Wirtschaftsethik

Organisationale Voraussetzungen für Umweltschutz und Nachhaltigkeit

Warum Umweltschutz eine Lebensaufgabe ist, welche Rolle der sogenannte „Duschbrocken“ dabei spielt und welche organisationalen Voraussetzungen für Umweltschutz und Nachhaltigkeit Unternehmen schaffen müssen, damit befasst sich der aktuelle Beitrag von Prof. Dr. Frank E.P. Dievernich, Präsident der Frankfurt University of Applied Sciences, Soziologe und Wirtschaftswissenschaftler. Kann das Individuum „einmal kurz die Welt retten“ oder bleibt es, wie auch die Umwelt, Verlierer im Wettlauf mit der Zeit?

21.10.2021

Prof. Dr. Frank E.P. Dievernich
Prof. Dr. Frank E.P. Dievernich

Von Prof. Dr. Frank E.P. Dievernich

Tim Bendzko hat es auch nicht geschafft und das, obwohl er Künstler ist und eine ganze Menge Leute ihm sogar zuhören. Auch ich habe versucht, nachzumachen, wozu er in seinem Lied anstiftet: „Nur mal kurz die Welt retten“. Versagt habe ich schon beim „kurz“, vom Retten ganz zu schweigen. Das Problem, wie immer im Leben, ist die Zeit. Nicht das fehlende Wissen hindert uns, unser Verhalten zu verändern. Es mangelt wohl auch nicht an der Umsetzungskompetenz, um entsprechend umweltfreundlich das eigene Leben zu gestalten. Jedoch ist der zeitliche Rahmen nicht vorhanden, um in das konsequente Umsetzen zu kommen. Die Welt kann also gar nicht von jedem Einzelnen von uns gerettet werden, da als Voraussetzung zunächst die Umstellung des Kontextes, in dem wir uns bewegen, erfolgen muss (was aber kein Argument dafür sein soll, gar nichts mehr zu tun). Vorher laufen individuelle Rettungsaktionen Gefahr, einfach zu verpuffen oder, wohlwollend formuliert, an Stoßkraft zu verlieren. Das Individuum wie auch die Umwelt bleiben die Verlierer im Wettlauf mit der Zeit – und das, obwohl es doch auf uns alle ankommt.

Wer beginnen möchte, ein Leben ohne Plastikmüll oder besser gar ohne Verpackung zu führen, der muss eben nicht nur auf Glas umsteigen, sondern beginnen, alles unverpackt einzukaufen. Das demonstrative „Verpackungen-an-der-Kasse-liegen-lassen“ gilt dabei nicht, da der Müll, der entsorgt werden muss, bereits in der Welt ist. In Frage kommen also die nur langsam aus dem Boden sprießenden Unverpackt-Läden oder, wenn wir es auf Obst, Gemüse, Käse, Fleisch und Wurst beschränken wollen, der gute alte Wochenmarkt. Erstere müssen in den eigenen Tagesablauf eingebaut werden, wie auch der zweite, der aber nur tagesweise aufschlägt. In jedem Fall steht hier bereits eine Umstellung des bisher organisierten Lebens an. In einem arbeits- oder sozialleeren Raum dürfte das ohne große Probleme möglich sein, schwieriger, wenn nicht gar unmöglich, wird es aber, wenn man die Arbeit und die Familienabläufe in der neuen Lebensroutine integrieren muss.

Zwei Parteien schieben zwei Puzzlestücke vor einer Weltkarte zusammen.

Aktiver Umweltschutz ist eine Herkulesaufgabe

Umweltschutz ist eine Sozialisationsaufgabe, die eine Unmenge an Lebensenergie verbraucht. Sie ist gar mit einem Studium zu vergleichen, da Wissen erlangt und dann, soll es wirken, umgesetzt gehört. Es muss an und mit der Praxis erprobt werden. Und genau dafür braucht es Lebenszeit. Ein exzellentes Beispiel dafür ist der Duschbrocken, das Duschgel am Stück. Da es sich hier um ein neues Produkt handelt (ein seifenartiges Stück, welches keine Plastikverpackung mehr benötigt), bei dem weder Erfahrungen im Handling, noch im Bekanntenkreis vorliegen, muss man schon genau studieren, was man mit welcher Art der Anwendung wie an seinen Körper lässt. Alleine den Überblick über all diese neuen Produkte zu verschaffen, benötigt Zeit. Und dabei geht es hier erst nur um ein (!) Produkt. An der Kühltheke geht die Umstellung des Lebens weiter, wobei hier leider die Verpackung, die man eigentlich vermeiden möchte, bereits inkludiert ist: Margarine. Neben der Müllvermeidung spielt beim Umweltschutz jedoch auch die Verhinderung der Abholzung der Regenwälder eine beträchtliche Rolle, um nur ein Beispiel als weiteren Referenzpunkt guten ökologischen Handelns zu benennen. Margarine mit Palmöl geht also gar nicht (weil genau dafür der Regenwald den Ölplantagen weichen muss). Einfach und schnell geht es nicht, jene Variante zu finden, die darauf verzichtet. Wer einmal angefangen hat, sich näher mit dem Kleingedruckten zu befassen, merkt auch hier: Es braucht Zeit.

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Umweltschutz, die Vermeidung von Müll, ja, die Pflege der Umwelt, die letztendlich nichts anderes ist, als die Pflege seiner selbst und die der nachfolgenden Generationen, ist eine Lebensaufgabe. Sie ist, ernst genommen, genauso elementar wie das tägliche Atmen, die Nahrungsaufnahme und der Job, ohne die eine Teilhabe an der Gesellschaft nicht oder nur äußerst schwer zu bewerkstelligen ist. An genau dieser Stelle liegt die Lösung, vor allem dann, wenn es einen Rahmen braucht, der die individuellen Duschbrockennutzer:innen und Palmölvermeider:innen mit ihren einzelnen Aktivitäten wirkungsvoll unterstützen soll. Das Problem also im Leben ist, neben der Zeit, die Organisation. Das menschliche Leben ist eingebettet in eine Vielzahl von Organisationen, seien es Kindergärten, Schulen, Hochschulen, Unternehmen, Behörden et cetera. Sie stellen so etwas wie eine Akkumulation menschlichen Handelns, gebündelt in organisatorischen Logiken, dar. Organisationen sind wirkmächtig, da sie soziale Strukturen darstellen und vorgeben, wie in deren Rahmen ein menschliches Miteinander, das Handeln, stattzufinden hat. Nimmt man das ernst, dann kann die Rettung der Welt nicht ohne organisationales Zutun geschehen. Ja, viel mehr, es stellt überhaupt erst die Voraussetzung dar, um auf individueller Ebene eine ökologisch gesündere Welt erschaffen zu können.

Unternehmen als umweltbewusste Kontextgestalter

Dabei geht es hier nicht primär darum, dass Unternehmen umweltfreundlichere Produkte produzieren sollen (ja, selbstredend das auch), sondern, dass sie eine Organisations- und damit Gesellschaftskultur schaffen, in der eine aktive Teilhabe am Umweltschutz ihrer Mitarbeitenden erleichtert, ja möglich wird. Sie müssen Freiräume schaffen, dass Mitarbeitende ihren Alltag umstellen können, dass es möglich wird, ihr Leben ökologisch neu einzurichten, Produkte und Verhaltensweisen auszuprobieren, neue Alltagsprozesse einzuüben. Es geht heutzutage jenseits der Frage der Vereinbarkeit von Kinderbetreuung oder Älteren-Pflege mit der Arbeit um den nächsten Schritt. Dabei zeigt die Historie der Unternehmen, dass es geht: Sie haben es immer wieder geschafft, auf veränderte Bedürfnisse von Kunden oder der Belegschaft einzugehen. Derzeit erhält das Homeoffice einen ungeahnten Push durch die Corona-Pandemie und die Diskussion um New Work und der Integration von „Work“ in „Life“. Genau in dieser Dynamik öffnet sich die Chance, dass Unternehmen ihren Mitarbeitenden die ökologische Umgestaltung des eigenen Lebens ans Herz legen und Zeitfenster dafür schaffen. Das Ganze kann kommunikativ sogar noch mit einem Spaßfaktor in Form eines Wettbewerbes ausgestaltet werden: Warum nicht den ökologischsten Mitarbeitenden des Monats suchen? Am Ende gewinnt nicht nur die Umwelt, sondern auch die Unternehmen: gut organisierte, kreative und ökologisch gebildete Mitarbeitende.

Prof. Dr. Frank E.P. Dievernich ist Präsident der Frankfurt University of Applied Sciences, die als erste hessische Hochschule eine Nachhaltigkeitsstrategie verabschiedet hat.

Quelle: UD
 

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