Lebensmittel

Quo vadis Veganismus?

Der Moderator Michel Friedman ist selbst bekennender Fleischesser und er hat es Sebastian Joy, dem Geschäftsführer des Vegetarierbundes Deutschland e.V. (VEBU), nicht leicht gemacht. In dem Feature, das unter dem Titel „Blutwurst oder Tofu - Der Glaubenskrieg ums Fleisch – Friedman schaut hin“ Anfang April 2016 vom Sender N24 ausgestrahlt wurde, durften wir dabei sein, als in der Neuköllner Blutwurstmanufaktur 700 Blutwürste händisch hergestellt wurden, und wir erfuhren, dass Blutwürste das älteste und eines der gesündesten Fleischprodukte sind. Und überdies entspricht die Herstellung und damit der Konsum von Blutwurst der ehrenwerten Devise, das ganze Tier zu verwerten anstatt nur Filets und Schinken.

22.04.2016

Quo vadis Veganismus?

Sebastian Joy ist ein intelligenter und belesener Kopf, er bereitet sich auf Medienauftritte gut vor, aber er tat sich sichtlich schwer mit Michel Friedman. Wieso das? Hat die vegane Bewegung in der Konfrontation mit der Fleischwelt schlechte Karten? 

Die Auseinandersetzung mit Friedman zeigt uns die wunden Punkte der veganen Argumentation, die zwischen Rationalität und Emotionalität, zwischen Aufklärung und Heilslehre navigieren muss. Schauen wir in die Interviews mit Sebastian Joy.

Friedman fragt, warum Joy Vegetarier geworden ist. Antwort: „Ich hab mich einfach mit der Massentierhaltung auseinandergesetzt und mit den Folgen, die unser Fleischkonsum auf den Planeten hat, und hab dann beschlossen, dass ich es einfach mal versuchen möchte, vegetarisch zu leben. Und das war dann einfacher, als ich dachte, und deswegen bin ich dabei geblieben.“

Friedman hakt nach: „Aber hier geht es ja nicht um Massentierhaltung“. Die Antwort: „Man soll sich als Verbraucher nichts vormachen, auch bei Biohaltung werden die Tiere nicht totgestreichelt, sondern nach dem Bruchteil ihrer natürlichen Lebenserwartung gegen ihren Willen gewaltsam umgebracht. Die meisten Menschen würden auch mit ihrem Hund oder ihrer Katze nicht so umgehen. Auch wenn der Hund ein schönes Leben hatte, würde man ihn nicht nach zwei Jahren zum Schlachter bringen.“

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Alternativen

Das zeigt sehr eindrucksvoll eine Schwäche der veganen Argumentation. Denn wenn die heutige Massentierhaltung negative Auswirkungen hat – und die hat sie (Treibhausgasemissionen, Antibiotika-Missbrauch etc.) – dann müsste man sich überlegen, wie man diese Auswirkungen beseitigt. Das kann durchaus auch durch vegane Ernährungsalternativen geschehen, aber auch die Fleischproduktion nach Bio-Standards und eine handwerkliche Metzgerei wären ein Ausweg, der zwar Fleisch als Nahrungsmittel verteuern würde, aber damit einen auch gesundheitlich bedenklichen übermäßigen Fleischkonsum verringern könnte.

Das wäre ein wirtschafts-, sozial- und gesundheitspolitisches Programm und würde die vegane Bewegung in eine politische Richtung führen. Joy aber vermeidet diese rationale Argumentation und appelliert an das Mitgefühl mit der Kreatur.

Empathie

Die Empathie mit „empfindsamen“ Lebewesen, denen wir uns verbunden fühlen, weil sie ein zentrales Nervensystem aufweisen, Sozialverhalten zeigen und Schmerz verspüren, ist sicher ein starkes Motiv von Veganern. Vielleicht sind wir ja evolutionär auf einem Weg, der unsere Gehirne mit mehr Empathiefähigkeit ausstattet, um eine immer globalere Lebenswelt sozial organisieren zu können.

Tatsächlich sind wir heute immer stärker darauf angewiesen, uns auch mit Menschen verbunden zu fühlen, die aus fremden und unserem Alltag sehr fernen kulturellen Lebenswelten kommen. Die sogenannte Flüchtlingskrise zeigt uns das eben mit großer Deutlichkeit. Auch so hätte Joy argumentieren und sich als Visionär präsentieren können, hinter dessen Anliegen sogar die Evolution der Menschheit steht. Hat er aber nicht. Stattdessen vergleicht er später im Interview die Tradition des Fleischessens mit Krieg und Vergewaltigung und präsentiert uns am Ende auch noch die These, Vegetarier seien intelligenter:

Sind Vegetarier intelligenter?

Friedman: „Ich würde nie zu jemandem, der Fleisch isst, sagen, du hast ein Bildungsproblem.“ Joy: „Soweit würde ich auch nicht gehen, aber die Korrelationen sind eindeutig. Je intelligenter ein Kind ist, mit desto höherer Wahrscheinlichkeit entscheidet es sich später vegetarisch oder vegan zu leben. Das zeigt eine Langzeitstudie, die man in Großbritannien durchgeführt hat, mit mehreren Tausend Menschen.“

Abgesehen davon, dass sich dieser Zusammenhang rein soziologisch erklären lässt, weil die besser gebildeten Schichten sich mehr mit dem Zusammenhang von Gesundheit, Ernährung und Nachhaltigkeit beschäftigen (können), ist es fast ein bisschen erschreckend, wie elitär die Joysche Behauptung daherkommt. Vegetarische und vegane Ernährung sind aber weder per se gesünder noch machen sie klüger noch sind sie ein Rezept für die Rettung der Welt.

Solange der Veganismus selbst so wenig kritisch und aufgeklärt mit sich selbst umgeht, wird er etwas zwischen Lifestyle-Trend und Heilslehre bleiben. Erst wenn die Produzenten darauf verzichten, vegane Produkte als Imitate von „natürlichen“ und fleischähnlichen Nahrungsmitteln zu inszenieren und stattdessen dazu stehen, dass vegane Ernährung eine Entwicklung der Lebensmitteltechnologie ist, die Massen gesünder und umweltfreundlicher ernähren will, wird ein Fortschrittsbeitrag daraus. Wir bräuchten weniger Dogmatismus und mehr von der Haltung der in dem Friedman-Feature interviewten Köchin in einem veganen Berliner Restaurant. Für sie sei es ein spannendes Experimentierfeld und eine „Mega-Hammer“- Herausforderung, zum Beispiel das benötigte Nahrungseiweiß statt aus Fleisch nur aus Gemüse zu holen, erzählte sie. Aber natürlich esse sie auch mal eine richtige Wurst.

Quelle: UD
 

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