Wirtschaftsethik

Wie nachhaltig ist resilient?

Wieso ist „Resilienz inzwischen zu einer machtvollen Leitorientierung“ in der gesellschaftspolitischen Sphäre geworden, die sogar das Zauberwort „Nachhaltigkeit“ ablöst? Die Soziologinnen Karina Becker und Stefanie Graefe untersuchen diese Frage in dem von ihnen herausgegebenen Band 4 aus der Bibliothek der Alternativen (oekom verlag, 2021) unter dem Titel „Mit Resilienz durch die Krise?“

23.09.2021

Wie nachhaltig ist resilient?

Resilienz ist in der Psychologie ursprünglich als Persönlichkeitseigenschaft von Kindern und Jugendlichen beschrieben worden, die unter schädlichen Umfeldbedingungen weniger litten und traumatisiert wurden als andere. In der Folge wurden psychologische Programme entwickelt, um entsprechende Eigenschaften und Verhaltensweisen gezielt zu fördern. Längst ist das Konzept in die allgemeine psychologische Lebensberatung eingewandert und hat eine Flut von Ratgeber-Literatur und Trainingsprogrammen ausgelöst. So weit ist die Karriere des Resilienz-Konzepts sachlich nachvollziehbar. Aber wieso ist „Resilienz inzwischen zu einer machtvollen Leitorientierung“ in der gesellschaftspolitischen Sphäre geworden, die sogar das Zauberwort „Nachhaltigkeit“ ablöst?

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Die nächstliegende Antwort liegt in der Vagheit des Begriffs: „Resilienz ist ein Krisenbewältigungskonzept, das hinreichend unbestimmt ist, um sich auf unterschiedlichen Feldern als attraktives Lösungsangebot in Stellung zu bringen.“ (S. 8) Diese Erklärung reicht aber natürlich nicht aus. Noch am ehesten nachvollziehbar ist die Übertragung des Resilienz-Begriffs auf die Arbeitswelt. Dort nehmen die Anforderungen an die psychische Belastbarkeit anscheinend zu, werden Flexibilität und Veränderungsbereitschaft mehr denn je gefordert. Der soziologische Hintergrund dieser Entwicklung liegt in der postfordistischen Arbeitsgesellschaft: Hier „werden Arbeitende als Subjekt begriffen“, die ihre Persönlichkeit, Emotionalität, Motivationskraft in die Erfüllung ihrer beruflichen Aufgaben einbringen sollen. Die Psychologie des Mitarbeiters ist nicht länger ein zu eliminierender Störfaktor im betrieblichen Ablauf, im Gegenteil sichert sie das Commitment. Psychische Belastbarkeit wird so zum Schlüsselfaktor der Performance. Dementsprechend kommt „vor allem diejenige betriebliche Gesundheitsförderung verstärkt zum Einsatz, die in erster Linie auf verhaltenspräventive Maßnahmen setzt und dabei zugleich an die Eigenverantwortung der Beschäftigten appelliert“. (S. 66)

Schon an dieser Stelle werden die diskursiven Schemata sichtbar, die die Auseinandersetzung mit der gesellschaftspolitischen Dimension des Resilienz-Konzepts kennzeichnen. Während man die verhaltenspräventive Verantwortung des Einzelnen und den Aufbau resilienter psychischer Kompetenzen für einen humanen Fortschritt halten kann, können andererseits die Schattenseiten dieser Entwicklung darin gesehen werden, dass das marktzentrierte System auf diese Weise den psychischen Druck auf die Beschäftigten erhöht und die Notwendigkeit „verhältnispräventiver“ Verbesserungen (also Änderungen der Arbeitsbedingungen) ausgeblendet wird. Am Beispiel der psychosozialen Belastungen für die Beschäftigten im Krankenhaus problematisiert Karin Becker diese Schattenseite des Resilienz-Konzepts.

Nach demselben Argumentationsmuster lässt sich die Übernahme des Resilienz-Konzepts in der Entwicklungszusammenarbeit bewerten. Usche Merk weist in einem Beitrag zu den Sammelband von Becker und Graefe darauf hin, dass der Paradigmenwechsel von der Defizit- hin zur Ressourcenorientierung in der humanitären Hilfe weit fortgeschritten ist. Das hat zwei Seiten: „Auf diese Weisen werden zwar einerseits lokale Ressourcen und Bewältigungskompetenzen besser wahrgenommen. Andererseits aber geraten die spezifischen problemverursachenden Katastrophen und Krisen selbst … samt ihren komplexen Ursachen aus dem Blick.“ (S. 95) In dem Maße, wie Nachhaltigkeit als Leitorientierung immer mehr von Resilienz abgelöst werde, werde der Versuch, die Welt (wieder) ins Gleichgewicht zu bringen, durch die bloße Suche nach Coping-Strategien abgelöst, die uns helfen, mit einer unausgeglichenen, ungerechten und prekären Welt besser klarzukommen. Die Vulnerabilität von Bevölkerungsgruppen werde in den Fokus genommen, ohne dass man sie als Ergebnis von Macht- und Herrschaftsverhältnissen begreife. Man doktere also an Symptomen herum, ohne die Ursache zu beseitigen. Das derzeit zunehmende privatwirtschaftliche Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit und bei der Katastrophenvorsorge sei Ausdruck dieses systemerhaltenden Rückschritts zu einer Resilienzpolitik.

Die Frage, wie sich die große „gesamtgesellschaftliche“ Perspektive und die institutionellen und strukturellen Bedingungen zur Lebensrealität der Individuen und Gruppen verhalten und wo Veränderungen und Fortschritt ansetzen müssen, auf der Mikro- oder auf der Makroebene, im „System“ oder auf der Verhaltensebene, steht letztlich auch hinter den Diskursmustern des hier rezensierten Sammelbandes, dessen Beiträge alle eine Antwort suchen auf die Frage: Taugt das Resilienz-Konzept für die gesellschaftspolitische Diskussion? Von Matthias Groß und Jörg Oberthür kommen dazu entscheidende Hinweise, die erstaunlicherweise auf die Ursprünge der Soziologie zurückführen. Groß bringt mit Auguste Comte (1798-1857) den Namensgeber der Soziologie ins Spiel. Comte wies darauf hin, dass „Fortschritt“ und „Ordnung“ zwar Gegensätze, aber für die gesellschaftliche Entwicklung keine unvereinbaren Pole seien. Gesellschaftliche Ordnung, also Struktur, Herrschaftsverhältnisse, Institutionen et cetera, entstünden nur aus Fortschrittsdynamiken, genauso wie der Fortschritt immer auf politische und soziale Ordnungsmuster ziele. Emile Durkheim (1858-1917), Begründer der akademischen und empirischen Soziologie, beschäftigte sich mit Krisenphänomenen moderner Gesellschaften. Er wird in dem Sammelband von Jürg Oberthür als Beleg dafür herangezogen, dass „schon in der Gründungsphase der Soziologie der Anspruch individueller Freiheit in der Theorie so (re-)formuliert wurde, dass er nicht in einen Gegensatz zur institutionellen Ordnung geriet, sondern als deren Funktionsvoraussetzung begriffen werden konnte“. (S. 42) Was nicht auf ein harmonisierendes Gesellschaftsmodell hinausläuft, worauf Oberthür explizit hinweist, wenn er betont, dass von Durkheim „ein gewisses Maß an Reibung zwischen Individuen und institutionellen Strukturen als für moderne dynamisierte Gesellschaften unvermeidbar angenommen wird, womit auch Leidenserfahrungen gewissermaßen zum Dauerzustand werden“. (S. 43)

Es wäre also vielleicht gar nicht nötig, zwischen „Nachhaltigkeit“ als der erwünschten neuen Ordnung der Welt und „Resilienz“ als der Antwort auf das individuelle Leiden an gesellschaftlichen Zuständen einen absoluten Gegensatz zu errichten und das eine gegen das andere auszuspielen. Denn wir Lebenden sind darauf angewiesen, herauszufinden, was wir für unser individuelles Überleben und unser Lebensglück tun können und was nicht. Wir alle hängen von Dingen ab, die größer sind als wir selbst, und müssen ständig beurteilen, was in unserer Macht liegt und was nicht. Wir müssen uns um unser seelisches Gleichgewicht kümmern und darum, welcher Partei wir bei der nächsten Wahl unsere Stimme geben. Wir haben die Freiheit, uns fit zu halten oder uns schlecht zu ernähren, und wir müssen entscheiden, was wir von der Pandemie-Politik der Regierung halten und ob wir uns impfen lassen wollen, solange wir die Freiheit dazu haben. Wir müssen es aushalten, dass es so viele Optionen für uns gibt, und dass wir doch an so viele Grenzen stoßen.

Wir werden weiterleben müssen, auch wenn die Welt (was höchstwahrscheinlich ist) das 1,5-Grad-Ziel nicht erreicht. Dabei kann es uns im globalen Norden durchaus helfen, wenn wir unsere Resilienz trainieren. Anstatt unsere Frustrationsintoleranz (Warum ist die Welt nicht so, wie ich sie haben möchte, verdammt?!) und unsere existenziellen Probleme (Mein Leben ist endlich) auf eine Gesellschaft zu projizieren, die sich auch weiterhin durch Krisen entwickeln wird.

Stefanie Graefe (Hrsg.), Karina Becker (Hrsg.), Mit Resilienz durch die Krise?Anmerkungen zu einem gefragten Konzept

Stefanie Graefe/Karina Becker (Hrsg.)
Mit Resilienz durch die Krise?
Anmerkungen zu einem gefragten Konzept

Oekom Verlag, 2021, 139 Seiten
ISBN: 978-3-96238-234-6
Preis: 22,00 Euro

Quelle: UD
 

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