Lieferkette

Freiwilligkeit allein bringt faire Mode nicht voran

Ausbeutung, Kinderarbeit, lebensgefährliche Arbeitsplätze: In der globalen Textilindustrie läuft immer noch eine Menge gewaltig schief, trotz gutgemeinter Brancheninitiativen wie dem deutschen Textilbündnis. Das Familienunternehmen Tchibo, ein Platzhirsch der Branche, fordert nun strengere Vorgaben vom Gesetzgeber. „Freiwillige Initiativen bringen uns auf Dauer nicht weiter.“

10.04.2019

Freiwilligkeit allein bringt faire Mode nicht voran
Diskussionsrunde v.l.n.r.: Dr. Hajo Schumacher (Moderator), Thomas Linemayr (CEO Tchibo), Dr. Gerd Müller (Bundesentwicklungsminister), Jenny Holdcroft (IndustriALL).

Das sagte Nanda Bergstein, Tchibo-Direktorin für Unternehmensverantwortung und Nachhaltigkeit während einer Dialogveranstaltung, zu der das Unternehmen Anfang April nach Berlin eingeladen hatte. Bergstein fordert dort von der Bundesregierung und der europäischen Textilbranche ein klares Bekenntnis zu ACT, einem Bündnis internationaler Textilproduzenten und -händler, das sich in Produzentenländern wie Kambodscha für flächendeckende existenzsichernde Löhne einsetzt.

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„Wir müssen mehr gemeinsam tun“

In Sachen Fairness und Nachhaltigkeit, so Bergstein, habe sich in den globalen Lieferketten zwar schon einiges getan. Auch mittelständische Unternehmen wie Tchibo hätten hier etwas bewirken können. Die Fortschritte seien aber insgesamt zu klein, und Ansätze wie die Nachhaltigkeitszertifizierung von Produzenten gelangten an ihre Grenzen. Bergstein: „Wir müssen mehr tun, und wir müssen mehr gemeinsam tun.“ Nötig sei ein ganzheitliches Vorgehen, das Hersteller, die Politik, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft auf Augenhöhe zusammenbringt. 

Genau hier liegt die Krux: Die Ansätze, mit denen heute für mehr Nachhaltigkeit in globalen Lieferketten gesorgt wird, basieren oft auf Freiwilligkeit. Das deutsche Textilbündnis etwa, das Bundesentwicklungsminister Gerd Müller nach einer Brandkatastrophe in Bangladesch ins Leben gerufen hatte, bei dem 2013 mehr als 1.100 Menschen starben und über 2.000 verletzt wurden. Viele der Opfer nähten Kleidung für deutsche Marken. Einige Marken schlossen sich später dem Bündnis für nachhaltige Textilien an, um die Arbeitsbedingungen vor Ort zu verbessern. Bis heute macht allerdings nur knapp die Hälfte der deutschen Textilbranche mit.

Erstes Diskussionspanel zum Thema faire Löhne / ACT on Living Wages
Erstes Diskussionspanel zum Thema faire Löhne / ACT on Living Wages

Engagement des einen, Vorteil des anderen 

Tchibo ist seit Juni 2015 Mitglied im Textilbündnis und will sich auch in Zukunft für mehr Nachhaltigkeit in den globalen Lieferketten einsetzen, auch mit Geld. Aber, so Unternehmensdirektorin Bergstein, Tchibo stehe „heute an einer Schwelle, an der wir unsere Investments nicht mehr nennenswert steigern können, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden“. Gerade wenn sich nicht alle Unternehmen einer Branche in freiwilligen Initiativen engagierten, sei es um so wichtiger, dass für alle die gleichen Bedingungen gelten, in Deutschland und in Europa.

Dass es oft die Wirtschaft ist, die auf Freiwilligkeit pocht, daran erinnerte in Berlin Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Tchibo bezeichnet er als einen „Champion“ des Textilbündnisses, als Unternehmen, das bei der Nachhaltigkeit in den Lieferketten vorangehe. Dem oft seitens der Wirtschaft vorgetragenen Argument, komplexe Lieferketten könne man nicht vollständig auf Nachhaltigkeit eichen, widersprach der Minister. Müller: „Wir können ganze Lieferketten nachhaltiger machen, wir können ökologische Standards garantieren, und wir können ordentlich zahlen.“ 

Existenzsichernde Löhne 

Der Weg zu einer angemessenen Entlohnung, auch daran erinnerte Müller, ist in vielen Branchen indes noch lang. Der Einkaufspreis für eine Jeans liege oft nur bei einer Handvoll Euro, der für ein Kilo Bananen bei 13, 14 Cent. Kaffeebohnen, die hierzulande für zwölf Euro das Kilo über die Theke gingen, brächten dem Kaffeebauern 50 Cent. „Wir dürfen nicht vergessen“, so Müller, „dass hinter jedem Produkt Menschen stehen, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben müssen“. Schon eine moderate Anhebung der Preise könnte viel für existenzsichernde Löhne tun. 

Wie schwer es in der Praxis tatsächlich ist, höhere Löhne in der Textilindustrie (oder anderen globalisierten Industrien) durchzusetzen, lässt sich derzeit in Kambodscha beobachten. Dort verhandeln 21 internationale Textilmarken mit der Regierung und Arbeitgebern über die Einführung von flächendeckenden Tarifverhandlungen, um die Löhne auf ein existenzsicherndes Niveau anzuheben. Die beteiligten Unternehmen stehen für rund 50 Prozent der kambodschanischen Textilproduktion und kooperieren unter dem Dach der Initiative „ACT on Living Wages“

Zweite Diskussionsrunde zum Thema fairer Handel
Zweite Diskussionsrunde zum Thema fairer Handel

Der Wettbewerb 

Tchibo bescheinigt der – freiwilligen – Initiative viel Potenzial. „Wir drohen aber daran zu scheitern, dass nicht genügend Partner aus der Textilindustrie mitmachen“, so Bergstein. Bislang ist (wie beim deutschen Textilbündnis) erst die Hälfte der Branche dabei. Und die Regierung scheint besorgt, dass die andere Hälfte bei höheren Löhnen aus dem Markt abwandert – und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit Kambodschas leidet. Umgekehrt lassen sich flächendeckende existenzsichernde Löhne kaum durchsetzen, mangelt es ACT an Unterstützern. 

Tchibo fordert deswegen eine „Verpflichtung aller textilen Marktteilnehmer“, sich an ACT zu beteiligen. Vorstandsvorsitzender Thomas Linemayr will, dass diese Pflichten „europaweit und für alle Marktteilnehmer gelten müssen“. Auch Nanda Bergstein nennt das „dringend notwendig“. Denn mit freiwilligen Initiativen einzelner Firmen werde die Branche nicht schnell genug vorankommen. Dann, so Bergstein, „wird ‘fair fashion’ eine Illusion bleiben“.

Über die Tchibo Stakeholder-Diskussion „Nachhaltigkeit“

Das Hamburger Familienunternehmen Tchibo hat am 3. April 2019 in die Berliner Veranstaltungsstätte „Alte Münze“ geladen, um dort über faire Löhne in der Textilindustrie zu diskutieren. Zugegen waren neben Tchibo-CEO Thomas Linemayr der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr. Gerd Müller, Bundesaußenminister a.D. Joschka Fischer, Vertreter der ACT-Initiative und des globalen Gewerkschaftsverbundes IndustriALL sowie weitere Branchenkenner. Die Veranstaltung stand unter dem Motto „Über Fairness in unfairen Zeiten“ und war die bislang dritte ihrer Art.

Quelle: UmweltDialog
 

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