CSR-Management

Nachhaltigkeitsstrategien in Zeiten von Corona (Teil 1)

Die Corona-Pandemie hat bei einzelnen Unternehmen ungeahnte Kreativität hervorgerufen – und dem Transformationsprozess zur Digitalisierung einen Schub gegeben. Viele Aktivitäten sind nicht aus Engagement-Strategien abgeleitet, sondern durch die Unternehmenskultur motiviert. Aber nachhaltigkeitserfahrene Unternehmen haben Vorteile, sagt Norbert Taubken. Wie tragfähig CSR-Strategien sind, zeige sich in der Krise.

20.04.2020

Nachhaltigkeitsstrategien in Zeiten von Corona (Teil 1)

Die weltweite Ausbreitung des Corona-Virus hat inzwischen massive Auswirkungen auf unser Leben genommen. Staaten verhängen Ausgangsbeschränkungen für ihre Bürgerinnen und Bürger, Grenzen werden geschlossen, Gesundheitssysteme überschreiten die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Auch Unternehmen wurden und werden gezwungen auf die veränderten Bedingungen zu reagieren und sich anzupassen. Das Umgehen mit der Krise ist dabei so vielfältig wie die Unternehmen selbst.

Aktuell ist es für Unternehmen wichtiger denn je, kurzfristig dynamisch zu reagieren und sich gleichzeitig langfristig gut aufzustellen und auf verschiedene Szenarien vorbereitet zu sein. Diese Sicht auf das Morgen und Übermorgen entspricht nicht nur dem Anspruch, den besonders nachhaltig agierende Unternehmen an sich stellen müssen, sondern ist ein Gebot der betriebswirtschaftlichen Logik.

Hinzu kommt die Kategorie der Verantwortung eines Unternehmens, der Corporate Responsibility (CR, oder auch Corporate Social Responsibility also CSR). Bei allen Entscheidungen sollten wirtschaftliche Interessen mit den Erwartungen verschiedener Anspruchsgruppen ausbalanciert werden, die Auswirkungen auf Gesellschaft und Umwelt berücksichtigt werden. Was also ist die Verantwortung gegenüber den Mitarbeitenden, gegenüber Anteilseignern oder Geschäftspartnern aber auch bei Kundinnen und Kunden? Aus Sicht der Nachhaltigkeitsfachszene wird perspektivisch besonders interessant sein zu sehen, ob die Unternehmen, die sich seit Langem und in einem besonderen Maße zu CR oder Nachhaltigkeit strategisch aufgestellt haben, mit der aktuellen Krisensituation besser umgehen können als ihre Mitbewerber. Aber welche Erfolgsfaktoren gibt es bei Nachhaltigkeitsstrategien, die die Resilienz eines Unternehmens auch in wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisenzeiten erhöhen?

Um herauszufinden, welche Rahmenbedingungen, Konzepte und Aktivitäten als Erfolgsfaktoren identifiziert werden können, sollten schon heute Forschungsetats bereitgestellt werden. Ähnlich wie bei den epidemiologischen Untersuchungen zur Verbreitung von COVID-19 haben wir jetzt eine Modellsituation, die hierzu Klarheit schaffen und vor dem Hintergrund der schmerzhaften Auswirkungen zumindest einen echten Mehrwert für künftiges Vorgehen bieten kann.

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Um eine erste Einordnung vorzunehmen, haben wir versucht, zunächst die Vielzahl an derzeit veröffentlichten Corona-bezogenen Aktivitäten von Unternehmen in vier Handlungsbereiche zu gruppieren: Gesellschaftliches Engagement, Anpassungen bei Geschäftsmodellen und am Markt, Digitalisierung und Arbeiten im Remote-Modus, Veränderungen in den Lieferketten. Zu jedem dieser Bereiche haben wir Nachhaltigkeitsherausforderungen identifiziert, die sich aktuell oder in der mittelfristigen Perspektive für Unternehmen ergeben werden. Zudem postulieren wir Thesen, was Unternehmen für ihre eigenen Nachhaltigkeitsstrategien daraus lernen und wie sie gegebenenfalls agieren sollten.

1. Gesellschaftliches Engagement

Die Corona-Pandemie zeigt, dass eine Vielzahl an Unternehmen sehr schnell reagieren und sich in dieser Krisensituation gesellschaftlich engagieren. Dabei nutzen sie sehr unterschiedliche Wege und Ansätze.

Die Spende von Geld oder Sachmitteln für gemeinnützige Einrichtungen ist eine unmittelbare Antwort vieler Unternehmen. Die Fülle an Beispielen – quer durch alle Branchen und Unternehmensgrößen - zeigt das Selbstverständnis, mit dem angepackt und Solidarität gezeigt wird. Jägermeister schenkt dem Krankenhaus Braunschweig 50.000 Liter Alkohol für Desinfektionsmittel. Der Bayer Konzern spendet Krankenhäusern in Italiens am stärksten betroffener Region, der Lombardei, eine Million Euro. Volkswagen stellt Bund und Ländern 400.000 Atemschutzmasken zur Verfügung. Motiviert durch die Unternehmenskultur verkündete der Vorstand der Beiersdorf AG eine 50 Millionen-Spende an gemeinnützige Organisationen. Diese sollen z.B. für Initiativen gegen Vereinsamung oder häusliche Gewalt zur Verfügung gestellt werden. Die interne Reaktion der Mitarbeitenden war überwältigend und einhellig positiv.

In diesem „vorstrategischen“ Raum kann die Wahrnehmung der Mitarbeitenden auf Unternehmensverantwortung die Rolle eines Multiplikators spielen.

Gesellschaftliches Engagement kann auch durch die Mitarbeitenden stattfinden, indem diese ihre Arbeitszeit und Knowhow einbringen. So stellt Lufthansa Mitarbeitende mit medizinischen Kenntnissen auf Wunsch frei, damit diese sich ehrenamtlich in Krankenhäusern engagieren können. Bei McDonald’s werden Mitarbeitende „verliehen“, um unsere alltägliche Versorgung sicherzustellen. Sie helfen in Aldi-Supermärkten mit, um den großen Kundenandrang zu bewältigen.

Wir alle sind in unserem Alltag stark eingeschränkt und müssen lernen, mit sozialer Distanzierung zu leben. Stärker aus dem Vertrieb heraus bieten Unternehmen ihre Produkte und Dienstleistungen entweder kostenlos oder zu Sonderkonditionen an. Die Telekommunikationsanbieter Vodafone, O2 und Deutsche Telekom spendieren ihren Kunden extra Datenvolumen, damit sie digital in Verbindung bleiben können. Content- und Streamingdienste wie TVnow, Gruner+Jahr und übrigens auch einige Porno-Anbieter haben ihre Premium-Angebote derzeit kostenlos gestellt. So wollen sie uns das Zuhausebleiben erleichtern. Und vielleicht auch längerfristig neue Kunden gewinnen.

Andere Unternehmen unterstützen gezielt medizinisches Personal. Bei Sixt Share erhalten medizinische Angestellte 100 € Startguthaben. Und beim Anruf-Sammeltaxi Berlkönig in Berlin ist die Beförderung in der Nacht für sie kostenfrei. Diverse Bäckereien, Imbisse und Restaurants verschenken ganz lokal ihr Essen an Pflegepersonal und Helfer.

Kurzum: In der Krise setzen Unternehmen nicht auf ihre strategischen Engagement-Programme. Sie handeln am akuten Bedarf orientiert, auf vielfältige Art, sehr pragmatisch und mit einer hohen Selbstverständlichkeit. Dieses Handeln leitet sich eher aus dem Wertekanon und der Unternehmenskultur ab. In diesem „vorstrategischen“ Raum kann die Wahrnehmung der Mitarbeitenden auf Unternehmensverantwortung die Rolle eines Multiplikators spielen.

These 1: Wenn die Unternehmenswerte von den Mitarbeitenden als Teil einer gelebten Kultur wahrgenommen werden, unterstützt dies die Identifikation mit dem Engagement und vervielfältigt auch die Glaubwürdigkeit und positive Wahrnehmung des Unternehmens.

Aus Nachhaltigkeitssicht ist es für Unternehmen sinnvoll, ihr Engagement als Corporate Citizen strategisch herzuleiten. Über Ansätze wir Shared Value oder Win-Win entstehen Programme, durch die sowohl die Gesellschaft als auch das Unternehmen profitieren sollen. Die aktive Einbindung von Mitarbeitenden über Corporate-Volunteering-Formate hat sich dabei zu einem Erfolgsfaktor entwickelt.

Krisenbezogene Hilfe entzieht sich aus nachvollziehbaren Gründen dieser eher betriebswirtschaftlichen Ansatz – und das ist auch gut so! Dennoch können Nachhaltigkeitsvorreiter auch bei Corona-Engagement entscheidende Vorteile haben.

These 2: Wenn Unternehmen über Corporate-Volunteering-Formate das bürgerschaftliche Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärken, binden sich diese leichter in Engagement-Aktivitäten zu Corona ein und können so Hebelwirkungen erzielen.

Auch die gezielte Verknappung kann ein Gebot der Stunde und Zeichen von Unternehmensverantwortung sein.

2. Anpassungen bei Geschäftsmodellen und am Markt

Viele Unternehmen reagieren derzeit auf die Corona-Pandemie, indem sie ihre Geschäftstätigkeit an die aktuellen Möglichkeiten anpassen. Vertriebswege ändern sich, das Produktspektrum folgt der aktuellen Nachfrage. Für begehrte Produkte wie Desinfektionsspray oder Toilettenpapier reglementieren Händler den Verkauf, um Hamsterkäufe oder Wucherpreisen entgegenzuwirken.

So bieten Spielwarengeschäfte, Buchläden oder Restaurants teils erstmals einen Abholservice an. Anbieter von Fitness- und Yoga-Kursen entwickeln online-Trainings für Zuhause. Museen laden zu virtuellen Rundgängen ein, und die Berliner Clubszene bietet über www.unitedwestream.de täglich DJ-Sets und Live-Auftritte. Durch Spenden und den Verkauf von Kleidung und Getränken wollen die Initiatoren das Überleben der Kulturszene selbst in die Hand nehmen. Gutscheinmodelle wie bei der privaten Initiative Helfen.Berlin sollen dazu beitragen, gerade kleineren Geschäften und Dienstleistern das Überleben zu sichern.

Andere Unternehmen reagieren noch drastischer und erweitern ihre Produktpalette mit Blick auf die Corona-bedingte Mangelsituation. So nähen Textilhersteller wie Trigema, Entega oder H&M mittlerweile Atemschutzmasken oder Schutzkleidung. Beiersdorf, BASF, aber auch die Bremer Beck’s Brauerei stellen nun Desinfektionsmittel her. Und der hessische Messebauer Fair Care! hat sein Geschäft auf Plexiglas-Schutzwände für Apotheken umgestellt.

Auch die gezielte Verknappung kann ein Gebot der Stunde und Zeichen von Unternehmensverantwortung sein. Aufgrund der immensen Nachfrage nach Desinfektionsmittel oder Toilettenpapier, verkaufen immer mehr Einzelhändler diese Produkte nur noch in bestimmten Kontingenten. Und Online-Händler wieeBay unterbinden das Geschäft mit typischen Mangelartikeln durch Privatpersonen.

Das Medienhaus Axel Springer entwickelte für Anzeigenkunden von Welt und BILD die Aktion #wirfüreuch und bietet derzeit zusätzliche Reichweiten für Motive mit Corona-Bezug wie das Dankeschön an pflegende und medizinische Berufe, die eigenen Mitarbeitenden oder den Einzelhandel. Durch begleitende Marktforschung liefern sie Erkenntnisse und Argumente, wie sich in diesen Krisenzeiten Marketing verändern muss – und sichern so auch ihr eigenes Geschäftsmodell ab.

Nicht jedes Unternehmen hat die Möglichkeit, aus eigener Kraft eine intensive Krisenzeit zu überstehen. Dort, wo dies möglich ist, variiert der Anpassungsbedarf offensichtlich sehr deutlich je nach Branche und Geschäftsmodell. Generell ist die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Anpassung bei Produkten, Geschäftsmodell oder Vertriebswegen sicher auch vom Innovationsvermögen des Unternehmens abhängig. Weitere interne Erfolgsfaktoren sind der Reifegrad an Digitalisierung sowie das Selbstverständnis der Mitarbeitenden, Teil einer Lösungsfindung zu sein.

These 3: Eigenverantwortung und unternehmerisches Denken als Teil der Unternehmenskultur stärken das Innovationspotential für notwendige Anpassungen.

Aus der Nachhaltigkeitsperspektive kommt ein weiterer Aspekt hinzu: Unternehmen, die enge Beziehungen in verschiedene gesellschaftliche Bereiche und Gruppen haben, sollten genauer antizipieren können, wo sich ein Bedarf abzeichnet. Sie können schneller und passgenauer reagieren und ihre Produkte und Dienstleistungen, Geschäftsmodelle und Vertriebswege entsprechend umstellen.

These 4: Ein etabliertes Stakeholder-Management fungiert als Sensor für Anpassungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten. Das hilft besonders dann, wenn schnelle Reaktionszeiten notwendig sind.

Der 2. und abschließende Teil erscheint am 20. April 2020.

Quelle: UD
 

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