Zertifikate & Siegel

„Jedes Kilogramm Kunststoffpellets, das in die Umwelt abgegeben wird, ist ein Kilogramm zu viel“

Null-Kunststoffpellet-Verlust in der Kunststofflieferkette: Das ist das Ziel des internationalen „Operation Clean Sweep (OCS)“-Programms. Ein Experte auf diesem Gebiet ist Dirk Vallbracht von DNV. Deutschlandweit ist er einer der ersten ausgebildeten und zugelassenen Zertifizierungsauditoren dieses Standards. Welche Anforderungen Unternehmen für eine Zertifizierung erfüllen müssen, erklärt er im Gespräch mit UmweltDialog.

04.09.2023

„Jedes Kilogramm Kunststoffpellets, das in die Umwelt abgegeben wird, ist ein Kilogramm zu viel“

DNV führt ab sofort Audits nach dem „Operation Clean Sweep (OCS)“-Programm durch. Auch bieten Sie Ihren Kundinnen und Kunden Webinare zu dem Thema an. Der OCS-Standard dürfte momentan nur Branchenkennern bekannt sein. Was ist das OCS-Programm und warum wurde es initiiert?

Dirk Vallbracht: OCS ist ein internationales Programm, das darauf abzielt, die Freisetzung von Kunststoffgranulaten, -flocken und -partikeln in die Umwelt während der Handhabung durch die verschiedenen Akteure in der Wertschöpfungskette für Kunststoffe zu verhindern. Mit der Unterzeichnung der Selbstverpflichtungserklärung wird der Name des Unternehmens auf der OCS-Website aufgeführt.

Zurzeit sind mehr als 2.700 Unternehmen in Europa registriert – davon 316 in Deutschland. Im Jahr 2020 haben sich EuPC, der Verband der europäischen Kunststoffverarbeiter, und Plastics Europe, der Verband der Kunststoffhersteller in Europa, verpflichtet, gemeinsam ein OCS-Europe-Zertifizierungssystem zu entwickeln. Dieses soll die Einhaltung der Anforderungen zur Minimierung von Granulatverlusten in der gesamten Kunststofflieferkette kontrollieren und dokumentieren.

Die Anforderungen dieses Systems wurden auf der Grundlage der sechs Säulen der Operation Clean Sweep entwickelt. Das Zertifizierungssystem wurde in Absprache mit Branchenexperten, Handelsverbänden, Nichtregierungsorganisationen, politischen Entscheidungsträgern und Zertifizierungsstellen entwickelt. Plastics Europe und EuPC möchten, dass sich möglichst alle ihre Mitglieder zertifizieren lassen.

So unterstützt DNV Kundinnen und Kunden bei der Umsetzung des OCS-Programms

Neben den Zertifizierungen bietet DNV für einen ersten Überblick kostenlose Webinare an, bei denen der OCS-Standard erklärt wird. Dabei erfahren die Teilnehmenden, wie die Hilfsmittel und Tools funktionieren, die das Programm anbietet. „Wie erklären generisch, wie die Anforderungen zu verstehen sind und wie man das Programm in bestehende Umweltmanagementsysteme integrieren kann. Wir klären darüber hinaus auf, wie die Kunden sich weiterführende Hilfe holen können“, so Vallbracht. Zur Vertiefung der Kompetenzen, die zur Implementierung des OCS Programmes notwendig sind, eignen sich die eintägigen DNV OCS-Grundlagentrainings.

„Erfüllt das Unternehmen dann die Anforderungen, kann es bei DNV die Zertifizierung beantragen und wir planen das Audit. Bestehen noch Unsicherheiten, können wir auch ein Vor-Audit durchführen, um den aktuellen Status zu bestimmen.“ Das anschließend ausgestellte OCS-Zertifikat hat eine Gültigkeit von drei Jahren mit jährlichen Überwachungsaudits in den ersten beiden Jahren, die remote durchgeführt werden. Vor Ablauf des Zertifikats im dritten Jahr erfolgt dann die Re-Zertifizierung.

Umweltrisiken durch Kunststoffverlust bei der Produktion ist kein neues Thema. Warum kommt der Standard erst jetzt?

Vallbracht: Die OCS-Initiative ist im Prinzip nicht neu und nicht auf Europa beschränkt. Vielmehr geht sie auf eine Initiative der amerikanischen Kunststoff- und Chemieindustrie aus dem Jahr 1991 zurück. Es gibt vergleichbare Programme auf jedem Kontinent. Die Besonderheit in Europa ist, dass nun ein Third-Party-Zertifizierungsprogramm initiiert wurde, welches das Thema weiter vorantreibt. So wird aus einem Lippenbekenntnis ein „Walk the talk“.

Sie haben eben schon die sechs Säulen des OCS-Programms erwähnt. Welche Kernanforderungen umfasst der Standard?

Vallbracht: Am Anfang steht ein Versprechen der Leitung des jeweiligen Betriebs beziehungsweise Standorts. Demzufolge hat das Unternehmen die Bedeutung der Vermeidung des Verlusts von Kunststoffpellets in die Umwelt erkannt und sich verpflichtet, das „Operation Clean Sweep“-Programm umzusetzen. Die Kernanforderungen lauten folgendermaßen:

Das Unternehmen wird ein Partner des OCS-Programms und darauf hinarbeiten, dass es zu „Null Pelletverlusten“ kommt und dass die hierfür notwendigen Änderungen vorgenommen werden, um:

  1. die Infrastruktur der Betriebsstätten zu verbessern, um Verschüttungen zu verhindern und zu beseitigen;
  2. interne Verfahren zur Erreichung des Ziels „Null Pelletverluste“ zu erstellen und umzusetzen;
  3. die Mitarbeiter zu schulen und die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung für die Vermeidung, Eindämmung, Reinigung und Entsorgung von Leckagen;
  4. die Leistung regelmäßig zu überprüfen;
  5. alle geltenden lokalen und nationalen Vorschriften zur Eindämmung von Pellets einzuhalten;
  6. Partner (Auftragnehmer, Transporteure und so weiter) zu ermutigen, die gleichen Ziele zu verfolgen.

Zu jeder dieser Säulen gibt es nun jeweils konkrete Anforderungen in Form von Fragen einer Checkliste. Diese bestehen aus Grundanforderungen für jede Art von Unternehmen und spezifischen Anforderungen für Hersteller von Kunstoffpellets, verarbeitende Unternehmen von Kunsstoffpellets und Logistikunternehmen wie Lageristen und Transporteure.

Dirk Vallbracht, Manager des Bereichs Trainings bei DNV Business Assurance in Deutschland
Dirk Vallbracht, Manager des Bereichs Trainings bei DNV Business Assurance in Deutschland

Zur Person

Dirk Vallbracht ist seit 27 Jahren bei DNV beschäftigt. Zuvor hat er einige Jahre in der Produktion und Forschung und Entwicklung in der chemischen und in der Nahrungsmittelindustrie gearbeitet. Er ist Auditor für Qualität-, Umwelt- und Energiemanagementsysteme nach ISO 9001, ISO 14001 und ISO 50001. Für das OCS-Programm ist er deutschlandweit einer der ersten ausgebildeten und zugelassenen Zertifizierungsauditoren. Zudem ist er Produktmanager für Energiemanagement und Energieeffizienz-Dienstleistungen.

Was sind dabei aktuell die größten Herausforderungen für die Unternehmen?

Vallbracht: Dies ist nicht generell zu beantworten, da jedes Unternehmen und jeder Standort eine individuelle Situation hat. Aber ein paar typische Problemfelder gibt es immer. Es kann zu Verschüttungen oder Verlusten kommen, wenn das Material abgefüllt, umgefüllt oder bewegt werden muss. Wenn dies dann auch noch im Freien passiert, die Materialien verwehen oder durch Fahrzeuge oder Menschen herausgetragen werden, steigt das Risiko von Kunststoffverlusten in die Umgebung. Das Wetter und insbesondere auch Ereignisse wie Starkregen sind hier ein nicht zu unterschätzender Faktor.

Natürlich gehört auch jede Art von Abrieb oder die Entstehung von Staub zu einem Risikofeld. Außerdem sind Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten und dazugehörige Reinigungsarbeiten immer mit einem besonderen Risiko für einen Verlust verbunden. OCS bietet für solche bekannten Risikobereiche entsprechende Hilfsmittel und Tools für die Risikobewertung und -beherrschung kostenfrei auf der Webseite an. Damit bekommen alle Unternehmen das notwendige Rüstzeug, um mit der Implementierung der Selbstverpflichtung zu beginnen.

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Klären Sie uns auf: Wie können Unternehmen den Materialverlust von Kunststoffgranulat generell verhindern?

Vallbracht: Es gibt eine mathematische Methodik, die vom OCS-Standardhalter empfohlen wird. Damit können Unternehmen systematisch einschätzen, wie man Materialverlust vermeiden kann. Sogenannte Barrieren verhindern, dass es zu einem Produktaustritt kommt. Dieser Ansatz kommt aus der Anlagensicherheit, bei der man die Wahrscheinlichkeit bestimmter Szenarien theoretisch durchspielt. Was passiert, wenn etwa eine Dichtung kaputt geht? Oder was passiert, wenn ein Auffangsieb verstopft und es zu einem Durchschlupf von Kleinteilen kommt? Die Kunst ist tatsächlich, die Barrieren richtig zu setzen, sodass der Materialverlust fast vollständig gen Null geht.

Was man aber nicht vergessen sollte: Verschmutzungen können tatsächlich nicht komplett vermieden werden, insbesondere dann, wenn die Produkte rieselfähig sind. Vergleichen Sie es mit einem Sack Vogelfutter, den Sie im Winter kaufen. Dieser kann beispielsweise beim Transport beschädigt werden, sodass etwas von dem Produkt austritt. Insofern geht es darum, diese Möglichkeiten zu minimieren. Sollte es zu einem Materialaustritt kommen, müssen die Kunststoffpartikel sofort beseitigt und nicht durch die Gegend getragen werden.

Wie viel Material kann Ihrer Meinung nach durch die Umsetzung eingespart werden? Wie viel Tonnen CO2 sind das?

Vallbracht: Fakt ist: Jedes Kilogramm Kunststoffpellets, das in die Umwelt abgegeben wird, ist ein Kilogramm zu viel. Eine negative Auswirkung auf die Umwelt, insbesondere auf Gewässer und Ozeane, ist unstrittig. Auch wenn die Vermeidung beziehungsweise Verminderung von CO2-Emissionen nicht das primäre Ziel des OCS-Programms ist, so verringert natürlich jedes Kilogramm Kunststoff, welches nicht „verschüttet“ und nach außen abgegeben wird, den CO2-Fußabdruck. Wie viel das genau ist, können wir als Zertifizierer nicht seriös angeben.

Das Gute am OCS-Zertifizierungsprogramm ist, dass Unternehmen Angaben zu den jährlichen Pelletverlusten machen müssen. Diese sind an den jeweiligen Branchenverband zu melden. Alleine durch die Erfassung und Kommunikation solcher Daten entsteht ein intensiver kontinuierlicher Verbesserungsprozess. Das heißt, aus dem abstrakten Versprechen werden konkrete Handlungen. Dies ist ein nicht zu unterschätzender, wichtiger Kernbestandteil von OCS. Im Weiteren wird es möglich sein, den Erfolg des OCS-Programms und die erzielten Reduzierungen auf Basis dieser Daten besser einschätzen und berichten zu können.

Vielen Dank für das Gespräch!

Quelle: UmweltDialog
 

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