Energiewende

Wasserstoff: die „grüne Batterie der Energiewende“?

„Grüner Wasserstoff“ ist ein wichtiger Baustein für die Energiewende. Damit wird regenerativ erzeugte Energie speicher- und transportierbar. Im Projekt „Get H2 Nukleus“ arbeiten verschiedene Unternehmen, darunter auch Evonik, am Aufbau des ersten öffentlichen Versorgungsnetzes für den umweltfreundlichen Energieträger.

27.05.2020

GET H2 Nukleus: Deutschlands erstes öffentlich zugängliches Wasserstoffnetz soll ab Ende 2022 Industrieunternehmen in Niedersachsen und NRW zunehmend mit grünem Wasserstoff (H2) versorgen.
GET H2 Nukleus: Deutschlands erstes öffentlich zugängliches Wasserstoffnetz soll ab Ende 2022 Industrieunternehmen in Niedersachsen und NRW zunehmend mit grünem Wasserstoff (H2) versorgen.

Wasserstoff, genauer gesagt „Grüner Wasserstoff“, ist ein zentraler Baustein für die Energiewende. „Grüner Wasserstoff ist das Erdöl von morgen“, ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) überzeugt und hat die „Nationale Wasserstoffstrategie“ aufgelegt. Diese soll Maßnahmen bündeln, die Klima-, Energie-, Innovations- und Industriepolitik miteinander verbinden.

Wasserstoff wirke als „grüne Batterie der Energiewende“, weil damit erneuerbar erzeugte Energie speicher- und transportierbar wird, hebt der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) hervor. „Gemäß dem Motto ‚Shipping the sunshine‘ kann Grüner Wasserstoff in Regionen mit viel Wind, Sonne und Wasser produziert und von dort aus exportiert werden, um den Energiebedarf der Welt zu decken“, beschreibt das BMBF die sogenannte Sektorenkopplung.

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Stahl kann vollkommen CO2-frei erzeugt werden

Grüner Wasserstoff ist vor allem für industrielle Anwendungen interessant, „in denen die reine Elektrifizierung und der Gebrauch von Ökostrom nicht ohne Weiteres möglich sind“, meint der Präsident der Energie Watch Group Hans-Josef Fell. Dazu zählen vor allem die Chemie- und die Stahlindustrie. Gerade Stahlhersteller suchen als energieintensive Betriebe nach ressourcenschonenderen Produktionsmethoden, um die steigenden Kosten für den CO2-Zertifikatehandel zu senken, berichtet der Deutschlandfunk. 

In den Blick geraten dabei automatisch die Hochöfen, die Eisenerz zu reinem Eisen verhütten. Bislang geschah dies durch die Verbrennung von Koks bei bis zu 2.000 Grad Celsius. Bei diesen hohen Temperaturen verbindet sich der Sauerstoff des Erzes mit dem Koks und entweicht als Kohlendioxid. Zurück bleibt das reine Eisen, das beispielsweise zu Stahl weiterverarbeitet wird. Hersteller wie die Salzgitter AG oder Vattenfall experimentieren nun damit, statt Koks grünen Wasserstoff in den Hochofen zu leiten. Der Vorteil: Emittiert wird dann lediglich Wasser. Auch wenn Vattenfall noch dieses Jahr in Schweden eine Pilotanlage zur „Grünen Stahlproduktion“ in Betrieb nehmen will, wird es noch etwa 15 Jahre dauern, bis CO2-frei erzeugter Stahl zu konkurrenzfähigen Preisen auf den Markt kommt, schätzt der Tagesspiegel.

Wasserstoff über öffentliche Netze verteilen

Wie aber gelangt der Grüne Wasserstoff ins Chemiewerk oder zum Hochofen? Produziert wird er oft an ganz anderen Orten, nämlich dort, wo viel Sonnen-, Wind- oder Wasserenergie vorhanden ist. Benötigt werden leistungsfähige Wasserstoff-Netze. Der DVGW empfiehlt die Nutzung der vorhandenen Gasversorgungsinfrastruktur: „Das vorhandene Gasnetz bildet einen riesigen Speicher, der die Stromnetze entlasten und somit stabilisieren kann.“ Ideal ist nach Ansicht des Branchenverbandes die Umrüstung der Netze auf den reinen Wasserstofftransport, auch wenn es grundsätzlich möglich sei, grünen Wasserstoff in einem weiteren Schritt in Methan umzuwandeln und in vorhandene Gasnetze einzuleiten. Denn synthetisches Methan ist chemisch mit Erdgas identisch.

Am Aufbau einer bundesweiten Infrastruktur zur Produktion und Abnahme wie auch zum Transport und zur Speicherung von Grünem Wasserstoff arbeitet seit 2019 die Initiative Get H2, zu der sich Partner wie Evonik, RWE, OGE, Uniper, Nowega, die Stadtwerke Lingen, die Technische Universität Clausthal und einige andere zusammengeschlossen haben. 

Im März 2020 stellte die Initiative nun das Projekt „GET H2 Nukleus“ vor. Damit soll innerhalb von zwei Jahren Deutschlands erstes öffentlich zugängliches Netz für grünen Wasserstoff entstehen. Es wird zunächst zwischen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen geknüpft. Get H2 nutzt dazu größtenteils bestehende Gasleitungskapazitäten der Fernleitungsnetzbetreiber Nowega und OGE und stellt diese auf den reinen Wasserstofftransport um. Auch Evonik stellt Leitungskapazitäten bereit und baut dafür Teile der Struktur neu. Um eine weitgehende Versorgungssicherheit zu gewährleisten, sollen auch bereits vorhandene Kavernenspeicher entlang der Wasserstoffleitung zur Zwischenspeicherung genutzt werden.

Erzeugt wird der Wasserstoff in einer 100-Megawatt-Elektrolyseanlage des Stromerzeugers RWE Generation im niedersächsischen Lingen. Als industrielle Abnehmer sind zunächst Raffinerien und Chemieparks in Lingen, Marl und Gelsenkirchen vorgesehen. „In Lingen können wir die gesamte Wertschöpfungskette im industriellen Maßstab demonstrieren und haben durch die vorhandene Infrastruktur erhebliches Synergiepotenzial“, sagte Roger Miesen, Vorstandsvorsitzender der RWE Generation, im vorigen Jahr. 

Der Zugang zum neuen Energienetz soll jedem Erzeuger, Händler und Verbraucher diskriminierungsfrei offenstehen. Das bedeutet auch, dass über die Elektrolyseanlage in Lingen hinaus weitere Wasserstofferzeuger schnell und verlässlich integriert werden können.

Grafik Get H2

Intensive Forschung an Elektrolyseanlagen

Insgesamt zählt der DVGW derzeit 34 „Elektrolyseure“ in Deutschland – die meisten davon sind Demonstrations- oder Pilotprojekte. Auch an der Entwicklung dieser Systeme zur elektrochemischen Spaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff wird intensiv geforscht.

So startete beispielsweise erst im März das Forschungsprojekt „Hy2Chem“ im mitteldeutschen Chemiestandort Leuna. Das Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP Leuna und das Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS Halle (Saale) wollen skalierbare Anlagen entwickeln, die mehrere Zwecke erfüllen. Einerseits soll damit Grüner Wasserstoff erzeugt werden, mit dem der große Wasserstoff-Bedarf der örtlichen Chemieindustrie gedeckt werden kann. Bislang wird dafür „Blauer Wasserstoff“ verwendet, der aus Erdgas gewonnen wird. Andererseits sollen in den Anlagen auch Gase regenerativ erzeugt werden, die dann im großen Maßstab für die nachhaltige Synthese von Basischemikalien und Kraftstoffen genutzt werden können.

Blau oder grün? Streit verzögert Entwicklung 

Dennoch hakt die Entwicklung derzeit: Die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung ist trotz einem Jahr Verzögerung noch immer nicht verabschiedet. Streitpunkt ist die Frage, ob Wasserstoff nur aus erneuerbaren Energien oder auch mit fossilen Energien erzeugt werden darf, ob also ausschließlich auf Grünen oder auf einen Mix aus Grünem und Blauem Wasserstoff gesetzt werden soll. Welche Lösung auch immer gefunden wird: „Wenn wir nicht aufpassen, überholt uns der Rest der Welt“, warnt der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies (SPD). Auch die Unternehmen, die Wasserstoff als Energie im Blick haben, sind ungeduldig: „Die Gefahr, dass Deutschland am Ende zu langsam ist, war nie größer als heute“, kritisiert Uniper-Chef Andreas Schierenbeck. Eine schnelle Entscheidung würde auch Evonik begrüßen. Unter anderem gäbe es in der Spezialchemie-Unternehmenssparte vielfache Anwendungsmöglichkeiten für grünen Wasserstoff als Energieträger.

Quelle: UmweltDialog
 

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