Eigenreflexion als Basis guter Führung
Eine gute Fachkraft ist noch lange keine gute Führungskraft. Wer sich fachlich einsetzt und gute Arbeit leistet, hat nicht zwangsläufig auch eine ausgezeichnete Kommunikationsfähigkeit. Außer er/sie ist ein Naturtalent. Doch solche sogenannten „Softskills“ sind essentiell für gute Führung. Glaubt man den Artikeln im Tagesspiegel online oder im XING-Magazin, dann sind gute Führungskräfte Mangelware. Im folgenden Artikel beleuchten wir die Fähigkeiten, die eine gute Führungskraft mitbringen muss, aus der Sicht der buddhistisch geprägten Ethik. Dabei geht es ganz besonders um die Fähigkeit der Eigenreflexion.
10.11.2017
Klare Kommunikation ist notwendig, um Frust oder Konflikte zu vermeiden und falls doch Konflikte entstehen, sollte eine Führungskraft zur Deeskalation beitragen können. Diese sogenannten weichen Faktoren nennt man im Fachjargon auch Softskills.
Softskills sind die Fähigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich zu agieren, Beziehungen zu knüpfen und Kommunikation aufrecht zu erhalten. Eine Führungskraft braucht für ihre Führungsaufgaben genau diese Qualitäten, um eine gute Arbeitsatmosphäre zu schaffen, die Kommunikation zwischen den Mitarbeitern zu unterstützen, Konflikte lösen zu helfen und zu motivieren. Erst in zweiter Linie benötigt sie fachliche Expertise.
Aus diesem Grund sollte eine Führungskraft auf andere zugehen und exzellent kommunizieren. Damit ist nicht gemeint, dass sie sich besonders geschliffen ausdrücken muss. Sie sollte die Menschen im Unternehmen verstehen, mit ihnen umgehen, auf unterschiedliche Charaktere eingehen können. Zu den Softskills gehören aber nicht nur Konfliktlösungsstrategien, sondern auch die Fähigkeit, sich selbst zu reflektieren.
Konfliktlösungsstrategien sind zwar wichtig, können aber in der Führungskräfteentwicklung in Unternehmen relativ leicht gelernt werden. Man denke da nur an Deeskalationstechniken wie offene Fragen stellen, sich selbst beherrschen lernen, das Gespräch führend in der Hand behalten, das Gesagte zusammenfassen und viele mehr.
Ein weitaus wichtigerer Punkt ist jedoch die Selbstfürsorge. Eine Führungskraft, die nicht ihre eigene Person genauso in ihr Engagement und Sorge für das Wohlergehen der Menschen miteinbezieht, opfert sich auf und brennt schließlich aus. Die Fähigkeit sich selbst zu schützen und zum Beispiel auf die eigene Gesundheit zu achten, hat auch eine Vorbildfunktion im Unternehmen.
Diese Selbstfürsorge funktioniert nur, wenn der Blick auch auf die eigene Person gerichtet wird. Das bedeutet, dass die Führungskraft sich selbst reflektiert.
Eigenreflexion
Eigenreflexion beschreibt die Fähigkeit, sich selbst, die eigene Person und die eigenen Gefühle und Verhaltensweisen ehrlich in den Blick zu nehmen. Diese Fähigkeit bildet das Fundament guter Führung. Wenn ein Chef oder eine Chefin jedoch aus eigener Betroffenheit heraus reagiert, zum Beispiel in einem Konfliktfall, wird deeskalierendes Verhalten enorm schwierig. Die eigene Gefühlslage steht einer objektiven Betrachtung der Situation im Weg und erschwert die Klärung. Deshalb ist der Blick in den Spiegel für eine Führungskraft von besonderer Bedeutung.
Tatsächlich zeigt der Blick in den Spiegel ganz real, welches Gesicht beziehungsweise welchen Eindruck die Führungskraft gerade auf andere macht. Sich selbst anschauen und reflektieren zu können bedeutet, dass sie auch Feedback von außen wahr- und ernst nimmt und sich ihrer eigenen Wirkung auf andere bewusst ist. Dazu ist es notwendig, sowohl sich selbst, als auch die Mitarbeiter zu beobachten und die eigenen sowie deren Stimmungen und Verhalten wahrnehmen zu können. Wenn also die Laune bei den Mitarbeitern sinkt, ist es wichtig für eine gute Führungskraft, sofort auch eine Rückkopplung zum eigenen Verhalten in Betracht zu ziehen. Das ist Selbstreflexion.
Was sagt die buddhistische Ethik zum Thema Führung?
In der buddhistischen Ethik gibt es klare Vorgaben für eine gute Führungskraft. Allem voran steht die dienende Haltung. Zu dienen bedeutet im buddhistischen Sprachgebrauch, das Wohl der anderen im Blick zu haben und sich für andere einzusetzen. Es bedeutet, nicht nur das durchzusetzen, was man selbst für richtig hält, sondern der Meinung anderer zuzuhören. Dazu braucht es einen permanenten Dialog und echtes Interesse an anderen Menschen. Es bedeutet, sich selbst zurückstellen zu können, anderen Entfaltungsraum geben zu können, hinter den Mitarbeitern zu stehen und sie zu schützen. Wenn notwendig voranzugehen, dabei aber darauf zu achten, was der Einzelne braucht, um gut arbeiten zu können. Das klingt sehr anstrengend und ist es sicher auch. Diese Anstrengung und dieser Einsatz jedoch beschreiben die dienende Haltung. Eine dienende Führungskraft setzt sich für das Wohl aller und das Wohl des Ganzen ein.
Selbstführung in der buddhistischen Tradition
In der buddhistischen Ethik spielen die „Paramitas“ eine wichtige Rolle. Sie sind Tugenden, die zur raschen Entwicklung beitragen und zur Befreiung aus dem Leiden führen. Die Paramitas unterstützen gute Führungsqualitäten.
Das Paramita der Großzügigkeit
Großzügigkeit bezieht sich hier nicht nur auf materielles Geben. Großzügig kann jeder sein, der anderen Freundlichkeit und gute Laune schenkt und der sich um andere in der einen oder anderen Weise kümmert. Je „großzügiger“ die Führungskraft ist, umso besser ist die Stimmung in der von ihr geführten Abteilung. Das Fehlermanagement ist unkompliziert und nicht nachtragend. Deshalb „trauen“ sich Mitarbeiter Fehler offen zuzugeben. Selbstreflexion macht die eigene Ausstrahlung und den Umgang mit den Mitarbeitern bewusst.
Das Paramita des ethischen Verhaltens
Ethisches Verhalten bedeutet vor allem, niemanden zu übervorteilen, geradlinig und aufrichtig zu handeln. Ethisches Verhalten ist „Nichtunterscheidendes-Verhalten“. Das heißt, die Führungskraft hat keine „Lieblinge“ und keine abgelehnten Mitarbeiter. Sie ist allen gleichermaßen verbunden und verpflichtet und behandelt die Mitarbeiter unabhängig von persönlichen Vorlieben so, dass sie die Persönlichkeit des jeweiligen Mitarbeiters unterstützen kann. Selbstreflexion macht unbewusste Vorlieben und Abneigungen bewusst und befähigt eine Führungskraft, andere tatsächlich gut zu unterstützen. Zugleich zeigt sie selbst das Verhalten, das sie auch von den Mitarbeitern verlangt
Das Paramita der Geduld und Ausdauer
Geduld im Sinne von Durchhaltevermögen ist eine wichtige Eigenschaft für eine Führungskraft. Jeder Mitarbeiter hat sein eigenes Tempo und bearbeitet Aufgaben auf seine eigene Art und Weise. Das ist nicht immer das, was eine Führungskraft erwartet. Andere zu korrigieren ohne die eigene innere Ruhe zu verlieren, wenn etwas noch nicht läuft wie gewünscht, schafft eine ruhige und entspannte Arbeitsatmosphäre für alle. Eine geduldige Führungskraft tritt immer wieder aufs Neue in Kontakt mit den Mitarbeitern und versucht klar zu kommunizieren. Selbstreflexion ermöglicht es einer Führungskraft, emotionale Trigger frühzeitig zu erkennen und kontrolliert und gelassen zu reagieren, ohne aus der Haut zu fahren.
Das Paramita der Tatkraft
Man nennt es auch energisches Bemühen. Entschlossenes Handeln und die Fähigkeit, die Verantwortung dafür zu übernehmen, zeugt von Führungsqualitäten. Zu dieser Eigenschaft gehört auch, die Mitarbeiter entschlossen mit ins Boot zu holen. Häufig entsteht Stress in Unternehmen, weil Führungskräfte keine oder nur wenige Entscheidungen wirklich treffen. Dann entscheiden stattdessen die Mitarbeiter aus den unteren Ebenen oder sie lassen alles laufen und ziehen sich innerlich zurück. Beides erzeugt sehr viel Stress. Dabei geht enorm viel Arbeitspower verloren. Ehrliche Selbstreflexion bringt die eigenen Unklarheiten ins Bewusstsein und unterstützt klare Entscheidungen.
Das Paramita der Konzentration
Konzentrationsfähigkeit bedeutet vor allem Konzentration auf das Wesentliche. Wesentlich für Führungskräfte sind nicht nur allein fachliche Qualitäten und Wissen sondern vor allem auch die Konzentration auf menschliches Miteinander. Dieses Miteinander sollte nie aus dem Blickfeld geraten. Nur dann ist eine Führungskraft in der Lage rechtzeitig regulierend einzugreifen, wenn Konflikte auftauchen. Selbstreflexion bringt Ausschweifungen und Ablenkungen ins Bewusstsein und ermöglicht durch Gewahrwerden der eigenen Emotionen, zu erkennen, wann etwas nicht rund läuft.
Das Paramita der Weisheit
Weisheit entsteht aus der Klarheit. Das bedeutet, eine Führungskraft braucht eine sehr klare Wahrnehmung dessen, was ist. Zu wissen, wie man selber tickt und welche Konzepte man mitbringt, befähigt einen, wenn nötig, bewusst davon absehen zu können. Eine Führungskraft, die über sich selbst Bescheid weiß, kann auch andere klar erkennen und das angemessenste Verhalten mit dem größtmöglichen Wirkungsgrad an den Tag legen. Das geht nur mit einer starken Selbstreflexion.
Welche Rolle spielt Mitgefühl in der Führung?
Zunächst ist es wichtig, Mitgefühl genauer zu definieren. Es handelt sich hierbei nicht um Mitleiden in der einen oder anderen Form. Mitleiden blockiert die eigene Handlungsfähigkeit und vermehrt das Leiden. Es nützt niemandem, wenn ein anderer mitleidet. Mitgefühl hingegen ist eine ganz andere Qualität. Mitgefühl erkennt, in welchem Dilemma jemand steckt, sei es aus eigener früherer Erfahrung oder auch aus genauer Beobachtung heraus. Im Mitgefühl hält der Beobachter innerlich eine gewisse Distanz aufrecht, doch ohne die Verbindung zu verlieren. Diese innere Distanz ermöglicht es, die wirkungsvollste Reaktion zu finden und entsprechend zu handeln. Mitgefühl schafft Handlungsfähigkeit aus einer inneren Distanz heraus, die jedoch im Kontakt bleibt und sich nicht abwendet.
Selbstreflexion ist zur Ausbildung von Mitgefühl absolut notwendig. Erst wer erkennt, welche „Fehler“ er selbst schon begangen hat, kann die „Fehler“ von anderen mit milden Augen und ohne Verurteilung ansehen. Mitarbeiter, die sich be- und verurteilt fühlen, sind vorsichtig und bleiben dadurch weit unter ihrem Potenzial. Mitarbeiter lassen sich am leichtesten führen, wenn sie sich nicht verurteilt fühlen. Erst dann können die volle Kreativität und der volle eigene Einsatz für die Sache lebendig werden.
Hier ist der aus der buddhistischen Ethik empfohlene „mittlere Weg“ entscheidend. Er beschreibt in diesem Fall die richtige innere Distanz zu anderen, die ermöglicht, nicht vom „Leiden“ oder von den Emotionen von anderen mitgerissen zu werden, zugleich aber auch nicht zu distanziert und „kalt“ oder unbeteiligt zu bleiben. Dieser Zustand wird oft beschrieben wie die Saite eines Instruments, die nicht zu locker sein darf und auch nicht zu straff gespannt werden soll. Im einen Fall ergibt sie keinen Klang, im anderen Fall reißt sie. Die richtige Grundspannung – die richtige Distanz – erzeugt den besten Klang und auch die beste Führung.
Nun kommen wir zum Kernstück der buddhistischen Ethik – dem Lenken des eigenen Geistes
Um den eigenen Geist lenken zu können, muss man ihn reflektieren. Besonders als Führungskraft ist es notwendig, die ihre eigenen Emotionen beobachten und frühzeitig zu erkennen. Erst dann wird man fähig, diese zu kontrollieren und sich damit selbst zu steuern. Nur so lassen sich eigene Emotionen verändern. Das nennt man auch „Emotionales Management“. In der Regel laufen emotionale Reaktionen reflexartig ab, weil sie übers Limbische System gesteuert werden. Dieser reflexartige Ablauf von Reiz und Reaktion ist so schnell, dass zunächst kein Eingreifen möglich ist. Nur Selbstreflexion und Achtsamkeit lassen mit der Zeit frühzeitig emotionale Trigger erkennen, die eine Reaktion auslösen.
Eine gut reflektierte Führungskraft weiß, welche Trigger bei ihr unbeherrschtes emotionales Verhalten auslösen könnten. Dadurch kann sie frühzeitig eingreifen und ihre Reaktionen bewusst anpassen. Dafür gibt es eine Reihe von Techniken, die sie dabei unterstützen können. Die ursprünglich unterbewussten Reaktionsmuster laufen nun über das Bewusstsein ab und sind so langsamer. Es bleibt Zeit, Reaktionen zu überdenken und Entscheidungen zu treffen, zum Beispiel ob man sich von etwas aus der Ruhe bringen lassen möchte oder nicht. Und man kann auch entscheiden, welche Reaktion in der aktuellen Situation das beste Ergebnis erzielen würde.
In der buddhistischen Ethik gibt es für jede unheilsame Emotion ein Gegenmittel. Dieses Gegenmittel kann nur ergriffen werden, wenn die unheilsame Emotion erkannt wird.
Das Gegenmittel zur Wut ist die Geduld, das Gegenmittel zur Gier ist die Zufriedenheit, zur Angst ist es der Mut, zum Zweifel ist es Verständnis. Sobald ein reflektierter Mensch eine Emotion erkennt, ist er in der Lage, die emotionale Reaktion zu stoppen und bewusst ein Gegenmittel einzusetzen.
Fazit:
Aus dieser intensiven Betrachtung der notwendigen Qualitäten einer guten Führungskraft sticht also die Fähigkeit der Eigenreflexion als herausragendste Eigenschaft hervor. Ohne Eigenreflexion ist eine bewusste Führung also gar nicht möglich. Und ohne Bewusstheit ist gute Führung immer auch Glückssache. Charisma entsteht, wenn bewusstes und reflektiertes Handeln eines sanften Geistes Mitarbeiter anleiten und zu Höchstleistungen animieren, ohne mit der Peitsche vorzugehen und dabei schlechte Stimmung, hohen Krankenstand oder Burnout zu erzeugen.
Zum Abschluss noch ein kurzer Auszug aus einem Sutra der großen buddhistischen Meisterin, Ji Kwang Dae Poep Sa Nim vom 8. September 2017, die die hier beschriebene buddhistische Haltung in einem Satz zusammenfasst:
„Große Liebe und großes Mitgefühl sind das Fundament des Buddhismus, welcher eine Religion ist, die alle annimmt. Im Buddhismus beurteilen wir uns unentwegt selbst, um nicht die Ursache davon zu sein, Probleme für andere zu schaffen.“
Nachdruck mit freundlicher Unterstützung des FORUM WIRTSCHAFTSETHIK, herausgegeben vom Deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik - EBEN Deutschland e.V.