Politik

Ist Klimapolitik ohne Sicherheitspolitik denkbar?

Die Globalisierung ist erschöpft, sagt der renommierte Wirtschaftswissenschaftler Michael Hüther im Gespräch mit uns. Weiter gehe es nur, wenn wir künftig Nachhaltigkeit nicht nur empathisch, sondern auch militärisch denken.

27.06.2022

Ist Klimapolitik ohne Sicherheitspolitik denkbar?

UmweltDialog (UD): Wir erleben gerade einen geopolitischen Zeitenwechsel. Welche Auswirkungen ergeben sich für die industriellen Beziehungen und den Welthandel? 

Professor Hüther: Wir haben mit dem Weg in eine neue bipolare Struktur – transatlantischer Westen mit demokratischen Staaten auf der einen und China und Russland, die für Menschenrechtsverletzungen und Diktatur stehen, auf der anderen Seite – in der Tat einen Rückschritt in der Globalisierung vor uns.

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Im Grunde genommen gehen wir in der Entwicklung 30 bis 40 Jahre zurück. Das wird sich auf unseren gesamten Wertschöpfungsprozess auswirken: Die Selbstverständlichkeit, mit der wir internationale Märkte genutzt haben, wird es so nicht mehr geben. Denn internationaler Handel und internationaler Austausch setzen ja ein gegenseitiges Vertrauen in bestimmte Rahmenbedingungen voraus. Das hat Russland durch seinen Angriff auf die Ukraine zerstört und China durch sein Schweigen mindestens unterminiert. 

UD: Sie haben einmal an einer Studie unter dem Titel „Geschäftsmodell Deutschland auf dem Prüfstand“ mitgewirkt. Wie fällt Ihr Urteil angesichts der aktuellen Entwicklungen aus? 

Professor Hüther: Das „Geschäftsmodell Deutschland“ ist industriebasiert mit einem hohen Anteil an industrieller Differenzierung, ergänzt durch einen breiten Dienstleistungssektor. Deswegen besetzen wir wichtige Positionen in internationalen Märkten und sind Exportweltmeister. Die deutsche Wirtschaft ist hoch flexibel. Insofern ist sie auch in der Lage, sich diesen Veränderungen zu stellen und sie zu meistern. Dennoch ändert sich durch die aktuelle Entwicklung die Perspektive, und wir müssen uns fragen, wie und wo wir uns künftig engagieren. Das ändert ein Stück weit die gewohnte Geschäftsgrundlage des deutschen Modells, Globalisierung überall nutzen zu können.

UD: Mit Ihrem Hinweis auf die neue bipolare Struktur haben Sie bereits den Systemkonflikt unterschiedlicher Herrschaftsformen angesprochen, der sich auf die Globalisierung auswirkt. Francis Fukuyama hat kürzlich in der NZZ geschrieben, dass eine russische Niederlage „eine Wiedergeburt der Freiheit“ ermögliche und den „Blues“ vom Niedergang der globalen Demokratie vertreiben werde. Teilen Sie die Ansicht? 

Professor Hüther: Putin hat der ganzen Welt verdeutlicht, dass er kein verlässlicher Partner ist, sondern das Völkerrecht missachtet und Kriegsverbrechen begeht. Ich stimme Fukuyama zu, möchte aber die normativen Grundlagen unserer westlichen Tradition konkretisieren. Diese beruhen auf einem Dreiklang aus demokratischer Selbstermächtigung des Menschen, zivilgesellschaftlicher Teilhabe und marktwirtschaftlicher Innovationsfähigkeit. Die Paradigmen, die ich in meiner Arbeit über die erschöpfte Globalisierung aufgestellt habe, sind aktueller denn je. Sie sind der Ausdruck eines unterschätzten normativen Konfliktes, der sich jetzt deutlich durch die bipolare Systemstruktur zeigt und auf den wir uns zurückbesinnen müssen, wollen wir die Globalisierung zukunftsfähig gestalten. 

Wir setzen auf unveräußerliche Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung. Bei der Wahl unserer Handelspartner sehen wir das nicht so eng, wie unser neuer Energielieferant Katar zeigt. 

Wenn man in einer globalen Struktur tätig sein möchte, muss man Kompromisse eingehen. Das muss man ganz nüchtern betrachten. Versucht man ständig den eigenen ethischen Kodex durchzusetzen, handelt man am Ende nur noch mit sich selbst. Im Augenblick sind wir auch in einer gewissen Notsituation, weil wir von russischem Gas unabhängig werden wollen und weil der Zielkorridor einer ausgebauten Infrastruktur aus erneuerbaren Energien noch weit entfernt ist. Da haben wir nicht so viele Auswahlmöglichkeiten.

Für Unternehmen sind Menschenrechtsrisiken in dieser Form schon lange ein Thema, denn ihr nachhaltiger Erfolg ist auch von der Reputation abhängig. Kunden können und wollen Druck auf die Unternehmen ausüben, indem sie bestimmte Produkte boykottieren, die in Regionen unter menschenrechtswidrigen Umständen hergestellt wurden. Außerdem haben wir das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das unternehmerisches Handeln reglementiert. Ob dieses in der aktuellen Situation so noch durchführbar ist, ist aber fraglich.

UD: Warum? 

Professor Hüther: Wir benötigen von den Unternehmen jetzt eine hohe Anpassungsfähigkeit und Flexibilität, die nicht von strikten Regulierungen verhindert wird. Sie können einem Mittelständler nicht erklären, warum er die Daten seiner Lieferkette transparent darlegen muss, während die Bundesregierung Energie aus Katar bezieht. Auch die Verabschiedung eines Lieferkettengesetzes auf europäischer Ebene halte ich in der jetzigen Phase nicht für sinnvoll. Wichtig ist es, bestimmte rote Linien zu definieren, die nicht überschritten werden dürfen. Beispielsweise muss das strikte Verbot von Kinderarbeit und Zwangsarbeit gelten. 

UD: Herr Professor Hüther, lassen Sie uns konkret über Nachhaltigkeit sprechen. Für viele sind Nachhaltigkeit und die ökosoziale Transformation unserer Gesellschaften angesichts der veränderten Weltlage wichtiger denn je. Wie sehen Sie das? 

Professor Hüther: Nachhaltigkeit ist immer wichtig, weil das bedeutet, dass wir die Ressourcen, die wir haben, nicht überdehnen, sondern so nutzen, dass auch künftige Generationen daraus eine Möglichkeit ableiten können. Mit Blick auf Klimaneutralität versuchen wir nach 200 Jahren das Zeitalter fossiler Energie zu beenden. Das ist eine gewaltige Herausforderung, die gesellschaftlich begleitet und moderiert werden muss, um eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung zu erreichen. Man muss immer wieder testen, welche Ansätze funktionieren und welche nicht, und lernend Neues ausprobieren. 

Im Augenblick ist die Situation so, dass wir auch gar keine andere Möglichkeit haben. Wir müssen uns energetisch autonomer versorgen und unsere Energieversorgung diversifizieren, um unsere Gasabhängigkeit zu reduzieren. Auch das bedeutet, dass wir den Weg in eine klimaneutrale Energieproduktion beschreiten müssen.

UD: Für Sie hängen Klimapolitik und Sicherheitspolitik zusammen. Wie das? 

Professor Hüther: In den letzten Jahrzehnten haben wir wichtige Themen in den Bereichen Außen- und Sicherheitspolitik nicht ausreichend benannt und dafür gestritten, sondern nur die wirtschaftliche Dividende eingestrichen. Diese Verantwortungslosigkeit fällt uns jetzt auf die Füße. Wollen wir international eine führende Rolle in der Klimapolitik einnehmen, müssen wir auch eine eigene Sicherheitsarchitektur aufbauen und uns verteidigen können. Nur so nehmen uns andere Staaten ernst und sind bereit, klimapolitische Forderungen unsererseits zu akzeptieren. 

UD: Für einen nachhaltigen Wandel ist aber nicht nur die globale Perspektive entscheidend, sondern auch die Einführung technischer Innovationen. Ist das nicht eine Wette mit vielen Unbekannten, da wir weder die Lösungen kennen noch absehbar ist, ob und wann sie kommen? 

Professor Hüther: Das ist aber immer so. Wir gehen ständig Wetten auf die Zukunft ein, da wir ja davon ausgehen, weiterzuleben und unseren Beitrag zu leisten. Die Menschheitsgeschichte hat gezeigt, dass die Welt ein Innovationsstandort ist. Wir können diese Herausforderungen meistern und sind in der Lage, die notwendigen Lösungen für eine nachhaltige Transformation zu finden.

UD: Vielen Dank für das Gespräch! 

Prof. Dr. Michael Hüther ist Direktor und Mitglied des Präsidiums beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln.

Dieser Artikel ist im Original im Magazin „UmweltDialog“ zum Thema „Globalisierung“ erschienen.

Banner UmweltDialog Magazin Ausgabe Nr. 17 Globalisierung
Quelle: UmweltDialog
 

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