Nachhaltigkeitsstrategien in Zeiten von Corona (Teil 2)
Wie tragfähig CSR-Strategien sind, zeigt sich in der Krise. Nachhaltigkeitserfahrene Unternehmen haben hier Vorteile: bezogen auf die Mitarbeitenden und ihr gesellschaftliches Engagement, aber auch wenn Geschäftsmodelle modifiziert und Lieferketten in den Blick genommen werden.
22.04.2020
Wie Unternehmen heute reagieren und was müssen sie für morgen daraus lernen? Der Autor facht diese Diskussion über acht Thesen an. Im ersten Teil ging er den Themenfelder gesellschaftliches Engagement sowie Anpassungen bei Geschäftsmodellen und am Markt nach. Die vier zentralen Thesen dazu lesen Sie hier.
3. Digitalisierung und Arbeiten im Remote-Modus
Die in immer mehr Staaten ausgesprochenen Kontaktbeschränkungen münden auch darin, dass Produktionsprozesse eingestellt werden und Mitarbeitende in Kurzarbeit gehen. Wo in Büros auf engem Raum zusammengearbeitet wurde, schicken Unternehmen die Mitarbeitenden möglichst in den Remote-Working-Modus und lassen von zu Hause arbeiten. Diese plötzliche Umstellung hat Unternehmen und Mitarbeitende vor einige Herausforderungen gestellt. Zunächst geht es ganz technisch um geeignete Hardware und Software oder den VPN-Zugang zum Firmennetzwerk.
Individueller und damit schwieriger zu beantworten sind Fragen rund um das Arbeiten auf dezentralen Digitalmodus. Wie sichere ich Qualität, koordiniere die Teamarbeit, gestalte Abstimmungsprozesse? Wie tausche ich mich mit Geschäftspartnern effektiv aus? Am zentralen Internetknoten in Frankfurt werden seit Beginn der Pandemie 50 % mehr Videokonferenzen gemeldet. Und auch hier engagieren sich Unternehmen: Microsoft bietet seine Teams-Software und SAP ausgewählte Software-Lösungen vorerst kostenlos an, um Zusammenarbeit und Lernen in Unternehmen zu erleichtern. Und da der Datenverkehr sprunghaft um etwa 10 % anstieg, haben Streaming-Dienste und Content-Plattformen reagiert. Netflix und Youtube reduzierten als erste die Bildqualität ihrer Angebote, um so den erhöhten Durchleitungsbedarf für Daten möglich zu machen.
Ein Erfolgsfaktor bei der eigenen digitalen Transformation ist es, die Mitarbeitenden aller Altersgruppen und Verantwortungsbereiche mitzunehmen. Digitale Inklusion ist damit nicht nur ein gesellschaftliches, sondern auch ein betriebsinternes Thema geworden. Unternehmen wie Telefónica sollten ihre langjährigen Erfahrungen in diesem CR-Bereich nutzen können.
These 5: Unternehmen, die sich bereits mit digitaler Inklusion unserer Gesellschaft befassen, fällt es leichter, die gesamte Breite ihrer Mitarbeitenden in den Remote Working Modus mitzunehmen.
Auch die Grenzen zwischen Arbeiten und Privatleben sind schwieriger einzuhalten. Da Schulen geschlossen sind, stehen nicht nur Lehrer, sondern auch Mütter und Väter vor der Herausforderung, ihr mobiles Arbeitsleben mit Grundversorgung, Kinderbetreuung und Bildungsbegleitung in Einklang zu bringen. Auf Seiten des Arbeitgebers sind Augenmaß, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit gefragt, hier die angemessenen Entscheidungen zu fällen und auch neue Wege zu gehen. Schon aus Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitenden, aber auch aus Eigeninteresse sollten sie dieses mit einem hohen Maß an Verantwortung gegenüber den Mitarbeitenden und der Gesellschaft - und übrigens auch gegenüber der Umwelt - tun.
These 6: Im Sinne ihrer Corporate Digital Responsibility werden Unternehmen aller Branchen ihre Verantwortung gegenüber Mitarbeitenden, Gesellschaft, Umwelt und für einen langfristigen Unternehmenserfolg in einem stärker digitalisierten Umfeld neu austarieren müssen.
Für Unternehmen, die ihre Lieferketten verantwortungsvoll gestalten, ist Transparenz unerlässlich. Nur so können sie nachvollziehen, welche Geschäftspartner in besonderem Maße von negativen Krisenauswirkungen betroffen sind.
4. Veränderungen in den Lieferketten
Um die Ausbreitung des Virus zu bekämpfen, wurden die Geschäftstätigkeit teils drastisch reduziert oder eingestellt. Auch Großunternehmen mussten Kurzarbeit anmelden, in Teilen sogar Entlassungen aussprechen. Die Veränderungen im gesellschaftlichen Leben führten zudem bei vielen Angeboten zu sinkender Nachfrage. Mit am stärksten betroffen ist die Tourismuswirtschaft. Aber auch Daimler und Volkswagen stellten ihre europäische Auto-Produktion weitgehend ein.
Dort, wo die Produktion unter Wahrung der Sicherheitsvorgaben noch möglich wäre, tauchen neue Schwierigkeiten auf: Vorprodukte sind auf dem internationalen Markt nicht mehr in ausreichendem Maße verfügbar. Da insbesondere viele chinesische Firmen über Wochen stillstanden, fehlt es zum Beispiel in der Elektronikbranche derzeit an Teilen und Komponenten.
Die Menschen, die in den Zulieferbetrieben in Schwellen- und Entwicklungsländern arbeiten, sind von der Krise besonders betroffen. Die Arbeitenden unterliegen oft keinem ausreichenden Arbeits- und Gesundheitsschutz. Und wenn die Arbeit aufgrund sinkender Nachfrage eingestellt wird, können Arbeitende und ihre Familien in existenzielle Not geraten – insbesondere dort, wo staatliche Fürsorge nicht gegeben ist. Für die textile Produktionskette im südlichen Asien entwickelt sich die Situation besonders dramatisch, seit viele große Modeketten ihre Aufträge gekündigt haben.
Der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte versucht, unzureichende Arbeits- und Lebensbedingungen in globalen Wertschöpfungsketten positiv zu verändern. Noch nähern sich viele Unternehmen diesem Aspekt nachhaltigen Wirtschaftens nur zögerlich an. Die Sachlage ist komplex und der Gestaltungsspielraum kurzfristig oft gering. Dennoch: Eine vorbildliche Verantwortungsübernahme gegenüber eigenen Mitarbeitenden sollte nicht dort aufhören, wo ein anderer Firmenname über einer Fabrik steht. Weil es um Menschen geht, aber auch um eigene Lieferketten perspektivisch zu sichern, müssen Unternehmen gerade in diesen Zeiten die globalen Auswirkungen ihres Handelns noch stärker berücksichtigen.
These 7: Durch die Corona-Pandemie wird sich der Blick auch auf die Auswirkungen in den Lieferketten von Unternehmen richten. Auch hier ist Haltung gefragt!
Fehlende Produktion oder Nachfrage bei uns führt zu einem teils signifikanten Verfall von Rohstoffpreisen. Beim Benzinpreis reagiert die OPEC als staatenübergreifendes Bündnis mit Verknappung. Aber was ist mit anderen Rohstoffen? In Lateinamerika hat der Verfall des Kakaopreises massive Auswirkungen auf die Lebensbedingungen von Kleinbauern und ihren Familien, die schon in Vor-Corona-Zeiten oft unterhalb eines existenzsichernden Lohns arbeiteten. Ähnliches droht in anderen Branchen und Schwellenländern, wenn wir – aus durchaus verständlichen Gründen - Produktionen wieder verstärkt nach Europa holen.
Bei der Verantwortung gegenüber seinen Lieferanten gehen derzeit nachhaltige Mode-Label wie Armedangels voran: Bereits beauftragte Bestellungen wurden trotz Shutdown nicht storniert. Und Unilever leistet seinen Lieferanten Vorauszahlungen, um deren finanzielle Liquidität zu wahren. Und selbst das Aussetzen von Mietforderungen bei uns in Deutschland kann gerade kleineren Händlern das Überleben sichern. Als große Filialisten wie Deichmann und H&M davon Gebrauch machten, entbrannte eine sehr emotionale Diskussion, insbesondere gegenüber dem DAX-Unternehmen Adidas. Gerade in Krisensituationen erwarten Menschen ein konsistentes Gesamtbild von Unternehmensverantwortung und das Abwägen unterschiedlicher Auswirkungen. Bei Adidas führten die negativen Reaktionen zu einem Umdenken, so dass schließlich ein öffentlicher Kotau erfolgte.
Für Unternehmen, die ihre Lieferketten verantwortungsvoll gestalten, ist Transparenz unerlässlich. Nur so können sie nachvollziehen, welche Geschäftspartner in besonderem Maße von negativen Krisenauswirkungen betroffen sind. Langfristige Verträge und ein partnerschaftliches Miteinander erleichtern die Transparenz. Da eine kritische Öffentlichkeit immer mehr Wert auf das Umgehen von Unternehmen mit ihren Zulieferern legt, wird Corona-begründetes Engagement in den Lieferketten immer mehr zu einem Nachweis für die Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit von Nachhaltigkeitsstrategien.
These 8: Langfristige Beziehungen zu Lieferanten und Geschäftspartnern ermöglichen effizientes Handeln in Krisenzeiten. Zugleich stabilisieren sie die Geschäftsbeziehung auch über Krisenzeiten hinaus.
Künftig werden Nachhaltigkeitsstrategien den Aspekt des Engagements in Krisen- und Katastrophenzeiten aufnehmen müssen.
Ausblick auf Nachhaltigkeits- und CSR-Strategien
Die Digitalisierung ist in Deutschland immer wieder großes Thema politischer und gesellschaftlicher Debatten. Kein Zweifel: Die COVID-19 Pandemie gibt der Digitalisierung einen ungeplanten, aber deutlichen Schub. Es ist für Unternehmen überlebenswichtig geworden, dass sie Digitalisierung selbst vorantreiben und sich gut aufstellen. Parallel zu dieser Transformation wird auch die Diskussion um Corporate Digital Responsibility an Fahrt aufnehmen. Unternehmen müssen auf Basis bestehender Nachhaltigkeitsstrategien neue Regeln ableiten, wie sie ihre digitale Verantwortung wahrnehmen.
Eine überraschende Erkenntnis zu den Nachhaltigkeitsstrategien ist, dass die verschiedenen Formen gesellschaftlichen Engagements zu Corona sich nicht strategisch, sondern sich aus der Haltung und Wertekultur ableiten. Künftig werden Nachhaltigkeitsstrategien den Aspekt des Engagements in Krisen- und Katastrophenzeiten aufnehmen müssen. Der Bezug zu Unternehmenswerten wird dabei stärker in den Mittelpunkt rücken. Denn insbesondere in Krisensituationen erwarten Menschen ein konsistentes Gesamtbild von Unternehmensverantwortung. Bei allen Entscheidungen sollten die Auswirkungen für andere direkt oder indirekt betroffene Gruppen sorgfältig abgewogen werden.
Auch der geografische Rahmen für nachhaltiges Handeln wird umfassender. Das betrifft den Blick auf sehr lokale Auswirkungen für einzelne Mitarbeitende oder Kunden, aber auch Effekte in den verschiedenen Stufen der globalen Wertschöpfungsketten, insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern.
Dass der Erfolg eines Systems von dessen Resilienz abhängt, ist eine Erkenntnis aus der Naturwissenschaft. Bei betriebswirtschaftlicher Sicht auf ein Unternehmen hängt viel davon ab, in welchem Maße es gelingt, die eigenen Mitarbeitenden in Anpassungen einzubinden. Sie sind die Träger von Innovation und gestalten Transformationsprozesse. Zugleich sind sie die größten Kritiker von Strategien – und ihre glaubwürdigsten Zeugen. Es liegt daher im Interesse des Unternehmens, sie zu Gestaltern und Akteuren der Nachhaltigkeitsstrategie zu machen.