Politik

Die vergessenen Milliarden

Etwa vier Milliarden Menschen auf der Erde leben von weniger als zwei US$ am Tag. Sie bilden die Mehrheit der weltweiten Bevölkerung, können am konsumorientierten Leben westlicher Prägung aber kaum partizipieren. Mit dem „Base of the Pyramid“ Ansatz (BoP) wollen Experten das Augenmerk von global operierenden Konzernen verstärkt auf diese vernachlässigte Zielgruppe lenken. Beispiele haben dabei in der Vergangenheit gezeigt, dass marktwirtschaftliche Zusammenarbeit von Unternehmen und den untersten Einkommensschichten dazu beitragen kann, Wohlstand für alle zu generieren. Gerade Firmen aus Schwellenländern haben auf diesem Gebiet schon einige Erfolge vorzuweisen, wie eine aktuelle Studie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) jetzt zeigt.

04.07.2011

Foto: Dieter Schuetz/pixelio.com
Foto: Dieter Schuetz/pixelio.com
Die amerikanischen Forscher Prahalad und Hart beschäftigten sich Ende der 90er Jahre mit den Problemen der untersten Einkommensschichten und formulierten als Konsequenz das BoP-Konzept. Erstmals wurden die ärmsten Bevölkerungsgruppen nicht ausschließlich als Almosenempfänger, sondern als Teil der Marktstruktur wahrgenommen. Bisherige Einschätzungen, denen zufolge diese Bevölkerungsschicht über eine zu geringe Kaufkraft verfüge, um langfristig einen stabilen Markt zu gewährleisten, wurden seitdem durch verschiedene Studien widerlegt: In ihrem Buch „The next 4 billion“ schätzen die Wissenschaftler Hammond, Kramer und Katz das zusammengefasste Marktpotenzial auf über fünf Billionen US$. Damit rücken die Menschen am Sockel der ökonomischen Pyramide zunehmend in das Blickfeld von multinational operierenden Konzernen. Gerade Unternehmen aus den sich entwickelnden Ländern haben an dieser Stelle ihre internen Kenntnisse von Regionen in handfeste Marktvorteile umgemünzt, so Hans-Jürgen Beerfeltz, Staatssekretär Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit, im Vorwort zur jetzt vorgestellten Studie „Fast growth and big impacts: How Emerging Market Multinationals are advancing sustainable development“. Durchgeführt wurde die Studie von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH.

Emerging Market Multinationals

Viele Unternehmen aus den schnell wachsenden Ökonomien Afrikas, Asiens und Südamerikas haben in den vergangenen Jahren eine rasante Entwicklung vorzuweisen. Die Studie umschreibt sie mit dem Ausdruck „Emerging Market Multinationals“ und meint damit die wachsende Zahl mittlerer und großer Firmen, die sich mithilfe von neuen Konzepten und lokaler Verwurzelung auf den Weltmärkten etabliert haben. Susanne Dorasil, Leiterin des Referats Wirtschaftspolitik und Finanzsektor im BMZ, sieht in diesen Unternehmen daher auch perfekte Partner für die Entwicklungszusammenarbeit: „Emerging Market Multinationals sind interessante strategische Partner für die Entwicklungspolitik, die wir bisher nicht ausreichend einbezogen haben. Sie sind sich der Herausforderungen in Entwicklungs- und Schwellenländern sehr bewusst, kennen die Märkte und haben weniger Hemmnisse, dort zu investieren“, erläutert sie während der Vorstellung der Studie. Diese liefert drei Grundmotive, die dem Engagement vieler Unternehmen an der „Base of the Pyramid“ zugrunde liegen. So werde philanthropisches Engagement in den Heimatmärkten oftmals gesellschaftlich erwartet. Investitionen in schulische Ausbildung zählen hier ebenso zu wie der Ausbau von medizinischer Infrastruktur. Daneben sind es aber vor allem handfeste wirtschaftliche Gründe, die für eine Einbeziehung der untersten Einkommensschichten sprechen. So werden aus fast mittellosen Produzenten erst Angestellte und anschließend Konsumenten - sie werden als Teil einer nachhaltigen Wertschöpfungskette wahrgenommen und gefördert. Darüber hinaus führen Investitionen in den sich entwickelnden Märkten und Ländern langfristig zu einem erleichterten Marktzugang. Kreative Produkte und Finanzierungswege führen dabei oftmals schon nach kurzer Zeit zu einem Kapitalrückfluss und damit auch zu steigenden Gewinnen.

Arbeitsplätze, Infrastruktur, Ausbildung

So zu beobachten etwa bei der Al Mansour Group: Das ägyptische Unternehmen schuf in den vergangenen Jahren 1.300 Stellen für Klein- und Kleinstproduzenten im Bereich der Nahrungsmittelversorgung. Damit etablierte der Konzern eine neue Kategorie von Discountlebensmittelläden, in denen auch untere Einkommenschichten Waren des täglichen Bedarfs einkaufen können. So wurde zum einen die Kaufkraft verschiedener Bevölkerungsgruppen erhöht, andererseits ein neues günstiges Angebot für die BoP geschaffen und die eigene Reputation innerhalb der ägyptischen Bevölkerung gesteigert.

Auch der mexikanische Baustoffhersteller CEMEX hat sein Engagement in den letzten Jahren kontinuierlich ausgebaut. Dabei entwickelte das Unternehmen eine spezielle Strategie, um Baustoffe auch Bevölkerungsgruppen mit geringem Einkommen zur Verfügung stellen zu können. Zusätzlich bietet das Unternehmen technische Hilfe bei der Umsetzung von Bauvorhaben an. Gerade Hausbesitzer mit niedrigen Eigenmitteln bauen in Mexiko ihre Häuser oftmals selbst oder erweitern bestehende Gebäude in Eigenregie. Mithilfe des Programms konnte CEMEX die Kosten solcher Umbaumaßnahmen um 30 Prozent, die tatsächliche Bauzeit sogar um 60 Prozent senken.

Mit 520 Millionen Kunden ist China Mobile der größte Mobilfunkanbieter der Welt. Um seine Präsenz auch in die ärmeren Gegenden der Volksrepublik auszuweiten, initiierte das Unternehmen ein ambitioniertes Trainings- und Ausbildungsprogramm für die Landbevölkerung. In speziellen Schulungen konnten Bauern den Umgang mit Computern, Mobiltelefonen und dem Internet lernen. Mithilfe der von China Mobile angebotenen Leistungen hatten die Menschen über ihre Dorfgemeinschaft anschließend direkten Zugang zur Außenwelt, konnten sich über aktuelle Marktpreise oder neue Agrartechnologien informieren und steigerten so ihr monatliches Einkommen.

Zu wenig Mut in Europa

Auch die GIZ selbst verfügt über Erfahrung mit Projekten an der Base of the Pyramid. Gemeinsam mit der Allianz Versicherung startete die Organisation 2004 im Auftrag des BMZ etwa ein Programm, um arme Bevölkerungsgruppen gegen existenzbedrohende Unfälle, Krankheiten oder Naturkatastrophen abzusichern. Diese Mikroversicherungen sind eine Voraussetzung für die dauerhafte Bekämpfung von Armut, da Betroffene bisher keinen Zugang zu staatlichen geschweige den privatwirtschaftlichen Sicherungsformen hatten. Gemeinsam mit der GIZ entwickelte die Allianz bis 2011 innovative Mikroversicherungsprodukte und konnte sich so als verantwortungsvoller Partner in den Märkten Indiens und Indonesiens platzieren. Trotz dieser und ähnlicher positiver Beispiele hält sich das Engagement von Firmen aus Industrienationen an der BoP bisher in engen Grenzen. Anders als viele Emerging Market Multinationals scheuen sie Einstiegshürden und das mit dem unbekannten Marktsegment verbundene Risiko. Bei der GIZ verweist man daher immer wieder auf bisher positive Erfahrungen und würde sich eine Steigerung des Engagements auch deutscher Firmen an der Base of the Pyramid wünschen.
Quelle: UD
 
Newsletter

Unsere Verantwortung/Mitgliedschaften

Logo
Serverlabel
The Global Compact
Englisch
Gold Community
Deutsches Netzwerk Wirtschaftsethik
Caring for Climate

© macondo publishing GmbH
  Alle Rechte vorbehalten.

 
Lasche