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Von der Kohlemine zur Datenmine

Im tschechischen Ostrava arbeiten die Mitarbeiter von Porsche Engineering an der Schnittstelle zwischen Fahrzeug und Elektronik. Sie kombinieren klassische Automobiltechnik mit neuesten IT-Technologien und stehen im engen Austausch mit der akademischen Welt vor Ort.

25.08.2021

Von der Kohlemine zur Datenmine
Ostrava, Tschechien

Vor 20 Jahren setzte Porsche Engineering den ersten Schritt in einen internationalen Wachstumskurs und eröffnete den Standort in Prag, Tschechien. 2018 folgte dann die tschechische Standorterweiterung mit der Eröffnung eines Büros in Ostrava.

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Fragt man Michal Petřek, was Ostrava als Standort für die Entwicklung neuer Fahrzeugtechnologien so besonders macht, muss er nicht lange überlegen. „Hier hat die Automobilindustrie eine lange Tradition“, erklärt der Leiter des Porsche Engineering-Standorts in Tschechiens drittgrößter Stadt. „Ganz in der Nähe, in der Stadt Kopřivnice, befindet sich zum Beispiel der Sitz von Tatra. Das ist die drittälteste Firma der Welt, die ohne Unterbrechung Autos produziert.“ Neben dem Automobilbau kann hier auch eine zweite Industrie auf eine jahrzehntelange Geschichte zurückblicken: Seit mehr als 70 Jahren werden in der Region Mährisch-Schlesien Halbleiter entwickelt und hergestellt, die Grundbausteine der modernen Elektronik und Informationstechnologie.

„Auch wegen unserer Geschichte sind wir heute das wichtigste Zentrum der Automobilindustrie in Tschechien und zugleich ein Hotspot der IT-Branche“, berichtet Petřek. „Hier gibt es zahlreiche Forschungs- und Fertigungsstätten von OEMs und Zulieferern, außerdem haben viele Softwareunternehmen in der Gegend ihren Sitz.“ Das sind ideale Voraussetzungen für die Aktivitäten von Porsche Engineering: Am Standort Ostrava arbeiten rund 80 Mitarbeiter in drei Teams an der Schnittstelle zwischen Fahrzeugen auf der einen und Elektronik sowie Software auf der anderen Seite. Für ihre Arbeit müssen sie die klassische Automobiltechnik ebenso beherrschen wie die neuesten IT-Technologien.

Die Mitarbeiter im „Car Transition Team“ beschäftigen sich vor allem mit Softwareentwicklung. Sie arbeiten beispielsweise an Diagnosesystemen für die neue Elektronikarchitektur von und an einer Echtzeit-Emulation der Fahrzeugbatterie, mit der sich das Batteriemanagementsystem in der Entwicklungsphase testen lässt. „Für unsere Arbeit brauchen wir umfassendes System-Know-how“, sagt Dr. Jiří Kotzian, der das Car Transition Team leitet. „Denn wir bringen unterschiedliche Dinge zusammen, zum Beispiel Elektrofahrzeuge und die Infrastruktur, die sie umgibt.“ Unter seinen Mitarbeitern sind darum sowohl Software- als auch Hardwareexperten, die sich vor allem mit Hochvoltthemen beschäftigen.

System- und Fahrzeug-Know-how: Jiří Kotzian (links) leitet das „Car Transition Team“, das sich vor allem mit Softwareentwicklung beschäftigt. Das „Vehicle Integration Team“ von Zdeněk Kolba integriert Subsysteme wie elektronische Steuergeräte in Fahrzeuge.
System- und Fahrzeug-Know-how: Jiří Kotzian (links) leitet das „Car Transition Team“, das sich vor allem mit Softwareentwicklung beschäftigt. Das „Vehicle Integration Team“ von Zdeněk Kolba integriert Subsysteme wie elektronische Steuergeräte in Fahrzeuge.
Breit gefächerte Kompetenzen: David Muzika und sein „Model based Development Team“ sind auf modellbasierte Software­entwicklung spezialisiert.
Breit gefächerte Kompetenzen: David Muzika und sein „Model based Development Team“ sind auf modellbasierte Software­entwicklung spezialisiert.

Auch das „Model based Development Team“ beschäftigt sich intensiv mit E-Mobilität. Im Porsche Taycan errechnet die Batteriemanagement-Software aus Ostrava und Prag beispielsweise die verbleibende Ladung der Batterie und ihren „Gesundheitszustand“. Lösungen des Teams finden sich aber auch in Fahrwerk-Steuergeräten, die unter anderem die Fahrwerkhöhe regeln und dem Fahrer erlauben, die Fahrwerkeinstellungen nach seinen Vorlieben anzupassen. „Unsere Software trägt zum hochwertigen und sportlichen Fahrgefühl eines Porsche bei“, so Teamleiter David Muzika. Daneben steuerten die Experten für das Projekt „Big Data Loop“ das Tool Automated Measurement Data Analytics (AMDA) bei, das die automatische Datenauswertung in der Cloud ermöglicht.

Die Kompetenzen im Team sind so breit gefächert wie seine Projekte: „Bei uns arbeiten Experten für Regelungstechnik, Datenverarbeitung und Künstliche Intelligenz, wobei wir stets eng mit unseren Kollegen vom rumänischen Standort in Cluj-Napoca kooperieren“, sagt Muzika. Während das Team von Kotzian Software manuell in Programmiersprachen wie C, C++ oder Python entwickelt, sind Muzika und seine Mitarbeiter auf die modellbasierte Softwareentwicklung spezialisiert. Neue Lösungen entstehen hier mithilfe des Tools Matlab/Simulink zunächst als Kombinationen von abstrakten Funktionsblöcken. „So können wir die Anforderungen unserer Kunden schnell umsetzen und testen“, erklärt Muzika. „Erst wenn die neue Funktion einwandfrei läuft, erzeugen wir automatisch den entsprechenden Softwarecode.“

Eine enge Kooperation mit ihren Kollegen in Ostrava und an anderen Standorten ist für das „Vehicle Integration Team“ entscheidend. Denn die Mitarbeiter sind dafür verantwortlich, Subsysteme wie elektronische Steuergeräte von anderen Entwicklergruppen in Fahrzeuge zu integrieren und für ihr optimales Zusammenspiel zu sorgen. Der technische Fortschritt stellt Zdeněk Kolba und sein Team permanent vor neue Herausforderungen: „Die Zahl der elektronischen Komponenten in modernen Fahrzeugen und die Komplexität der Systeme nehmen immer mehr zu“, so Kolba. „Darum müssen Integration und Validierung möglichst schnell und effektiv sein.“

Eine zentrale Rolle bei der Funktionsentwicklung und -absicherung spielen heute Simulationen an HiL-Prüfständen. Um beispielsweise den Datenaustausch zwischen einem Steuergerät und den anderen Systemen zu überprüfen, spielen ihm die Experten mithilfe von HiL vor, dass es bereits ins Fahrzeug eingebaut ist. Alle Signale liefert der Prüfstand, wobei ihre Werte sowie ihr Timing exakt dem späteren Serienmodell entsprechen – lange bevor es den ersten Prototyp gibt. Dieser Ansatz eignet sich für die Integration von Komponenten aller Art, vom kleinen Subsystem bis hin zu komplizierteren Funktionen. Die Entwicklung solcher HiL-Prüfstände ist eine weitere Spezialität des Vehicle Integration Teams in Ostrava. „Unsere Kollegen in Prag haben vor vielen Jahren mit den HiL-Aktivitäten begonnen“, berichtet Kolba. „Wir setzen diese Tradition jetzt in Ostrava fort.“

Ständiges Dazulernen gefordert

„Die Zahl der Steuergeräte wird sinken, dafür werden die verbleibenden Komponenten komplexer sein“, sagt Kolba. „Wir bereiten uns bereits jetzt darauf vor, mit neuen Kompetenzen und neuen Tools, zum Beispiel für die künftigen Datenbusse in Fahrzeugen.“ Aber auch andere Trends wie vernetzte Fahrzeuge, autonomes Fahren und E-Mobilität erfordern ein ständiges Dazu- lernen. Mit seinem Team aus Experten für Software, Elektronik und Mechatronik sieht er sich dafür bestens vorbereitet: „Erfahrung und frisches Denken“ – mit diesen Worten beschreibt Kolba die Besonderheit seiner Kollegen. Erfahrung, weil viele von ihnen zuvor jahrelang bei einem der anderen Zulieferer oder OEMs in der Region gearbeitet haben. Frisches Denken, weil andere Mitarbeiter direkt nach ihrem Abschluss an einer der Hochschulen in der Region zu Porsche Engineering gestoßen sind.

Innovationszentrum: Seit Juni 2020 befindet sich der Standort nahe der Universität Ostrava.
Innovationszentrum: Seit Juni 2020 befindet sich der Standort nahe der Universität Ostrava.

Um von den neuesten Forschungsergebnissen profitieren zu können, will der Standort seine Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Ostrava ausbauen. „Sie ist schon lange in der Automobilforschung aktiv“, sagt Standortleiter Petřek. Schon jetzt arbeiten Werkstudenten und Doktoranden der technischen Universität an einzelnen Projekten mit, in Zukunft soll der Austausch deutlich intensiver werden. Ein wichtiger Anfang ist gemacht: Seit Juni 2020 ist der Standort in einem Innovationszentrum nahe dem Universitätscampus untergebracht. Neben der Nähe zur akademischen Welt bietet er auch Platz für weiteres Wachstum.

Nähe zur akademischen Welt

„Wir können hier bis zu 200 Mitarbeiter beschäftigen – eine Zahl, die wir in zwei bis drei Jahren erreichen wollen“, berichtet Petřek. „Außerdem haben wir im neuen Gebäude zwei Labore für HiL-Tests sowie zwei weitere für den Bau von HiL-Prüfständen und Elektronik. Hinzu kommen mehrere Werkstätten, in denen wir Prototypen unter Geheimhaltung umbauen können.“ Die Nähe zu technischen Talenten und eine moderne Infrastruktur sind wichtige Voraussetzungen, um in der schnelllebigen Automotive-Welt an der Spitze der Entwicklung bleiben zu können. Flexibilität ist eine weitere unverzichtbare Eigenschaft – die die Menschen in Ostrava in der Vergangenheit bereits unter Beweis gestellt haben: Nach dem Ende der lokalen Schwerindustrie wandelte sich die Stadt zum Wissenszentrum. „From Coal Mining to Data Mining“, lautete der Slogan. Oder wie Zdeněk Kolba sagt: „Wir sind bereit für die nächste Herausforderung.“

Zusammengefasst

Die rund 80 Mitarbeiter am Standort Ostrava beherrschen die klassische Automobiltechnik ebenso wie die neuesten IT-Technologien. Eine moderne Infrastruktur und der enge Austausch mit der akademischen Welt stellen sicher, dass die drei Teams allen Kundenanforderungen in den Bereichen Elektronik und Software gerecht werden können.

Quelle: UD/cp
 

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