedingt genutzt werden muss, um das Ruder noch herumzureißen und die Welt vor den dramatischen Folgen nicht gelingenden Umwelt- und Klimaschutzes zu bewahren. In Zeiten, in denen höchste Eile geboten ist, kann es also nur richtig sein, alle Hebel gleichzeitig in Bewegung zu setzen und lokale und internationale Maßnahmen klug zu kombinieren, um auf diese Weise möglichst rasch klimaneutral zu werden.

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Eine weitere traurige Tatsache liegt darin, dass das angestrebte 2°C-Ziel mit den bisherigen politischen Zusagen nicht zu erreichen ist, vom 1,5°C-Ziel erst gar nicht zu reden. Zusätzliches freiwilliges nicht-staatliches Engagement von Unternehmen wie ALDI SÜD, gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern, ist daher ein unbedingt notwendiger Baustein eines erfolgreichen Klimaschutzes. Er trägt dazu bei, die sogdnannte Paris-Lücke zu schließen, die zwischen den gemachten staatlichen Zusagen und den angestrebten Zielen klafft.

Die Emissionslücke ist nicht die einzige Lücke, zu deren Schließung Unternehmen beitragen, die sich im Bereich internationaler Klimaschutzprojekte engagieren, die zugleich Entwicklung im Sinne der Agenda 2030 fördern, also einerseits menschliche Entwicklung und Menschenrechte, andererseits den Schutz der Umwelt und Biodiversität. Die Unternehmen tragen damit zu Entwicklungsfortschritten bei, was in einer Zeit, in der in Folge der Corona-Pandemie große Rückschritte in diesem Bereich erfolgten, dringend notwendig ist. Durch die Bereitstellung dringend benötigter finanzieller Mittel tragen sie außerdem dazu bei, dass die riesigen Finanzierungslücken geschlossen werden, die im Bereich internationaler Klimafinanzierung und im Kontext der Agenda 2030 bestehen. Mit Projekten im Bereich erneuerbarer Energien wird zudem gezielt der Technologietransfer gefördert.

Qualität der Projekte

Dass die geförderten Klimaschutzprojekte hohen Qualitätsstandards genügen müssen, ist selbstverständlich. In diesem Kontext spielt die Stiftung Allianz für Entwicklung und Klima eine wichtige Rolle, die im Jahr 2018 vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ins Leben gerufen wurde, um nicht-staatliches Engagement für internationalen Klimaschutz und Entwicklung im Sinne der Agenda 2030 zu befördern, zum Wohle der Menschen und der Umwelt. Sie hat einen Kriterien- und Standardkatalog entwickelt, dem die internationalen Projekte genügen müssen. Die Einhaltung der dort genannten Standards ist für Projektentwickler und Unternehmen die ‚Eintrittskarte‘, um Unterstützer der Allianz zu werden.

ALDI SÜD ist Unterstützer der Allianz für Entwicklung und Klima, wie inzwischen über 1.000 weitere Unternehmen, Sportvereine, Kommunen und Privatpersonen. Die von den Unterstützern der Allianz für Entwicklung und Klima geförderten Projekte leisten also nachweislich und unter Einhaltung der geforderten Standards Beiträge zum internationalen Klimaschutz und zur Entwicklungsförderung im Sinne der Agenda 2030. Viel effizienter können Mittel kaum eingesetzt werden.

Ohne internationalen Klimaschutz haben wir keine Chance

Da wir ohne freiwillige Beiträge von nicht-staatlichen Akteuren keine Chance haben werden, ein 2°C- oder gar 1,5°C-Ziel zu erreichen, braucht es zukünftig noch viel mehr Unternehmen, die begreifen, dass das Weltklima nicht alleine durch CO2-Reduktion und -vermeidung in Deutschland zu retten ist – ganz abgesehen davon, dass beides ohnehin über staatliche Zwänge bis 2045 umgesetzt werden wird. Ein kluger Weg besteht also darin, möglichst rasch klimaneutral zu werden – unter Nutzung des Instruments der internationalen CO2-Kompensation. Der in unserem Land leider weit verbreitete Klima-Nationalismus ist kontraproduktiv. Die Wettbewerbszentrale trägt zur Verfestigung dieser nationalistischen Perspektive bei. Während sie sich um die Vermeidung von Irreführung bemüht, trägt sie selbst zur Irreführung bei.

Über die Autorin

Estelle Herlyn ist Professorin und wissenschaftliche Leiterin des KompetenzCentrums für nachhaltige Entwicklung an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management in Düsseldorf. Dort beschäftigt sie sich in Lehre und Forschung unter anderem mit der Verantwortung von Unternehmen für eine nachhaltige Entwicklung. Zudem stellen Fragen zu nachholender Entwicklung und Klimaschutz in globaler Perspektive einen Schwerpunkt ihrer Arbeit dar. Parallel ist sie freiberuflich für das Forschungsinstitut für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung (FAW/n) tätig und verantwortet insbesondere Forschungsvorhaben, die in Kooperation mit Politik und Wirtschaft bearbeitet werden. In diesem Kontext rief sie gemeinsam mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Entwicklung (BMZ) die Mulitakteurspartnerschaft Allianz für Entwicklung und Klima ins Leben. Sie ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome und stellvertretende Kuratoriumsvorsitzende des Senatsinstituts für gemeinwohlorientierte Politik. Nach einem Studium der Wirtschaftsmathematik an der TU Dortmund arbeitete sie zunächst mehrere Jahre im SAP-Umfeld in verschiedenen internationalen Unternehmen (PwC, Ford, L'Oréal, HSBC), bevor sie an der RWTH Aachen eine Promotion zu Fragen einer balancierten Einkommensverteilung als entscheidendem Aspekt der sozialen Dimension der Nachhaltigkeit absolvierte.

Quelle: UD
 

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