Business Case

Erfolgreich sterben: Das Beispiel Nokia

Welche Faktoren braucht es, um als Unternehmen agil zu bleiben und in der neuen Wirtschaftslandschaft langfristig zu bestehen? Wir wollen untersuchen, wie Sie mit einer innovationsfreundlichen Unternehmenskultur disruptiven Umbrüchen begegnen können. Dazu ziehen wir das Beispiel Nokia heran. Die einstige Weltmarke scheiterte nach der Präsentation des iPhones in nur sechs Jahren an einem veränderten Markt und verschwand fast völlig von der Bildfläche.

28.07.2017

Erfolgreich sterben: Das Beispiel Nokia zoom

Von Christoph Erle

Blicken wir zurück auf das Jahr 2006. Vor etwas mehr als zehn Jahren gab es noch keine Smartphones. Der Mobilfunkmarkt stagnierte hingegen auf einem hohen Niveau. Wettbewerb drehte sich um den besten Preis, während Produktinnovationen auf die Verbesserung von Displays, Kameras und Gerätegröße abzielten.

Unumstrittener Marktführer war damals das finnische Kultunternehmen Nokia. Der Konzern war König der Mobiltelefone und lange Zeit sehr gut darin, sich neu zu erfinden. Das ehemalige Sägewerk aus dem Jahr 1865 verkaufte Fahrräder, Gummistiefel und Autotelefone, bevor es sich zu einem Technologieunternehmen entwickelte. 1992 stellte es Geschäftsführer Jorma Ollila komplett neu auf, als durch die Rezession nach der Wende die Nachfrage zusammenbrach. Nokia ging im großen Stil zur Produktion von Mobiltelefonen über.

Nokia war in den Neunzigern äußerst innovativ: man arbeitete schon früh gemeinsam mit Größen wie Sony Ericsson, Motorola und Samsung an dem Betriebssystem Symbian und war überzeugt, dass Software den Mobilfunk revolutionieren könnte. Auch in anderen Bereichen war Nokia vorne mit dabei und brachte nicht zuletzt mit dem Nokia Communicator bereits 1996 (!) ein Smartphone auf den Markt, das allerdings zu teuer und seiner Zeit noch voraus war.

Nokia war von 1998 bis 2011 ununterbrochen Marktführer im Mobilfunkbereich. Und dennoch wurde 2007 sein Ende besiegelt, als Apple das iPhone auf den Markt brachte. Zwar hat Apple das Smartphone nicht erfunden, aber der Konzern brachte es erfolgreich auf den Markt. Apple nutzte die Kompetenzen aus seinem Kerngeschäft, um ein Produkt zu präsentieren, welches Giganten wie Motorola und Nokia nicht entwickeln konnten. Es war mit einem Betriebssystem ausgestattet, das sich aus Apples Erfahrung mit Desktop PCs speiste und hatte einen kapazitiven Touchscreen, der die Bedienfreundlichkeit vom Rest der Mobiltelefone abhob. Das Zusammenspiel der einzelnen Features eröffnete den Käufern neue Möglichkeiten, die traditionelle Mobiltelefone nicht boten. Das erste iPhone verkaufte sich bereits 6 Millionen Mal, die weiteren Verkaufszahlen sprechen für sich. Die alten Branchenakteure waren nicht wendig genug, sich für diesen Schock aufzustellen – und neben Nokia verschwand auch Motorola vom Markt.

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Von der Weltmarke in die Bedeutungslosigkeit

Nachdem das iPhone sowie ein Jahr später das erste Android Phone auf den Markt kamen, konnte Nokia nie wieder richtig den Anschluss finden. Trotz eines riesigen F&E-Budgets kämpften die Finnen bis zum Ende mit Betriebssystemen und Gerätequalität, probierten sich an Symbian (das eigentlich besser für Tastaturhandys geeignet war) an Android und schließlich an Windows, als sie mit Microsoft kooperierten.

Dennoch stürzten Nokias Marktanteile von 2007 bis 2012 von ungefähr 50 auf 3,5 Prozent. In nur sechs Jahren wurde die fünftwertvollste Marke der Welt so obsolet, dass ihre Handysparte 2013 schließlich von Microsoft übernommen wurde. Und nachdem selbst die Windows Phones keinen Erfolg hatten, war auch die Marke Nokia Ende 2014 Geschichte.

Bleibt die Frage: Wie konnte das passieren? Aus welchem Grund konnte ein Weltkonzern, der in den Neunzigern noch an der Spitze der innovativen Unternehmen stand, durch eine einzige Produktinnovation so ins Wanken geraten?
Die Antwort liegt nicht in externen Faktoren begraben, sondern intern, in Nokias Unternehmenskultur.

Dass Nokia nach 2007 jahrelang hinterher hinkte, war nicht nur Apples überlegener Technologie „vorzuwerfen“. Denn eigentlich hatte das Unternehmen bereits in den neunziger Jahren ein modernes Smartphone (und einen Tablet-Computer) entwickelt. Mehr als sieben Jahre vor Apple. Doch trotz des vielen Geldes, das sie in Forschung und Entwicklung steckten, verpassten es die Finnen, die Geräte auf den Markt zu bringen. Nachdem dann das iPhone auf den Markt kam, war es dem Konzern nicht mehr möglich, den Anschluss zu schaffen.

Oberflächlich gab es drei Gründe dafür, dass Nokia abgehängt wurde

  1. Die disruptive Kraft des Smartphones wurde belächelt. Gerade das iPhone wurde als „zu teuer in der Herstellung“ bezeichnet, sein 2G Network als rückständig bezeichnet und auch beim Nokia Drop-Test fiel es radikal durch. (Smartphones gehen aber auch wirklich zu schnell kaputt…) Mit dieser Einschätzung behielt Nokia allerdings Unrecht.
  2. Das Unternehmen ruhte sich auf seiner Marke und seiner erfolgreichen Vergangenheit aus. Auch Jahre nach dem ersten iPhone war es noch Marktführer, was allerdings hauptsächlich an den Verkäufen in Schwellenländern lag.
  3. Bei Nokia wurde zu kurzfristig gedacht und nur noch auf die Quartalszahlen geschaut. Von der Unternehmensführung wurde außerdem ein Klima der Angst geschaffen, in dem Innovation systematisch erschwert wurde.

Mit Nokias Unternehmenskultur ging es bereits bergab, bevor das iPhone auf den Markt kam. Bis zu diesem Zeitpunkt scheiterte der Konzern mit einer ganzen Reihe von innovativen Produkten. Darunter waren nicht nur der Nokia Communicator, sondern auch Experimente wie der N-Gage. Währenddessen trumpfte Konkurrent Motorola mit dem legendären RAZR Flip Phone auf und landete einen Kult-Hit.

Das bewog 2006 ein neues Management, die Prioritäten des Konzerns drastisch umzukrempeln. Statt kostspielige Innovationsprojekte voranzutreiben, sollte sich verstärkt auf die Produktion traditioneller Tastaturhandys konzentriert werden. CEO Olli-Pekka Kallasvuo, der Nachfolger Ollilas, legte dafür die Abteilungen für Basic- und Smartphones zusammen. Im Nachhinein ein Fehler, wenn man bedenkt, dass der Hersteller bereits fünf Jahre vor dem iPhone ein Smartphone mit farbigem Touchscreen hätte veröffentlichen können. Leider war der Konzern nicht mehr offen dafür, Ideen zu testen und dabei auch zu scheitern können. Selbst aussichtsreiche Innovationen wurden stattdessen erst monatelang debattiert, statt sie auf dem Markt zu testen.

Nokia Zentrale in Finnland zeugt von besseren Zeiten
Nokia Zentrale in Finnland zeugt von besseren Zeiten

Scheitern war nicht erlaubt

Der neue Fokus von Nokias Geschäftsführung lag auf der Bottom line und kurzfristigen Gewinnen. Die Geschäftsführung war nicht mehr offen dafür, mit Ideen zu scheitern, und reiste persönlich um die Welt, um überflüssige Entwicklungsprojekte zu schließen. Aus einem Forschungsbericht, in dem 76 ehemalige Top und Middle Manager von Nokia interviewt wurden, geht hervor, dass die Geschäftsführung zudem dafür berüchtigt war, eine sehr aggressive Vorgehensweise auch gegenüber Mitarbeitern zu pflegen, um eigene Ziele durchzusetzen. Das bekamen sie auch im Gespräch zu spüren – und Anbrüllen ist wahrscheinlich nicht die beste Förderung innovativen Denkens.

In diesem Arbeitsklima musste also nun ein neues Betriebssystem entwickelt werden, um iOS und Android zu begegnen. Statt im Konzern Synergien zu schaffen, wurden allerdings zwei F&E-Teams gegeneinander ausgespielt. Die einen sollten Symbian modernisieren, die anderen mit MeGoo ein neues Betriebssystem entwickeln. Berichten zufolge führte das zu einem internen Wettkampf um Budgets, in dem es vielen Mitarbeitern nur darum ging, ihren Job zu behalten. Teilweise seien deshalb auch Ergebnisse geschönt und Manager direkt angelogen worden.

Bei dem lähmenden internen Konkurrenzkampf und der Vernachlässigung einer mittel- bis langfristigen Planung verpasste es Nokia, ein konkurrenzfähiges Produkt zu entwickeln. Stattdessen testete man mit Symbian, MeGoo oder Android, um schließlich in der Kooperation mit Microsoft zu landen, die die Windows Phones hervorbrachte und später das Ende der Marke besiegelte.

Nokia war nie in der Lage, auf dem Markt wieder konkurrenzfähig zu werden, da es ein innovationsfeindliches Klima im Unternehmen schaffte.

Über den Autor: Christoph Erle schreibt im Blog von Management Circle.

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UD Magazin Risiko
Quelle: UD
 

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