Mit Lasern und Glas zur sauberen Energie: Wie SCHOTT die Kernfusion vorantreibt
Ein Pellet in der Größe eines Pfefferkorns, 192 Laserstrahlen, und mehr als 100.000.000 Grad Celsius: Das ist – zugegeben wirklich sehr vereinfacht – das Rezept für eine Kernfusion auf der Erde. Im kalifornischen National Ignition Facility wird erforscht, wie man damit saubere Energie erzeugen kann. Die Komponenten dafür stammen unter anderem vom Spezialglashersteller SCHOTT.
22.04.2025

Wenn das Wissenschaftsteam der National Ignition Facility (NIF) eine Kernfusion durchführt, entstehen für den Bruchteil einer Milliardensekunde extreme Temperaturen, die siebenmal heißer sind als der Kern der Sonne. Damit wird die Anlage des Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) in Kalifornien kurzzeitig zum heißesten Ort unseres Sonnensystems. Das Ziel der Forschenden ist es, durch Kernfusion nachhaltige Energie zu erzeugen und so eine saubere Energiequelle zu erschließen. Vorbild dafür ist die Sonne. In ihrem Inneren findet stetig eine Kernfusion statt. Dort verschmelzen pro Sekunde 600 Millionen Tonnen Wasserstoff zu 596 Millionen Tonnen Helium. Die übrig gebliebenen vier Millionen Tonnen werden dann als Energie freigesetzt.
Doch was die Sonne im großen Maßstab ganz einfach schafft, muss hier auf der Erde ziemlich kompliziert herbeigeführt werden. Man kann eine Kernfusion entweder mit Hilfe eines Magnetfeldes oder durch Laserfusion erreichen. Letzteres – die sogenannte Trägheitsfusion – wendet das Team im NIF an. Hierbei wird ein Laserpuls durch Glasfasern zu 48 Vorverstärkern aus Neodym-dotiertem Phosphat-Laserglas geleitet, die die Energie des Pulses um ein Milliardenfaches verstärken und ihn in Form bringen, erklärt Spezialglashersteller SCHOTT. Der Laserpuls durchläuft noch viele weitere Stationen aus Verstärkern, optischen Gläsern, Spiegeln und Filtern, bis 192 Laserstrahlen kurz vor der Zielkammer durch weitere optische Baugruppen treten und vier Millionen Joule Infrarotenergie in zwei Millionen Joule Ultraviolettenergie umwandeln. Das ultraviolette Licht trifft auf das Ziel (ein etwa pefferkorngroßes Wasserstoff-Pellet) und löst eine Kernfusion aus, so SCHOTT. Das Unternehmen weiß, wovon es spricht, denn es stellt einen Großteil der Glaskomponenten für das NIF her, die zentral für die Kernfusion sind.
SCHOTT: robuste Glaslösungen für herausfordernde Umgebung
„Das Laserglas ist das Herzstück des Lasers“, meint Tayyab Suratwala, Program Director of Optics and Materials Science & Technology beim NIF. „Es ist das Material, das zu einer Steigerung von Energie und Leistung des Lasers führt.“ Der Weg bis hin zu den passenden Glaslösungen für Fusionsreaktionen war allerdings ein langer: Bereits seit 1997 arbeitet SCHOTT dafür eng mit den Forschenden des LLNL zusammen. „Um das richtige Glas für diese spezielle Anwendung zu schaffen, bedurfte es erheblicher Entwicklungsarbeit“, erklärt Bill James, Vice President R&D bei SCHOTT North America. Denn das Team stand gleich vor mehreren Herausforderungen. Zum einen musste das Material großen Mengen an Energie standhalten können. Gleichzeitig sollte das Laserlicht gefiltert und verstärkt werden. Darüber hinaus waren Schutzschilde nötig, die die Optiken vor Beschädigungen schützen und außerdem günstig und schnell herstellbar waren. „Joe Hayden auf unserer Seite und Jack Campbell seitens des LLNL waren maßgeblich daran beteiligt, Chemie und optische Physik zu verstehen und herauszufinden, was für die Herstellung von platinpartikelfreiem Laserglas erforderlich ist“, so James weiter. Durch die enge Zusammenarbeit entstand zum einen eine neue Glaszusammensetzung, die an die speziellen Anforderungen des NIF angepasst war. Zum anderen entwickelte das Team neue und effizientere Herstellungsprozesse für die nötigen Komponenten, sodass das NIF seine Anzahl an Experimenten erhöhen konnte.
Derzeit sind rund 40.000 optische Komponenten wie Spiegel, Wellenplatten und Laserverstärkerplatten von SCHOTT Bestandteil des Lasersystems im NIF. Allein zwischen 2000 und 2004 produzierte das Unternehmen etwa 4.000 LG-770 Phosphatglasplatten, die auch heute noch im Einsatz sind. Zum Schutz der Spiegel und Optiken kommt Borosilicatglas zum Einsatz. Dieses ist mechanisch, chemisch und thermisch widerstandsfähig und hat außerdem eine hohe Transparenz. „Seine robusten Eigenschaften machten BOROFLOAT zum idealen Material für extreme Umgebungen“, so Tina Gallo, Managerin Applications & Logistic Services bei SCHOTT North America. Immerhin müssen die Komponenten bei einer Kernfusion extrem hohe Temperaturen aushalten. Das Borosilicatglas stellt SCHOTT am Standort Jena im Floatverfahren her, das Glas muss im NIF regelmäßig erneuert werden.

Erfolg 2022: erste „Zündung“ im NIF
Pro Jahr werden rund 400 Laserschüsse im NIF zu Forschungszwecken abgegeben und etwa zweimal im Monat erfolgt ein Hochleistungsschuss, der eine Kernfusion erreichen soll. Den ersten Durchbruch schaffte das Team Ende 2022: Die Forschenden erreichten eine sogenannte Zündung und erzielten erstmals einen Netto-Energiegewinn. Das heißt, bei der Kernfusion entstand mehr (Wärme-) Energie als der Laser investierte. Nicht mit einberechnet ist hier allerdings die Energie, die benötigt wird, um den Laser abzufeuern. „Für uns war es unglaublich aufregend, diesen Durchbruch mit unserem Lasersystem zu schaffen. Wir haben einen Energieüberschuss erzielt“, meinte Laserphysiker Bruno Van Wonterghem, Operations Director beim LLNL. Auch in der hiesigen Wissenschaftslandschaft freute man sich: „Die Kraft der Sterne auf die Erde zu bringen, markiert einen Wendepunkt für die Menschheit, der die Aussicht auf eine saubere, reichhaltige, sichere und zuverlässige Energiequelle greifbar macht“, äußerte sich etwa Professor Constantin Häfner, Vorstand für Forschung und Transfer der Fraunhofer-Gesellschaft. Seit der Zündung 2022 konnten die Forschenden des NIF die Reaktion bereits mehrfach wiederholen, berichtet das Magazin nature.
Wann wird Fusionsenergie salonfähig?
Bis zur rentablen Energiegewinnung durch Kernfusion dauert es aber wohl noch. „Ich halte es für realistisch, dass ein erster Fusionsreaktor in 20 bis 25 Jahren mehr Energie erzeugt, als er verbraucht“, glaubt etwa Prof. Dr. Christian Linsmeier, Direktor des Institute of Fusion Energy and Nuclear Waste Management, Forschungszentrum Jülich GmbH (FZJ). „Dafür müsste die Politik jetzt den Startschuss geben und die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie im großen Maßstab fördern.“ Bis die erste Industriegeneration einsatzbereit sei, würde es seiner Einschätzung nach noch weitere zehn Jahre dauern. Linsmeier vermutet, dass der erste funktionsfähige Reaktor außerdem auf Fusion durch Magneteinschluss setzt. Die Laserfusion stehe vor zu großen Herausforderungen.
Tatsächlich wollen Union und SPD laut den Sondierungspapieren die Fusionsforschung stärker fördern. Der erste Fusionsreaktor der Welt soll sogar in Deutschland stehen. Und auch zahlreiche Unternehmen haben sich schon auf den Weg gemacht, wie der kürzlich veröffentlichte Arthur D. Little Report zeigt (UmweltDialog berichtete). So sei die Anzahl der Start-ups im Bereich Fusionsenergie zwischen 2021 und 2204 um 68 Prozent gewachsen. Der Weg zur Marktreife der Technologie ist herausfordernd, sagt Stephan Ruehl, Partner Arthur D. Little: „Gelingt es jedoch, diese Hürden zu meistern, erschließen wir uns einerseits Zugang zu einer sicheren und nachhaltigen Energiequelle und andererseits eine entscheidende Rolle in der globalen Skalierung der Technologie mit erheblichen wirtschaftlichen Chancen.“