„Deutschland hängt bei der digitalen Planungskultur meilenweit hinterher“
Die neue Bauproduktenverordnung (BauPVO) soll Nachhaltigkeit und Digitalisierung im Bausektor zusammenbringen. Aber wie viel Substanz steckt hinter dem digitalen Produktpass? Und warum dauert die vollständige Umsetzung bis 2045? Florian Pronold, Geschäftsführer des Instituts Bauen und Umwelt (IBU) spricht im UmweltDialog-Interview über Chancen und Stolpersteine.
17.06.2025

Letzte Woche sprachen wir darüber, dass die neue Bauproduktenverordnung (BauPVO) den Bausektor nachhaltiger machen will. Wenn es um Nachhaltigkeit im Bausektor geht, gilt zirkuläres Bauen als das große Zukunftsversprechen. In der Praxis wird es aber bisher nur wenig umgesetzt. Gibt die BauPVO hier einen Schub, oder bleibt die Kreislaufwirtschaft in der Baubranche ein Nischenthema?
Pronold: Die BauPVO macht Umweltkennzahlen zur Pflicht. Damit rückt auch das Thema graue Energie viel stärker in den Fokus als bisher. Wenn man sich zum Beispiel die Förderlogik in Deutschland bis vor wenigen Jahren anschaut, dann ging es fast ausschließlich um die Gebäudehülle – also um das, was rechnerisch die Effizienz eines Gebäudes steigert. Aber es wurde kaum der gesamte Lebenszyklus berücksichtigt. Also zum Beispiel die Frage, wie viel graue Energie wende ich auf, um ein Gebäude zu dichten und zu dämmen? Wann rentiert sich das im Lebenszyklus? Und genau solche Lebenszyklusanalysen müssen jetzt durchgeführt werden. Davon profitieren ganz konkret die Unternehmen, die Rezyklate einsetzen, Recycling ermöglichen oder ihre Produke wiedernutzbar machen können, Stichwort Re-Use.
Und diese Ökokennzahlen sollen zukünftig Teil des ebenfalls obligatorischen Digitalen Produktpasses werden. Dieser soll für Transparenz sorgen, aber kann er tatsächlich zur Nachhaltigkeit beitragen? Oder droht hier ein weiteres Datenmonster ohne Wirkung auf die Baupraxis?

Pronold: Beim digitalen Produktpass wird es darauf ankommen, die „babylonische Sprachverwirrung“ zu vermeiden. Denn das größte Risiko ist tatsächlich, dass die Daten am Ende nicht kompatibel miteinander sind. Wir sind beim Institut Bauen und Umwelt aktuell an einer noch freiwilligen Plattform beteiligt, auf der wir versuchen, genau das zu verhindern. Wir wollen einheitliche, austauschbare Datensätze schaffen. Ziel ist es, dass die Informationen aus dem digitalen Produktpass genauso verwendbar sind wie die aus einer EPD – also einer Umweltproduktdeklaration. Für unseren eigenen EPDs sind zum Beispiel bereits maschinenlesbare Formate hinterlegt, die sich direkt in andere Systeme integrieren lassen.
Wenn es gelingt, diese Kompatibilität und Mehrfachverwertbarkeit sicherzustellen, dann kann der digitale Produktpass sehr wohl zur Nachhaltigkeit beitragen. Aber dafür braucht es einheitliche Standards und den politischen Willen, das auch durchzusetzen.
Beim Thema Digitalisierung hat sich Deutschland in den letzten Jahren nun nicht grade mit Ruhm bekleckert. Bekommen wir Standardisierung, kompatible Daten und passende Plattformen überhaupt hin?
Pronold: Zumindest für den Bereich der Bauprodukte ist die Grundlage unter anderem durch die bestehenden EPDs eigentlich schon da. Die Herausforderung liegt allerdings darin, dass mögliche Schnittstellen zum digitalen Produktpass und zu anderen Systemen sauber geklärt werden . Auch Lebenszyklusdaten dauerhaft aktuell und abrufbar zu halten ist nicht so banal, wie es klingt. Wenn man tiefer ins Detail schaut, wird es natürlich technisch komplex – aber es ist prinzipiell umsetzbar.
Das größere Problem liegt woanders: Deutschland hängt bei der digitalen Planungskultur meilenweit hinterher. Wir haben außerdem die klassische Gewerketrennung in Deutschland. Und das führt nicht grade dazu, dass wir bei der Organisation des Bauens die innovativsten sind.
Wie können wir das ändern?
Pronold: Es gibt durchaus Firmen, die schon heute Vorreiter sind – etwa im seriellen Bauen. Wir selbst haben gemeinsam mit Softwareunternehmen bereits Lösungen für produktspezifische oder sogar projektspezifische EPDs entwickelt. Wenn zum Beispiel eine bestimmte Betonmischung ein Werk verlässt, wird direkt ein digitaler Datensatz eben für diese spezielle Betonmischung mitgeliefert – drittgeprüft und bereit zur Integration in Software. Es gibt also Innovationen. Jetzt kommt es aber erstmal darauf an, dass sich Unternehmen frühzeitig auf die BauPVO einstellen und vorbereiten – auch wenn sie formal vielleicht erst in sieben oder acht Jahren unter die harmonisierten Vorgaben fallen.
Apropos Zeit: Die vollständige Umsetzung der BauPVO soll erst in 20 Jahren vollzogen sein. Für die europäischen Klimaziele ist das allerdings viel zu spät. Ist das angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise nicht ein fatales Signal?
Pronold: Die Erreichung der Klimaziele hängt nicht allein an der Bauproduktenverordnung – sie ist nur ein Baustein innerhalb eines viel größeren Regelwerks auf europäischer, nationaler und internationaler Ebene. Dass der Umsetzungszeitraum der BauPVO so lang angesetzt ist, hat sehr konkrete Gründe. Hinter jeder Bauproduktkategorie stehen umfangreiche Fragestellungen rund um die Lebenszyklusbewertung, die noch geklärt werden müssen. Zum Beispiel: Wie geht man mit Ausschuss um? Gilt er als Abfall oder als weiterverwertbares Wirtschaftsgut? Beide Varianten verändern die Ökobilanz erheblich – je nachdem, aus welcher Perspektive man rechnet. Wenn solche Fragen nicht sauber und einheitlich geregelt sind, entsteht am Ende ein verzerrtes Bild.
Für rund 30 Bauproduktkategorien müssen solche Regeln jetzt auf europäischer Ebene definiert und veröffentlicht werden. Pro Kategorie rechnet man mit etwa zwei Jahren – teils läuft das parallel, teils nacheinander. Und deswegen geht man von einem so langen Umsetzungszeitraum aus, bis alle Bauprodukte wirklich unter die neue BauPVO fallen.
Bis 2045 ist die Verordnung dann endlich umgesetzt – aber ist sie dann nicht längst überholt? Wie sinnvoll ist ein Regelwerk, das 20 Jahre bis zur vollständigen Umsetzung braucht, während sich Klimaziele und wissenschaftliche Erkenntnisse längst weiterentwickeln?
Pronold: Zunächst einmal ist die neue Bauproduktenverordnung ein riesiger Schritt nach vorn, gerade was die ökologischen Daten betrifft. Bisher arbeiten wir in der Praxis oft mit generischen Durchschnittsdaten für Bauprodukte. Die neue BauPVO hingegen verlangt jetzt produktspezifische und genaue Umweltinformationen. Und weil die Anforderungen für immer mehr Produkte gelten, bekommt die Ökobilanzierung nochmal einen starken Schub.
Natürlich wird es aber weiter Innovationen geben. Entsprechend werden auch die Regeln zur Ökobilanzierung künftig angepasst werden müssen. Die BauPVO ist deshalb kein starres Korsett, sondern ein Rahmen, der weiterentwickelt werden kann. Und die so erhobenen ökologischen Daten bieten die Grundlage für Weiterentwicklungen.
Vielen Dank für das Gespräch!