Essen - aber bitte mit Genuss
Hans-Georg Pestka hat einen Plan. Er will den Deutschen den Glauben an die Qualität heimischer Lebensmittel zurückgeben und ihnen gleichzeitig wieder Freude am Essen vermitteln. Mit seiner Firma „Genusshandwerker“ verbindet er ein Netzwerk regionaler Produzenten aus ganz Europa für eine wachsende Käuferschicht in Deutschland. UmweltDialog sprach mit ihm über die Vorzüge langsamen Essens und die Schwierigkeiten von Existenzgründern im Lebensmittelsektor.
07.12.2012
UmweltDialog: Herr
Pestka, Sie kommen aus der Chemiebranche, haben anschließend als Umweltberater für
Kommunen und Konzerne gearbeitet und sich danach mit einem Lebensmittelversand
im Internet selbstständig gemacht. Was fasziniert Sie so am Thema Essen, dass
Sie dafür einen sicheren Arbeitsplatz aufgegeben haben?
Hans-Georg Pestka: Zum einen glaube ich nicht an die Mär
von sicheren Arbeitsplätzen, zum anderen hat mich fasziniert, dass das Thema „
Gute Ernährung“ als Querschnittsthema viele Bereich des gesellschaftlichen
Lebens verbindet. In diesem Segment zu arbeiten bereitet mir einfach eine große
Freude. Ich denke, dass man in seinem beruflichen Wirken
Gestaltungsmöglichkeiten hat und ich meine Vorstellungen von Ernährungskultur
mit den Genusshandwerkern umsetzen kann.
Was waren die größten Probleme, vor denen
Sie bei der Gründung standen?
Das war sicherlich klassisch: Ich hatte wenig
Kapital, aber viele Ideen und stand damit vor der Aufgabe, beides in ein
vernünftiges Maß zueinander zu setzen. Das ist in etwa die Situation, mit der
man anfängt und die einen auch noch eine ganze Weile beschäftigt. Grundsätzlich
ging es natürlich erst einmal darum, ein Netzwerk von verantwortungsvollen
Produzenten auf- und auszubauen und die Kunden von unseren Angeboten zu
überzeugen.
In Deutschland
gewinnt der Begriff „Slow Food“ immer mehr an Bedeutung. Sie selber haben sich
ja auch lange damit beschäftigt und unterstützen mit Ihrem Unternehmen Slow
Food Deutschland. Können Sie unseren Lesern kurz erklären, was es damit auf
sich hat?
Slow Food ist nicht nur ein Begriff, sondern steht
für eine Esskultur, bei der alle relevanten Aspekte
einbezogen werden. Hier geht es sowohl um das Produkt, um die Art des
Einkaufens und der Zubereitung, aber auch die Form des gemeinsamen Essens. Auf
eine Formel gebracht kann man hier am einfachsten von Gut, Sauber und Fair
sprechen. Es geht darum, sich wieder mehr Zeit zu nehmen.
Fasst man alle Facetten zusammen, kommt man zu einer neuen Vorstellung von Qualität, die
nicht nur für das reine Produkt gilt, sondern auch für die Art und Weise, wie
Mensch und Tier behandelt werden. Hier sind vor allem die Haltung der Tiere und
die Verarbeitung der Produkte entscheidend. Es geht aber auch darum, sich gemeinsam an einen Tisch
zu setzten, Gespräche mit anderen Menschen zu führen und der Qualität des
Essens und seiner sozialen Funktion wieder einen höheren Stellenwert
einzuräumen.
Für diese
Qualität muss der Verbraucher aber auch bereit sein, höhere Preise zu bezahlen.
Ist Slow-Food Luxus?
Absolut nicht. Lebensmittel, die nach
Slow-Food-Kriterien hergestellt werden, sind vielmehr Teil einer bestimmten
Lebenseinstellung. Was es braucht, und das wird in Deutschland sicherlich
teilweise als Luxus missverstanden, ist
das Verständnis, dass ein gut produziertes Lebensmittel einen gewissen Preis
hat. Damit ist aber natürlich auch ein Mehrwert verbunden - indem ich bereit
bin, für solche Lebensmittel einen
höheren Preis zu bezahlen, bekommen ich ja auch etwas zurück. Da kann nicht von Luxus gesprochen werden, sondern von einem vernünftigen Preis-Leistungs-Verhältnis.
Im Fernsehen boomen Kochshows und
Sterneköche werden zu Trendsettern verklärt, gleichzeitig belegen Studien, dass
in deutschen Haushalten immer mehr Fertigprodukte verwendet werden. Lässt sich
dieser Trend und der damit verbundene Verlust von Kochkultur wirklich, wie oft
behauptet, mit dem wachsenden Ansprüchen des Berufslebens erklären?
Ich glaube nicht, dass sich diese Punkte mit
gestiegen Ansprüchen im Berufsleben erklären lassen, sondern eher mit der
Wertigkeit, die gutes Essen innerhalb der Gesellschaft wie auch für jeden
selbst genießt. Wir haben alle einen Tag mit 24 Stunden - wie wir mit dieser
Zeit umgehen, wofür wir sie nutzen wollen, hängt mit den Wertvorstellungen zusammen, die wir
mit den unterschiedlichen Bereichen unseres Lebens verbinden. Menschen, die
bereit sind Zeit für ihre Ernährung einzusetzen, ernähren sich dadurch auch
ganz anders. Wenn man Essen dagegen nur als notwendiges Übel betrachtet und
möglichst schnell möglichst günstig Nahrung konsumieren möchte, verzichtet man - ob bewusst oder unbewusst - auch auf ein
Stück Lebensqualität.
Ich würde aber nicht soweit gehen zu sagen, dass es im Alltag keinen Bedarf an vorbereiteten Speisen gibt. Es gibt Alltagssituationen, die weniger Zeit für die Essenszubereitung lassen. Ich denke, hier sollte jeder eine vernünftige Balance finden. Übrigens muss „selber kochen“ nicht zwangsläufig länger dauern als das Kaufen und Erwärmen eines Fertiggerichts.
Kommen wir zurück
zu den Genusshandwerkern. Sie bieten Ihren Kunden Salami aus Frankreich, Käse
aus Spanien oder auch Trüffel aus Italien. Auf ihrer Webseite heißt es, dass
alle Produkte von Ihnen überprüft wurden. Wie funktioniert das? Fahren Sie
durch ganz Europa, lassen sich von den Produzenten zum Essen einladen und
entscheiden dann aus dem Bauch heraus, ob Sie die Produkte in Ihr Sortiment
aufnehmen?
Ich schaue
mir neue Produkte immer mit einem ganzheitlichen Blick an. Dafür besuche ich
die Betriebe, schaue nach den Arbeitsbedingungen vor Ort, den Bedingungen für
Mensch und Tier. Zusätzlich gehe ich auch auf Messen und unterhalte mich mit
vielen Menschen, die eine ähnliche Vorstellung von Essen haben. Dabei spielt es
keine Rolle, ob ich mich mit Bauern, Produzenten oder Händlern unterhalte -
wichtig ist, sich die Neugier auf Neues
zu bewahren.
Welche Kriterien
sind Ihnen bei der Auswahl Ihrer Produkte wichtig?
Mir ist es wichtig, Qualität nicht nur als
technische Größe zu sehen, sondern sich aus der Summe an Details ein möglichst
genaues Bild vom Endprodukt zu machen: Was wird wie angebaut, hat der Produzent
ein grundsätzliches Interesse an hochwertigen Produkten, welche Rohstoffe
werden eingesetzt, das sind sicherlich Fragen mit denen ich mich bei der
Auswahl neuer Produkte beschäftige.
Auf der anderen Seite muss ein Produkt einen eigenen
Charakter haben und mit seiner Region verbunden sein. Unser Anspruch ist es,
unseren Kunden das bestmögliche Produkt aus einem Segment anbieten zu können. In
letzter Konsequenz geht es natürlich auch immer um den Geschmack. Wobei guter
Geschmack bei uns nicht heißen soll, dass alles gleich schmeckt, sondern die
Individualität des Produktes betont wird.
Welche Rolle
spielen Bioprodukte in Ihrem Sortiment?
Bio ist bei uns kein Dogma. Unsere Produkte können Bio sein,
sie müssen es aber nicht. Bio steht in diesem Zusammenhang ja für eine bestimmte Form der Landwirtschaft. Deren
Qualitätsmerkmale sind aber - je nach Biostandard der angewendet wird - sehr unterschiedlich
trennscharf. Für mich ist der persönliche Kontakt zu den Händlern und
Produzenten daher wichtiger als bestimmte Zertifikate oder Siegel.
Beim Blick auf
Ihr Sortiment fällt auf, dass Sie auch viele Produkte aus Deutschland im
Angebot haben. Nun bringen viele Deutsche Spitzenqualität bei Fleisch, Käse
oder Fisch nicht unbedingt mit ihrem Heimatland in Verbindung, sondern blicken
neidisch nach Spanien, Italien oder Frankreich. Werden deutsche Frischeprodukte
unterschätzt?
Ich glaube schon. Das hat auch erkennbare Gründe:
Wir haben in der deutschen Landwirtschaft und in der angebundenen
Verarbeitungsindustrie eine starke Exportorientierung. Das heißt, dass der
Marktpreis das bestimmende Element der Planungen ist. Qualität im erweiterten
Sinne ist hier - anders als in vielen deutschen Wirtschaftszweigen - kein
Kernelement des Endproduktes. Produziert wird Massenware, die sich an den
gesetzlichen Bestimmungen und den Erfordernissen des Weltmarkts orientiert.
Gleichzeitig können wir aber beobachten, dass es in
Deutschland immer mehr kleinere Produzenten gibt, die eine andere Linie verfolgen.
Diese Produzenten arbeiten nach klaren Qualitätskriterien, sind im Bewusstsein
von großen Teilen der Bevölkerung aber noch nicht angekommen. Durch Biomärkte
oder auch das neue Interesse an Regionalität verlassen viele dieser Produkte
momentan ihre Nischen und werden somit auch für einen breiteren Kundenstamm sichtbar. Mit unserem Angebot wollen wir
helfen, diese neue Form von Qualität aus Deutschland für die Endverbraucher
zugänglich zu machen.
Welche Ziele haben Sie für die „ Genusshandwerker“ in
den nächsten Jahren?
Bis jetzt haben wir einen sehr organischen
Wachstumskurs gefahren, es wäre schön, wenn wir das in den nächsten Jahren
beibehalten könnten. Dabei ist mir persönlich der Kontakt zu
verantwortungsvollen Produzenten und Menschen mit einem Interesse für gute Lebensmittel und
Freude am Genuss besonders wichtig.
Dabei wünschen wir Ihnen viel Erfolg und bedanken uns für das Interview!
Sustainable Business Angels
Seit Oktober werden die "Genusshandwerker" auch durch die nichtkommerzielle "Sustainable Business Angels Initiative" gefördert. Im Rahmen eines zwölfmonatigen Programms erhält das Unternehmen dabei Unterstützung durch zwei verantwortungsvolle Unternehmer – in diesem Jahr Peter Kowalsky (Gründer von Bionade) und Jürgen Schmidt (Vorsitzender des Aufsichtsrates der memo AG) – und beteiligen sich an der Entwicklung von Guidelines für nachhaltige Jungunternehmen. Die Initiative Sustainable Business Angels wird durch den Europäischen Sozialfonds und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert.