„Wer hier schönrechnet, riskiert viel“
Mehr Transparenz, weniger Greenwashing: Mit der neuen Bauproduktenverordnung (BauPVO) wird Nachhaltigkeit im Bausektor messbar. Doch bringt das Regelwerk echten Wandel – oder nur mehr Bürokratie? Warum die BauPVO ein großer Schritt nach vorne ist und was die Hersteller von Bauprodukten davon haben, erklärt Florian Pronold, Geschäftsführer vom Institut Bauen und Umwelt (IBU) im UmweltDialog-Interview.
11.06.2025

Die neue Bauproduktenverordnung (BauPVO) ist im Januar dieses Jahres in Kraft getreten. Was war an der alten eigentlich so falsch – und warum brauchte es jetzt einen Neustart?
Florian Pronold: Die letzte Novelle auf europäischer Ebene der Bauproduktenverordnung liegt 15 Jahre zurück. Bisher war sie im Kern eine Leistungserklärung für technische Daten von Bauprodukten – also zum Beispiel Druckfestigkeit, Wärmeleitfähigkeit und ähnliche Eigenschaften. Wichtig war sie zu modernisieren und mit anderen Politikzielen in Einklang zu bringen. Der große Fortschritt ist, dass auch ökologische Daten über den gesamten Lebenszyklus eines Bauprodukts in die Leistungserklärung mit aufgenommen werden und Ziele wie eine bessere Kreislaufwirtschaft unterstützt werden.
Eine zentrale Neuerung der BauPVO ist also, dass Nachhaltigkeitskennzahlen für Bauprodukte nun Pflicht sind. Aber: Nur weil Zahlen vorliegen, wird noch nichts nachhaltiger. Ist das am Ende nur ein bürokratischer Selbstzweck?

Pronold: Ich denke, das Gegenteil ist der Fall: Was man nicht messen kann, kann man auch nicht gezielt verändern. Wir erleben in der Baubranche wie auch in anderen Bereichen, dass Greenwashing ein echtes Problem ist. Deshalb sind objektive, überprüfbare Zahlen als Grundlage für Entscheidungen so wichtig. Die Zahlen helfen am Ende festzustellen, ob ein Gebäude und ein Produkt in diesem Kontext tatsächlich nachhaltiger ist oder eben nicht. Das ist ein großer Schritt nach vorn. Zwar machen immer mehr Unternehmen EPDs. Aber viele haben noch keine ökobilanziellen Daten oder nur für ein kleines Segment ihrer Produktpalette.
Dabei gehört die Bauindustrie seit Jahren zu den größten CO2-Verursachern. Warum kommt die Verpflichtung zur Veröffentlichung der Ökokennzahlen erst jetzt?
Pronold: Als die letzte Fassung der Bauproduktenverordnung vor rund 15 Jahren entstand, war weder in der Politik noch in der Branche das Bewusstsein vorhanden, Nachhaltigkeitskennzahlen überhaupt mitzudenken. Trotzdem wurden EPDs in der letzten Fassung schon empfohlen, dank dem ehemaligen Präsidenten des IBU Herr Prof. Bossenmayer. Allerdings konnte man damals die Firmen, die so etwas freiwillig gemacht haben, an wenigen Händen abzählen. Seitdem hat sich enorm viel verändert. Vor 40 Jahren haben sich sechs Firmen mit dem IBU auf den Weg zu mehr Nachhaltigkeit gemacht, heute zählen wir über 370 Mitgliedsfirmen.
Gleichzeitig ist es nicht so einfach zu sagen, der eine Baustoff ist nachhaltiger als der andere. Das zeigt sich oft erst im konkreten Gebäude und hängt stark vom Einsatzzweck ab. Ein Keller aus Holz ist zum Beispiel keine gute Idee. Holz und Wasser vertragen sich nicht gut. Oder schauen Sie sich ein dreifachverglastes Fenster an: Als einzelnes Produkt hat es eine objektiv gesehen schlechte Ökobilanz als ein einfachvergastes Fenster wegen des hohen Glasanteils. Aber im Gesamtgebäude verbessert es die Energiebilanz deutlich – da relativiert sich das wieder. Solche Zusammenhänge muss man mitdenken.
Klingt komplex.
Pronold: Das ist es tatsächlich. Bisher war das eben Bestandteil von freiwilligen Umweltproduktdeklarationen (EPDs), nun wird es verpflichtend. Derzeit liegt der Fokus vor allem auf CO2 – das ist auch die erste Kennzahl, die nach der neuen BauPVO verbindlich veröffentlicht werden muss. Aber wer schon einmal eine vollständige Ökobilanz gemacht hat, weiß: Auch andere Faktoren wie Frischwasserverbrauch, Verschmutzung von Boden und Luft, oder gesundheitliche Auswirkungen sind zentral – und werden ebenfalls bald verpflichtend. Wer will, kann schon jetzt alle relevanten Indikatoren freiwillig offenlegen – und das empfehlen wir ausdrücklich, zumal es kein Mehraufwand in der Erstellung der Ökobilanz darstellt.
Für die Hersteller ist das ein enormer Aufwand. Haben Unternehmen überhaupt einen Mehrwert – oder ist das einfach nur eine regulatorische Zumutung?
Pronold: Der Aufwand ist tatsächlich nicht zu unterschätzen: Eine EPD erfordert eine detaillierte ökobilanzielle Aufarbeitung des gesamten Produktionsprozesses. Das machen noch die wenigsten Firmen intern, auch wenn der Trend bereits erkennbar ist das Know-how inhouse anzusiedeln, da braucht es spezialisierte Expertise – und die ist gefragt. Der Vorteil eines solchen Prozesses ist, dass Unternehmen sich ihre eigenen Abläufe sehr genau anschauen. Dann tauchen auf einmal Fragen auf wie: Warum haben wir eigentlich 20 Prozent Ausschuss? Oder warum ist unser Energieverbrauch so hoch – mit entsprechendem CO2-Ausstoß? Diese Erkenntnisse führen nicht nur zu besseren Umweltbilanzen, sondern oft auch zu wirtschaftlichen Verbesserungen.
Hinzu kommt: Viele unserer mittelständischen Unternehmen berichten inzwischen, dass sie mit ihren EPDs auch bei Ausschreibungen punkten – weil genau diese Umweltkennzahlen zunehmend nachgefragt werden. Und das wird sich – trotz dem hin und her in der Klimaschutzfrage – grundsätzlich nicht ändern.
Sie sprachen vorhin von Greenwashing. Laut BauPVO sollen die Hersteller in Eigenverantwortung erklären, dass ihre Produkte die EU-Vorgaben einhalten. Klingt nach einem Einfallstor fürs Schönrechnen.
Pronold: Wer hier schönrechnet riskiert viel. An dieser Leistungserklärung hängt nämlich der gesamte Marktzugang in Europa. Wenn da falsche Angaben gemacht werden, darf das Produkt nicht mehr verkauft werden – das ist eine ganz klare und risikobehaftete Grenze. Zudem braucht es für die ökologischen Daten weiterhin unabhängige, zertifizierte Dritte, die diese Zahlen verifizieren, sogenannte Notified Bodies. Sie prüfen die Daten nach wissenschaftlich anerkannten Kriterien – insbesondere nach der Norm EN 15804. Letztlich sind damit auch Haftungsfragen verbunden.
Natürlich gibt es immer ein Restrisiko – überall dort, wo sich jemand kurzfristige Vorteile erhofft, wird es auch Versuche geben, das System zu unterlaufen. Wir sehen aktuell auch, dass einige versuchen, neu in diesen Markt als Prüfer einzusteigen, oft mit der Vorstellung, das sei ein leichtes Geschäft. Aber wer als Hersteller mit unzuverlässigen Prüfern oder schlechten Verifizierern arbeitet, riskiert seine Glaubwürdigkeit – und seinen Marktzugang. Das ist im Eigeninteresse der Hersteller, hier seriös zu arbeiten.
Vielen Dank für das Gespräch!