Klimawandel

Energie aus der Luft: Der CO2-Umwandler

Pflanzen und Mikroorganismen machen vor, wie sich CO2 in Energie umwandeln lässt. Das ermöglicht die Entwicklung eines Kraftstoffs, der den Energiebedarf der Zukunft decken kann.

09.03.2023

Energie aus der Luft: Der CO2-Umwandler

Unser Energiehunger

In den letzten zwei Jahrhunderten ist unser Energiebedarf drastisch gewachsen und der Anstieg geht ungebremst weiter. Die rasante Industrialisierung, die Urbanisierung, die technologische Entwicklung und die wachsende Weltbevölkerung sind nur einige der Ursachen für den scheinbar unstillbaren Energiehunger.

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Unseren immer größer werdenden Energiebedarf sauber und nachhaltig zu decken, ist weltweit ein Anliegen von höchster Priorität. Obwohl der Ausbau von Infrastrukturen für die erneuerbare und kohlenstoffarme Energieerzeugung deutliche Fortschritte macht, sind wir zur Deckung unseres Energiebedarfs nach wie vor stark auf die Verbrennung der drei fossilen Brennstoffe Öl, Kohle und Erdgas angewiesen.

Die daraus resultierenden Kohlenstoffemissionen machen den größten Teil der Treibhausgase aus, die mit zunehmender Konzentration in der Atmosphäre einen isolierenden Effekt haben. Dieser ist die Ursache für die globale Erwärmung und den Klimawandel, der laut der Weltgesundheitsorganisation die größte Bedrohung für die Menschheit darstellt.

Erneuerbare Energien können nicht mithalten

Die Infrastruktur für erneuerbare Energien wird schneller ausgebaut als je zuvor. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur stammten 2020 29 Prozent der weltweit erzeugten Elektrizität aus erneuerbaren Energiequellen wie Wind und Sonne. Das sind zwei Prozent mehr als im Vorjahr. Andere Statistiken sind jedoch weniger ermutigend. Erneuerbare Energien decken nur etwa elf Prozent des gesamten Bedarfs, während fast 85 Prozent durch fossile Energieträger gedeckt werden. Hinzu kommt, dass die Nachfrage schneller wächst als das Angebot aus erneuerbaren Quellen, sodass die Schere immer weiter auseinandergeht.

Das ist ein besorgniserregender Trend. Fossile Energieträger sind weltweit mit Abstand der größte Verursacher von Treibhausgasemissionen, insbesondere in Form von Kohlendioxid (CO2). Nach einem seltenen Einbruch der Energienachfrage infolge der Covid-19-Pandemie sind die weltweit in Zusammenhang mit der Energieerzeugung verursachten CO2-Emissionen 2021 wieder deutlich gestiegen und haben mit 36,3 Milliarden Tonnen ein neues Allzeithoch erreicht.

Die Entwicklung einer nachhaltigen Energieinfrastruktur und die Verringerung unserer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen sind unverzichtbar. Langfristig ergibt sich hieraus eine passive Verringerung der Kohlenstoffemissionen. Wir können die CO2-Konzentration in der Atmosphäre jedoch auch aktiv senken.

Das ist der Gegenstand eines Bereichs, der von immer größerer Bedeutung wird: die Abscheidung, Nutzung und Speicherung von Kohlenstoff. Von der Schwerindustrie, von Start-ups und der Wissenschaft entwickelte Verfahren zur Abscheidung und Umwandlung von CO2 werden bereits vielfältig eingesetzt. Sie verwandeln CO2 in die unterschiedlichsten Endprodukte, von Chemikalien und einfachen Kraftstoffen wie Methanol bis hin zu Kunststoffen und anderen Polymeren sowie Beton und ähnlichen Baumaterialien. Auch Diamanten und sogar Wodka gehören dazu.

Den bei weitem wichtigsten Beitrag zur Abscheidung, Nutzung und Speicherung von Kohlenstoff leistet jedoch weder ein Unternehmen noch eine Technologie, sondern die Natur.

Treibstoff fürs Gehirn

Seit 2019 vergibt Merck den Future Insight Prize für ambitionierte visionäre Produkte aus den Bereichen Gesundheit, Ernährung und Energie. Der mit bis zu einer Million Euro dotierte Preis soll bahnbrechende wissenschaftliche Erkenntnisse und die Erforschung neuer Technologien fördern, die zur Verwirklichung dieser visionären Produkte beitragen.

2022 ging der Future Insight Preis an Prof. Dr. Tobias J. Erb, den Leiter der Forschungsgruppe für Biochemie und synthetischen Stoffwechsel am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg. Seine Forschungsarbeit leistet einen Beitrag zur Entwicklung eines visionären Produkts: eines CO2-Umwandlers, der der Atmosphäre CO2 entzieht und daraus einen Kraftstoff mit hoher Energiedichte erzeugt.

Dieses visionäre Produkt gibt es bereits – fast jedenfalls. CO2-Umwandler gibt es überall, in Blumentöpfen oder im Freien.

Beispielsweise „atmen“ Bäume CO2 ein, wandeln es durch Photosynthese in verwertbare Kohlenhydrate um und „atmen“ Sauerstoff (O2) aus. Wenn Sie einen Baum fällen, um Brennholz zu gewinnen, nutzen Sie Energie, die durch die natürliche Umwandlung von CO2 entsteht, als Kraftstoff.

Wenn Sie zusätzlich einen Baum pflanzen, der anstelle des gefällten Baumes wächst, ist der Gesamtprozess unter Umständen kohlenstoffneutral, da der wachsende Baum das durch das Feuer freigesetzte CO2 als Nahrung aufnimmt. Das Gleiche gilt für photosynthetische Mikroorganismen, die sich ebenfalls von CO2 ernähren. Nutzt man sie als Biokraftstoff, nehmen die nachwachsenden Mikroorganismen das freigesetzte CO2 als Nahrung auf.

Aufforstung und Mikroorganismenzucht eignen sich nicht als alleinige Lösung für die Reduzierung der Kohlenstoffemissionen und die Deckung des weltweiten Energiebedarfs. Jedoch konzentriert sich Dr. Erb im Rahmen seiner Arbeit auf die Biologie und Chemie natürlicher CO2-Abscheidungssysteme. Das letztendliche Ziel besteht dabei darin, sich diese als Vorbild für die Entwicklung neuer CO2-verarbeitender Enzyme und Systeme zu nehmen, die ihren natürlichen Gegenstücken überlegen sind.

Loorbeerwald

Die Natur als Vorbild

Man geht davon aus, dass mehr als 90 Prozent des CO2 durch den Calvin-Zyklus der Photosynthese und sein Schlüsselenzym RuBisCO gebunden beziehungsweise fixiert werden. Hierbei handelt es sich zwar um den verbreitetsten Stoffwechselweg zur Kohlenstoffbindung bei Pflanzen und Mikroorganismen, jedoch ist es nur einer von vielen, die in der Natur vorkommen. Dr. Erb und sein Team haben mehrere bislang unbekannte Stoffwechselwege und Enzyme zur Kohlenstoffdioxid-Fixierung in Mikroorganismen entdeckt, darunter eine neue Klasse von Enoyl-CoA-Carboxylasen/Reduktasen (ECRs). Diese sind bis zu zwanzigmal produktiver als RuBisCO. Kein bislang bekanntes Enzym wandelt CO2 schneller um.

Die detaillierte Analyse der Struktur und der Funktion dieser ECRs hat die Entwicklung einer ganzen Reihe von leistungsstarken und vielseitigen gentechnisch erzeugten Gegenstücken ermöglicht. Natürliche Stoffwechselwege zur Kohlenstoffdioxid-Fixierung sind jedoch komplex und umfassen zahlreiche Variablen. Die Assimilation von CO2 und die anschließende Umwandlung in verwertbare Kohlenhydrate ist nicht das Werk eines einzigen Enzyms, sondern ein sorgfältig choreographierter Tanz vieler.

Nach der Optimierung einzelner Enzyme besteht der nächste Schritt in der metabolischen Retrosynthese. Dieser Wissenschaftszweig widmet sich der Entwicklung völlig neuer synthetischer CO2-Stoffwechselwege, die unter Verwendung aus der Natur bekannter Enzyme von Grund auf neu aufgebaut werden. Lücken werden hierbei mit neu entwickelten Proteinen gefüllt.

Dank der Entdeckung der ECRs konnte das Labor von Dr. Erb beispielsweise erfolgreich den „CETCH-Zyklus“ entwickeln. Dieser Stoffwechselweg umfasst 17 Enzyme, von denen 14 aus neun verschiedenen Organismen stammen und drei Proteine künstlich geschaffen wurden. Die CO2-Fixierungsrate des CETCH-Zyklus ist 20-mal höher als bei der natürlichen Photosynthese. Der Energieverbrauch ist um 20 Prozent geringer.

Der „TaCo-Stoffwechselweg“ ist ein weiteres synthetisches System, das drei gentechnisch hergestellte Enzyme umfasst, darunter ein völlig neuartiges Enzym zur Kohlenstoffdioxid-Fixierung. Dieses beseitigt die Nachteile der Photorespiration, eines unerwünschten Schritts der natürlichen Photosynthese, bei dem etwa 25 Prozent des gebundenen Kohlenstoffs wieder als CO2 freigesetzt werden. Der TaCo-Stoffwechselweg beseitigt dieses Leck nicht einfach, sondern reduziert zudem den Energiebedarf der Photorespiration und erhöht die Kohlenstoffeffizienz um bis zu 150 Prozent, sodass der Prozess Kohlenstoffdioxid-fixierend wird.

Lesen Sie hier weiter.

Quelle: Merck "Zukunft im Blick"
 

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