Energiewende

Atomkraft: nein danke?

Während andere Länder in der EU zunehmend auf Atomkraft setzen, um die Klimaziele zu erreichen, steigt Deutschland bis Ende 2022 aus der Kernenergie aus. Die Bundesregierung folgt damit auch den Empfehlungen von Fachleuten, denn viele halten Atomenergie für den falschen Weg aus der Klimakrise. Was sind die Argumente der Atomkraft-Gegner?

01.03.2022

Atomkraft: nein danke?

Frankreich, Finnland, Polen und Ungarn: Sie alle setzen vermehrt auf Atomenergie und bauen zum Teil neue Kernkraftwerke, wie wir im UmweltDialog-Beitrag „Atomkraft: ja bitte?“ festgestellt haben. So wollen sie (unter anderem) ihre Energieversorgung sichern und die EU-Klimaziele erreichen. Zudem hat die Europäische Kommission Atomkraft (genauso wie Gas) im Rahmen der EU-Taxonomie als nachhaltig deklariert. Auch in Deutschland gibt es einige Stimmen pro Atom. Ist Atomenergie also tatsächlich ein Weg aus der Klimakrise, wie mancher meint? Viele Fachleute sehen das anders.

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Atomstrom ist nicht CO2-neutral

So ist Atomenergie je nach Betrachtungsweise keinesfalls CO2-neutral, denn die meisten Treibhausgasemissionen entstehen nicht während, sondern vor und nach der Stromproduktion, informiert das Umweltbundesamt: „Betrachtet man den gesamten Lebensweg – von Uranabbau, Brennelementherstellung, Kraftwerksbau und -rückbau bis zur Endlagerung – so ist in den einzelnen Stufen des Zyklus zum Teil ein hoher Energieaufwand nötig, wobei Treibhausgase emittiert werden.“ Die Bandbreite der anfallenden Emissionen sei sehr hoch, da unter anderem die Emissionen, die bei der Endlagerung entstehen werden, nur schwer absehbar seien. Die beim Abbau von Uran ausgestoßenen Emissionen ließen sich ebenfalls nicht eindeutig bestimmen.

Der IPCC geht zum Beispiel von 3,7 bis 110 Gramm CO2-Äquivalenten (CO2e) pro Kilowattstunde (kWh) und einem Mittelwert von zwölf Gramm CO2e pro kWh bezogen auf den Gesamtlebenszyklus eines Kernkraftwerkes aus. Andere Berechnungen kommen auf Werte wie 117 Gramm CO2e pro kWh oder 68–180 Gramm CO2e pro kWh, zeigt eine Übersicht der Deutschen Welle (DW). Damit ist Atomkraft – je nach Berechnungsgrundlage – zwar wesentlich CO2-ärmer als Energie aus fossilen Rohstoffen: Laut der Grafik der DW entstehen durch Braunkohle über 1.000 Gramm CO2e pro kWh und bei Erdgas sind es etwa 117 Gramm CO2e pro kWh. Trotzdem ist Atomenergie immer noch CO2-intensiver als erneuerbare Energien. Hier liegt der Ausstoß je nach Energiequelle nur bei vier bis neun Gramm CO2e pro kWh, wenn man den gesamten Lebenszyklus mit einbezieht.

Scientists for Future: Atomenergie ist zu gefährlich und zu teuer

Darüber hinaus ist Atomenergie mit einigen Risiken behaftet. „In Kernkraftwerken sind jederzeit katastrophale Unfälle mit großen Freisetzungen radioaktiver Schadstoffe möglich“, erklären die Scientists for Future (S4F) in ihrem Diskussionsbeitrag „Kernkraft und Klima“. Das zeigten nicht nur die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima, sondern auch viele kleinere Unfälle, die sich seit 1945 ereignet haben. Von den kleineren SMR-Reaktoren (Mini-Atomreaktoren), wie Frankreich sie plant, erwarten sich die Autorinnen und Autoren des Beitrags keine „wesentlich größere Zuverlässigkeit“. Zudem bestehe bei Atomenergie die Gefahr des Missbrauchs zum Beispiel für terroristische Zwecke. Auch rund um Atommüll sehen die Forschenden Schwierigkeiten: Die Wiederbenutzung gebrauchter Brennstäbe sei ein komplexes chemisches Verfahren, störanfällig und es entstünden radioaktive Abfälle. Außerdem seien die langfristigen Risiken der Endlagerung heute kaum abschätzbar und „weisen zukünftigen Generationen erhebliche Lasten zu.“

Ein weiteres Argument, das gegen Atomkraft spricht, sind die Kosten. „Ökonomisch sind Atomkraftwerke schlichtweg unrentabel“, schreibt Professorin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Mitautorin des Diskussionspapiers von S4F. Studien würden belegen, dass Investitionen in ein neues Kraftwerk mit 1.000 Megawatt elektrischer Leistung zu Verlusten von rund fünf Milliarden Euro führen würden. Privatwirtschaftlich lohne sich Atomenergie nicht, sie sei immer auf große staatliche Investitionen angewiesen, die Kosten für Endlagerung und Rückbau nicht mit eingerechnet. Zur Einordnung: Allein der Rückbau des Kraftwerkes in Lubmin bei Greifswald kostet Einschätzungen zufolge etwa 6,4 Milliarden Euro. Zudem sind Atomreaktoren aufgrund der Risiken nicht versicherbar, meint Kemfert. Tatsächlich zeigen Berechnungen von 2011, dass eine Haftpflichtversicherung für ein Atomkraftwerk rund 72 Milliarden Euro jährlich kosten müsste, damit Versicherer genug Reserven für mögliche Prämien in einer Laufzeit von 50 Jahren aufbauen könnten. Die Kosten für einen eventuellen Super-GAU fallen also auf die Allgemeinheit zurück, so Kemfert. Und dieser verursache Schäden von bis zu 430 Milliarden Euro. Investitionen in Erneuerbare Energien seien billiger „und schaffen Wertschöpfung, Innovationen und Arbeitsplätze“.

Kernkraft gefährdet Transformation zu einem klimaneutralen Energiesystem

Atomenergie ist außerdem zu langsam verfügbar, um die Klimaziele zu erreichen, argumentieren die Scientists for Future in ihrem Diskussionspapier weiter. Geplante Bauzeiten für Kernkraftwerke würden unterschätzt, ein massiver Ausbau scheitere zudem an der industriellen Durchführbarkeit. Auch kleinere SMR-Reaktoren seien auf absehbare Zeit nicht verfügbar. Die Forschenden schätzen, dass in den nächsten 20 bis 30 Jahren nicht mit einem kommerziellen Einsatz solcher Anlagen zu rechnen ist. „Wenn, wie in Deutschland, ein Zielkorridor bis zur Klimaneutralität 2035 – 2045 vorausgesetzt wird, können der Neubau oder gar die Entwicklung neuer Reaktorlinien wegen der langen Entwicklungs- bzw. Bauzeiten von Kernkraftwerken keine Rolle spielen“, lautet eine Schlussfolgerung der S4F.

Zudem befürchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass Atomkraft den Aufbau eines klimaneutralen Energiesystems, das gesellschaftlich gestützt und zukunftsfähig ist, gefährdet. Investitionen in die Kernkraft würden eine Investitionsblockade für den Ausbau der erneuerbaren Energien darstellen. Zugleich führe eine Förderung der Kernenergieforschung und -entwicklung zu weniger Innovationen für erneuerbare Energien und andere Klimaschutztechnologien. Letztlich ist Kernenergie nicht dazu in der Lage „in der verbleibenden Zeit einen sinnvollen Beitrag zum Umbau zu einer klimaverträglichen Energieversorgung zu leisten. Kernkraft ist zu gefährlich, zu teuer und zu langsam verfügbar; darüber hinaus ist Kernkraft zu transformationsresistent“, so das Fazit der Forschenden.

Saubere Energie_Strom_CO2_Dekarbonisierung

Deutschland: kein Ausstieg aus dem Ausstieg. Oder?

In Deutschland bleibt es zumindest nach jetzigem Stand noch beim Atomausstieg. Ende 2022 gehen die letzten Reaktoren vom Netz. Die deutsche Bundesregierung lehnte Atomenergie bis vor Kurzem noch ab: „Wir haben wiederholt deutlich gemacht, dass wir die Einbeziehung von Atomenergie in die Taxonomie für falsch halten. Atomenergie ist risikobehaftet und teuer; auch neue Reaktorkonzepte wie Mini-Reaktoren bringen ähnliche Probleme mit sich und können nicht als nachhaltig eingestuft werden. Das Ganze konterkariert das gute Konzept der Taxonomie und läuft ihren Zielen zuwider“, sagte Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck gegenüber der Presse als Reaktion auf die neue EU-Taxonomie. Die AKWs gehen wohl auch trotz Ukraine-Krieg und der damit neu aufgeflammten Debatte rund um Atomenergie wie geplant vom Netz: In der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ vom 27. Februar 2022 erklärte Habeck zwar, er würde die Frage nach einer Verlängerung der AKWs ideologisch nicht abwehren. Für den kommenden Winter 2022/23 helfe uns Atomenergie aber nicht. Die AKWs könne man nur unter höchsten Sicherheitsbedenken weiter betreiben und das wolle man „sicherlich nicht“.

Erdgas als Übergangstechnologie

Statt auf Atomkraft setzt die deutsche Bundesregierung auf Erdgas als Übergangstechnologie. Die ist zwar nicht „grün“ (obwohl die EU-Taxonomie auch Gas als nachhaltig eingestuft hat), aber derzeit nötig für die Energiewende, schreibt die Süddeutsche Zeitung. „In der Tat brauchen wir für die Energiewende einen deutlichen Ausbau der Kraftwerkskapazitäten zur Stromerzeugung aus Gas“, erklärt Gunnar Luderer, Professor für globale Energiesystemanalyse an der TU Berlin sowie Forscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung gegenüber der TAZ. Die Kraftwerke würden zwar nur wenige Tage im Jahr benötigt, müssten aber in der Lage sein „Engpässe bei geringem Angebot von Wind- und Sonnenstrom auszugleichen.“

Trotzdem ist Gas ebenfalls hoch umstritten. Viele Umweltschützer sowie Fachleute aus Wirtschaft und Forschung lehnen die Einstufung der EU von Gas (und Atomkraft) als nachhaltige Technologie ab: „Die Taxonomie verfehlt ihr Ziel und ist in ihrer aktuellen Form Greenwashing, unwirksam und wettbewerbsverzerrend“, zitiert das Magazin wallstreet:online Thomas Jorberg, Vorstandssprecher bei der GLS Bank. Angesichts des Ukraine-Kriegs kommen noch weitere politische Überlegungen hinzu. Das Genehmigungsverfahren zu Nord-Stream 2 wurde beispielsweise bereits ausgesetzt. An einen Lieferungsstopp von Gas aus Russland glaubt Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck derzeit nicht: „Sollte Russland mutwillig diese Versorgungen kappen, dann ist die Entscheidung natürlich getroffen – dann werden die nie wieder aufgebaut werden. Ich denke, das weiß (Präsident Wladimir) Putin auch.“

Übrigens kommt eine Laufzeitverlängerung auch für die Betreiber der hiesigen Atomkraftwerke nicht in Frage: „Das Kapitel Kernenergie ist für RWE abgeschlossen. Wir werden unsere verbliebenen zwei Kernkraftwerksblöcke entsprechend der gesetzlichen Fristen stilllegen. Danach geht es nur noch um den sicheren und verantwortungsvollen Rückbau der Anlagen“, erklärt ein Sprecher des Energiekonzerns gegenüber dem Bayerischen Rundfunk. Ähnlich äußerte sich auch EnBW: Es existiere bereits eine Strategie für den Rückbau, die auch schon umgesetzt wird. Und von PreussenElektra, der Atomsparte von E.ON, heißt es: „Eine Verlängerung der Laufzeit ist keine Option.“ Daran hat auch der Ukraine-Krieg nichts geändert, berichtet die Süddeutsche Zeitung. So verwies RWE auf eine frühere Aussage des Konzernchefs Markus Krebber: „Das Thema Kernkraft ist in Deutschland vom Tisch. Kurzfristig wäre es gar nicht möglich, die Kernkraftwerke wieder hochzufahren."

Quelle: UmweltDialog
 

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