Großunternehmen: Zu- oder Verkäufe, um Nachhaltigkeitsrating zu verbessern
Immer mehr Unternehmen arbeiten aktiv daran, ihre Nachhaltigkeitsperformance zu verbessern – und das nicht zuletzt, um attraktiver von Stakeholdern wahrgenommen zu werden. Zudem gilt: Die Nachhaltigkeitsperformance eines Unternehmens ist ein Faktor, der zunehmend den Unternehmenswert mitbestimmt – immer mehr Unternehmen stellen sich daher neu auf und trennen sich von Geschäftsbereichen oder tätigen Zukäufe, um dies aktiv zu steuern. Das geht aus einer aktuellen EY-Studie hervor.
13.02.2023
Derzeit planen gut sieben von zehn deutschen Großunternehmen (73 Prozent) für die kommende zwei Jahre Zu- oder Verkäufe, um die eigene Nachhaltigkeitsperformance zu verbessern.
In Bezug auf den Gesamtmarkt sind die Erwartungen sogar noch größer: 87 Prozent der Manager rechnen mit einer steigenden Zahl an M&A-Transaktionen, die darauf zurückzuführen sind, dass Unternehmen ihr Nachhaltigkeits-Rating verbessern wollen.
Die verantwortlichen Manager deutscher Unternehmen sind sich einig: Kein anderer Werttreiber entwickelt sich derzeit dynamischer als die Nachhaltigkeit – ganze 94 Prozent gehen von einer steigenden Bedeutung dieses Kriteriums auf den Unternehmenswert aus.
Traditionelle Finanzkennzahlen wie Gewinn und Umsatz haben unterm Strich zwar immer noch das größte Gewicht, wenn es um strategische Investitionsentscheidungen geht: 44 Prozent der Manager sehen eine „überragende Rolle“ derartiger KPIs. Immerhin 30 Prozent billigen aber inzwischen auch der Nachhaltigkeitsperformance des Unternehmens eine derart herausragende Rolle zu – Tendenz steigend.
Das sind Ergebnisse der EY Studie „Sustainability Portfolio Review“. Für die Studie wurden 208 Unternehmen in Deutschland zur Bedeutung von Nachhaltigkeitsaspekten im Rahmen von Investitionsentscheidungen befragt.
„Wir erleben auf dem M&A-Markt gerade einen radikalen Umbruch: Es gibt immer mehr Grüne Deals, also Transaktionen mit einem Nachhaltigkeitsbezug, und ihr Anteil am gesamten M&A-Markt steigt stetig. Denn Nachhaltigkeit ist nicht mehr „Nice to Have“, sondern für viele Unternehmen überlebenswichtig“, sagt Constantin M. Gall, Managing Partner des Bereichs Strategy and Transactions bei EY. „Wer sein Geschäftsmodell nicht auf Nachhaltigkeit hin überprüft und optimiert, wird an der Börse massiv abgestraft und droht auch den Zugang zu Fremdkapital zu verlieren. Solche Unternehmen enden schnell als Übernahmekandidaten – trotz womöglich guter Gewinnentwicklung. Umgekehrt hat sich Nachhaltigkeit in einigen Branchen inzwischen zur wichtigsten Stellschraube für die Steigerung des Unternehmenswertes entwickelt.“
Es sei daher nur folgerichtig, dass nicht zuletzt Aufsichtsräte und Investoren zunehmend Druck auf das Management ausüben, um den Wandel rascher voranzutreiben, so Gall: „Es ist schon richtig, dass einige Unternehmen zum Jagen getragen werden mussten. Aber inzwischen ist in den Chefetagen aller Unternehmen angekommen, dass der Trend hin zu Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung keine Modeerscheinung ist.“
Unternehmen durchforsten und bereinigen ihr Portfolio
„Das Management muss in aktuell sehr unsicheren Zeiten Investitionsentscheidungen treffen, daher ist ein proaktives und konsequentes Management des eigenen Portfolios wichtiger denn je“, so Gall weiter. „Wir sehen, dass heute viele Unternehmen ihre Portfolios überprüfen und neu sortieren. Gerade der Krieg in der Ukraine und die Energiekrise haben deutlich gemacht, dass die Abkehr von fossilen Brennstoffen unumkehrbar ist. Und auch der rasante Wandel im Automobilsektor folgt der Dekarbonisierungslogik“, sagt Gall.
Vielen Unternehmen werde dabei gerade schmerzhaft bewusst, dass sie Assets im Portfolio haben, die ihren Unternehmenswert stark negativ beeinflussen, so Sebastian Binder, Senior Manager im Bereich Strategy and Transactions bei EY. Tatsächlich sagen 45 Prozent der befragten Unternehmen, dass es Geschäftsbereiche oder einzelne Produkte gibt, die eine bessere Nachhaltigkeitsperformance ihres Unternehmens verhindern.
Für den Umgang mit solchen Unternehmensbereichen oder Produkten nutzen die Unternehmen unterschiedliche Herangehensweisen: Jedes zweite Unternehmen lässt Produkte, die dem Anspruch an Nachhaltigkeit nicht genügen, auslaufen, und knapp jedes fünfte Unternehmen (18 Prozent) plant den Verkauf „nicht-grüner“ Geschäftseinheiten. Derartige Vorhaben erweisen sich in der Realität allerdings zunehmend als schwierig, berichtet Binder: „Die Herausforderung besteht im aktuellen Umfeld darin, für Geschäftsbereiche, die man aus Nachhaltigkeitsgründen loswerden möchte, überhaupt noch einen Käufer zu finden. Zudem müssen Verkäufer teils erhebliche Preisabschläge hinnehmen.“
Daher gelte es gerade bei solchen schwierigen Transaktionen, kreative Lösungen zu suchen, so Binder. „Einige Unternehmen wählen ein ‚Bad Bank-Modell‘, bei dem problematische Assets gebündelt und strukturiert werden. Zum Teil lassen sich derartige Einheiten durch weitere Transaktionen, gezielte Maßnahmen oder durch eine Veränderung des Geschäftsmodells aufwerten.“ Beliebter als ein Verkauf von Geschäftsbereichen aus Nachhaltigkeitsgründen ist ohnehin der Zukauf nachhaltiger Assets: 43 Prozent der befragten Unternehmen planen derartige Transaktionen, bei denen beispielsweise Startups zugekauft werden.
Höhere Bewertungen und bessere Refinanzierungsmöglichkeiten für Unternehmen mit guter Nachhaltigkeitsperformance
Solche Maßnahmen können sich für die Unternehmen lohnen. Denn der Kapitalmarkt gewährt Unternehmen mit besseren Nachhaltigkeitsbewertungen deutlich höhere Multiplikatoren. So ergab eine EY-Analyse für Unternehmen mit exzellentem Nachhaltigkeitsrating einen Bewertungsaufschlag von 2,0 mal ihres EBITDAs gegenüber solchen mit einer schwachen Nachhaltigkeitsperformance.
„Grüne Aktiva werden inzwischen mit einem deutlichen Aufschlag gehandelt – und diese Entwicklung wird sich fortsetzen. Die Bemühungen der Unternehmen, ihre Portfolien entsprechend zu bereinigen, werden also durch ganz konkrete finanzielle Vorteile belohnt“, betont Gall.
Zudem sei die Kreditvergabe der Banken zunehmend an Nachhaltigkeits- bzw. ESG-Ratings gebunden, ergänzt Binder. Und: Innerhalb der EU steigt das Volumen „grüner Finanzierungen“ stark an, seit 2018 hat sich der Anteil von ESG-Linked Anleihen von 4 Prozent auf über 20 Prozent im ersten Quartal 2022 verfünffacht.
Hier können Sie die Studie kostenlos bestellen.