Innovation & Forschung

Hilft jetzt nur noch Klima-Klempnern?

Das Wetter zu manipulieren ist ein alter Menschheitstraum. Mit dem Klimawandel bekommt das Thema wieder neue Bedeutung. Bei dem sogenannten Geo-Engineering geht es um gezielte Veränderungen des Klimas zur Senkung der Temperatur. Derartige Projekte zielen zum Beispiel darauf ab, die Erde vor der Sonne zu schützen oder Kohlendioxid zu binden. Eine gute Idee oder schlimmer Unfug?

26.08.2019

Hilft jetzt nur noch Klima-Klempnern? zoom

Herman Sörgel hatte in seinem Leben nur ein einziges Ziel: die Verwirklichung einer gigantischen Vision. Vor 90 Jahren begann der Münchener Architekt, der sich gern „Weltbaumeister” nannte, mit den ersten Konzepten zum Bau des neuen Kontinents Atlantropa. Das Herzstück von Sörgels Plan aus dem Jahr 1928 war ein 2,5 Kilometer breiter, 300 Meter hoher und 35 Kilometer langer Staudamm an der Straße von Gibraltar. Damit wollte er das Mittelmeer vom Atlantik trennen und langsam trockenlegen – um bis zu 200 Meter sollte der Meeresspiegel abgesenkt werden. Das Mittelmeer sollte um 20 Prozent schrumpfen und neues Land etwa in der Größe Frankreichs entstehen. Und dort, wo heute der Nil langsam in einem Delta mündet, wäre ein gigantischer Wasserfall von 200 Metern Höhe entstanden. Die Idee dahinter: Die beiden Kontinente Afrika und Europa sollten zusammenwachsen. Die Ressourcen Afrikas sollten dem Zugriff Europas zugänglich gemacht werden, und nebenher würden die Staudämme Unmengen an nachhaltiger Energie aus Wasserkraft liefern. Sörgel errechnete eine Dauerleistung von rund „70 Millionen PS“. Der Bau sollte in zehn Jahren zu schaffen sein, dafür kalkulierte Sörgel mit je 200.000 Arbeitern in vier Schichten.

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„Was uns heute größenwahnsinnig erscheint, hatte damals viele prominente Unterstützer“, erklärt Wilhelm Füßl, Leiter des Archivs des Deutschen Museums, wo Sörgels Nachlass aufbewahrt wird. „Selbst im Nachkriegsdeutschland hat man an das Projekt noch geglaubt.“ Während die deutsche Presse von dem Atlantropa-Projekt teils sehr begeistert war, konnten die Italiener der Trockenlegung „ihres“ Mittelmeeres weitaus weniger abgewinnen. Der „Corriere della Sera“ schrieb empört: „Hat denn der arglose Herr Sörgel keine anderen Pläne, mit denen er seine wirre Fantasie beschäftigen kann?“ 

Alles Spinnerei? Möglich. Aber so war der Geist der 20er Jahre. In der gleichen Zeit begann etwa der niederländische Ingenieur Cornelis Lely mit der Trockenlegung der Nordsee. Nur wenige Dekaden später hatten die Niederländer rund 3.000 Quadratkilometer Landfläche der Nordsee abgewonnen. Mit dem Ijsselmeer entstand zudem ein großer, neuer Binnensee.

Pariser Klimaabkommen setzt auf „Negative Emissionen“ Zurück in die Gegenwart: 

Terraforming oder Geo-Engineering, wie wir es heute nennen, hat mit dem Klimawandel neue Aktualität bekommen. „Geo-Engineering ist der Plan C der Klimapolitik. Plan A lautet: Die Menschheit muss weniger CO2 ausstoßen. Ein guter Plan, aber es hapert an der Umsetzung. Plan B ist die Anpassung an den Klimawandel, beispielsweise durch hitzeresistente Getreidesorten. Früher tabu, heute Realpolitik“, schreibt Max Rauner in der ZEIT

Um die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzuwenden, soll das Pariser Klimaabkommen die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad und möglichst auf eineinhalb Grad begrenzen. Das ist nur möglich, wenn die Staaten ihre Emissionen erheblich stärker reduzieren, als sie es bisher im Rahmen des Abkommens zugesagt haben. Fragt sich nur: Wie? 

Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) hat unterschiedliche
Szenarien durchgerechnet. Nur im optimistischsten Szenario kann das Klimaziel durch sofortige und drastische Maßnahmen in allen Sektoren (Verkehr, Landwirtschaft, Bau, Energie et cetera) noch erreicht werden. In den weniger optimistischen Szenarien muss die Weltgemeinschaft ab 2030 oder spätestens 2050 zusätzliche Maßnahmen ergreifen: Sie muss große Mengen an CO2 aus der Atmosphäre entnehmen oder dauerhaft lagern, um mit „negativen Emissionen“ die Bilanz auszugleichen.

Grundsätzlich kann man die Vielzahl der Maßnahmen
in zwei Lösungsansätze unterscheiden:

  1. Beim Carbon Dioxide Removal (CDR) wird überschüssiges CO2 in der Atmosphäre herausgefiltert und in anderer Form genutzt oder gespeichert.
  2. Beim Solar Radiation Management (SRM) wiederum geht es darum, die ankommenden Sonnenstrahlen zu reflektieren und so die Erwärmung zu begrenzen.

Dafür sind die Selbstverpflichtungen der Staaten bei weitem nicht ehrgeizig genug. Die aktuelle Rechnung sieht nämlich so aus: Um die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, dürfen weltweit bis 2050 nur noch knapp 400 Gigatonnen CO2 emittiert werden. Aktuell beträgt der globale Ausstoß jedoch 40-42 Gigatonnen im Jahr. Also ausgehend vom Pariser Klimaabkommen in 2015 wären die 400 Gigatonnen CO2 damit spätestens bereits im Jahr 2026 aufgebraucht. „Die Welt steuert derzeit auf eine Erderwärmung von drei Grad oder mehr zu“, sagt Katja Frieler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Deshalb bringt die UN seit längerem schon als Lösung die sogenannten „negativen Emissionen“ ins Gespräch. Dabei werden Klimagase aus der Atmosphäre entnommen. Das geht nur mit viel Technik und bedeutet einen fundamentalen Paradigmenwechsel in der Klimapolitik.

Aufforsten, Filtern, Verarbeiten – CDR-Maßnahmen im Überblick

Ein Wald mit Licht und Schatten.

A) AUFFORSTEN

Ein Beispiel für negative Emissionen sind Aufforstungen – Wald bindet CO2 im Holz, so
lange das Holz nicht später als Brennstoff genutzt wird. Das Aufforsten oder der Anbau von Biomasse zur CO2-Reduktion konkurriert allerdings um die gleichen Flächen, die auch für die Landwirtschaft benötigt werden. Allein mit mehr Biomasse ist es somit schwierig, die Klimaziele zu erreichen, denn die natürliche Photosynthese ist kein besonders effizienter Prozess. Maximal zwei Prozent des Lichts können Blätter nutzen, um CO2 und Wasser in neue chemische Verbindungen umzuwandeln. Um beispielsweise zehn Gigatonnen CO2 pro Jahr im Wald zu binden, argumentieren Physiker, müssten etwa zehn Millionen Quadratkilometer der fruchtbaren Flächen auf der Erde mit neuem Wald bepflanzt werden. Dies entspricht der Fläche des Kontinents Europa (bis zum Ural!).

B) KÜNSTLICHE PHOTOSYNTHESE

Auch mit Systemen, die eine „künstliche Photosynthese“ ermöglichen, könnte CO2 aus
der Atmosphäre entnommen und gebunden werden. Ähnliche Materialsysteme, wie sie derzeit für die künstliche Photosynthese erforscht werden, könnten deutlich effizienter CO2 binden. Bei einer angenommenen Effizienz von 19 Prozent und 50 Prozent Systemverlusten könnten Module von etwa 30.000 Quadratkilometern schon ausreichen, um jährlich zehn Gigatonnen CO2 aus der Atmosphäre zu entnehmen. Dies entspricht etwa der Fläche des Bundeslands Brandenburg. „Es könnte zwar möglich sein, solche Module zu entwickeln, aber selbst wenn wir sie dann bauen könnten, wird die Umwandlung nach unserer Schätzung mindestens 65 Euro pro Tonne CO2 kosten. Damit verursacht die Entnahme von zehn Gigatonnen CO2 jedes Jahr erneut Kosten von 650 Milliarden Euro“, sagt Dr. Matthias May vom HZB-Institut für Solare Brennstoffe.

C) FILTERN & SPEICHERN

Beim „Direct Air Capture“ (DAC) Verfahren wird CO2 mithilfe chemischer Verfahren aus der Luft extrahiert. Anschließend muss das gewonnene CO2 in unterirdischen Gesteinsschichten gespeichert oder anderweitig verarbeitet werden. Experten haben vor allem die Speicherung im Blick: Sogenannte "Carbon Sinks", also Lagerstätten von Kohle- und Erdölförderung, sind geologisch schon seit Jahrmillionen stabil und könnten als CO2-Speicher herhalten. Diese CCS-Technologie (Carbon Dioxide Capture and Storage) steht für die Abscheidung und Speicherung des in Kraftwerks- und Industrieprozessen anfallenden CO2. Ob die Technik wirklich sicher ist, wird von vielen jedoch bezweifelt. Hinzu kommen immense Kosten: Diese liegen laut dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung bei 200 bis 1.000 Dollar je Tonne CO2.

D) INDUSTRIELLE ANDWENDUNGEN

Bisher wenig entwickelt ist der Einsatz von Kohlendioxid als Rohstoff für die industrielle Nutzung. Das entnommene CO2 könnte zu Ameisensäure, Alkohol oder Oxalat umgewandelt werden und mit weiteren Verbindungen (zum Beispiel Kalziumchlorid) zu festen Mineralien reagieren, die gelagert oder sogar in Form von Kunststoff als Baumaterial genutzt werden können. Bei Bayer verwandelt man in einem Pilot projekt das Treibhausgas in einen nützlichen Rohstoff. Ein neues Verfahren gestattet es, CO2 in Schaumstoffe einzubauen und so einen Teil des knappen Erdöls zu ersetzen, aus dem sie sonst komplett bestehen. Erstes Einsatzgebiet: Matratzen.

Spiegel, Schirme, Vulkanausbrüche – SRM-Maßnahmen im Überblick

A) SPIEGEL & SCHIRME

Der Klimawandel entsteht durch globale Erwärmung. Deren Verursacher ist die Sonneneinstrahlung. Beim Solar Radiation Management (SRM) geht es daher darum, die Sonnenstrahlen zu reflektieren. Hierbei setzt man auf Spiegel und Sonnenschirme. Das ist auch nicht aus der Luft gegriffen: Bereits jetzt werden etwa 25 Prozent der eintreffenden Sonnenstrahlen von der Erdatmosphäre reflektiert (das Prinzip Spiegel) oder wie bei einem Sonnenschirm in den oberen Schichten der Atmosphäre absorbiert. SRM-Technologien setzten daher auf die Veränderung der Zusammensetzung der Atmosphäre. Dann kommen, so denken sich das die Wissenschaftler, weniger Sonnenstrahlen an und die Erde kühlt automatisch ab.

Die Idee klingt verrückt, aber praktisch passiert diese Art von Atmosphärenbeeinflussung schon heute in großem Stil. Die Abgase von Industrie und Verkehr reichern die Atmosphäre mit winzigen Partikeln, sogenannten Aerosolen, an. Wissenschaftler haben errechnet, dass seit Beginn der Industrialisierung sich die Erde um rund ein Grad erhitzt hat. Ohne den Effekt der Aerosole wären es 1,3 Grad. Makaber: Dreckige Luft hemmt also die globale Erwärmung. 

Reflexion geht aber auch weniger martialisch, etwa durch bauliche Maßnahmen wie weiße Gebäude, Dächer und Flächen, zusätzlicher Wasserflächen, die Licht spiegeln oder das Weißen von Wüstenflächen. Astronauten wiederum haben vorgeschlagen, einen riesigen Sonnenschirm im Weltall zu spannen.

Bei dem sogenannten Geo-Engineering geht es um gezielte Veränderungen des Klimas zur Senkung der Temperatur.

B) GEZIELTE VULKANAUSBRÜCHE

Ganz ähnlich wie Aerosole verhalten sich auch die Auswirkungen von Vulkanausbrüchen. Jedes Mal werden dann erhebliche Mengen von Staub und Asche in die Atmosphäre geschleudert. Die beiden Berkeley-Wissenschaftler Jonathan Proctor und Solomon Hsiang werteten Daten zu weltweiten Vulkanausbrüche zwischen 1979 und 2009 aus und korrelierten diese mit den Ernteerträgen von Mais, Soja, Reis und Weizen im gleichen Zeitraum. Die Ergebnisse veröffentlichten sie jetzt in einer Ausgabe der Fachzeitschrift Nature. Demnach reduzierte etwa der Ausbruch des Pinatubu-Vulkans 1991 auf den Philippinen die weltweite Sonneneinstrahlung um 2,5 Prozent. Die Temperaturen sanken dadurch weltweit um ein halbes Grad. Zugleich sanken aber auch die Ernteerträge. Der Spiegel zitiert Hsiang: „Das ist, als gleiche man die Schulden einer Kreditkarte mit einer anderen aus. Am Ende hat man das, womit man angefangen hat, ohne das Problem zu lösen."

Dennoch sind vor allem explorative Konzerne mit ihrer Bohrerfahrung an gesteuerten Vulkanausbrüchen als Klimaschutz-Maßnahme äußerst interessiert. Vor allem auch, weil solche Aufträge dauerhaft wären. Würde man sich nämlich eines Tages entschließen, den künstlichen Vulkanismus wieder zu beenden, dann droht der "Termination Shock". Die Zeit schreibt: „Wenn das Geo-Engineering nach 50 Jahren aus welchen Gründen auch immer gestoppt würde, stiegen die Temperaturen innerhalb von nur 20 Jahren um zwei Grad an. Das wäre der Klimawandel in Zeitraffer.“

Gehören technische Klima-Eingriffe verboten? 

Technisch betrachtet ist Geo-Engineering machbar. Aber wollen wir es deshalb auch machen? Diese Frage beschäftigt nicht nur Forscher, sondern auch Politiker und engagierte Bürger. Jonathan Proctor von der University of California in Berkeley warnt: „Das ist ein bisschen so wie experimentelle Chirurgie, wenn man herausfindet, dass die Nebeneffekte der Behandlung so schlimm sind wie die Krankheit."

Die Bundesregierung unterstützt derzeit hierzulande 18 Universitäten und Institute mit insgesamt zehn Millionen Euro, um Geo-Engineering zu erforschen. „Diese Forschung wird missbraucht werden", beklagt der Physiker David Keith von der Harvard  University in einem ZEIT-Beitrag. „Ölkonzerne und Petro-Staaten werden versuchen, sich aus der Verantwortung zu stehlen, indem sie uns das Wort im Mund umdrehen." Deshalb regt sich immer mehr Widerstand: „Die Zivilgesellschaft bekräftigt die Forderung nach einem internationalen Verbot der technischen Eingriffe in Naturkreisläufe“, sagt Lili Fuhr von der Heinrich-Böll-Stiftung.

Die Forderungen nach einer weltweiten Regulierung der Geo-Engineering-Technologies sind zuletzt aber auf der UN-Umweltkonferenz UNEA4 im März 2019 in Nairobi gescheitert. Vor allem Investoren aus dem Silicon Valley sowie Lobbyisten der fossilen Industrie und der Bergbauindustrie stemmten sich gegen neue Regeln. Lili Fuhr ist dennoch nicht unzufrieden: „Die gute Nachricht ist: Das 2010 in der UN Biodiversitätskonvention (CBD) beschlossene Moratorium auf Geo-Engineering hat unverändert Bestand, ebenso wie die Regulierungsansätze für marines Geo-Engineering zur Verhütung der Meeresverschmutzung (LP/LC).“

Eine Stadt zwischen Dürre und Fruchtbarkeit.

Wettlauf gegen die Zeit

„Keine der hier vorgeschlagenen Klima-Geo-Engineering-Techniken könnte realistisch innerhalb der nächsten Jahrzehnte in globalem Maßstab eingesetzt werden. Das heißt, man kann nicht damit rechnen, dass sie einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen des Zwei-Grad-Ziels – geschweige denn des 1,5-Grad-Ziels – leisten könnten“, sagt der Wissenschaftler Mark Lawrence. Sollten Klima-Geo-Engineering-Technologien je Anwendungsreife erreichen, dann mit hoher Wahrscheinlichkeit erst in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts.

Geopolitische Risiken

Die Informationsstelle Militarisierung e.V. (IMI) verweist in einer aktuellen Studie auf die geopolitischen Implikationen. Da jede der bislang erwogenen und kurz
vorgestellten Technologien Gewinner und Verlierer hervor brächte, bestehe die Gefahr einer „Militarisierung des Klimas“: „Es drohen Wettkämpfe um Ressourcen, Streite um negative Folgen oder Konflikte um die Kontrolle des regionalen Klimas“, so Jürgen Wagner, Vorstand der IMI. Dies wecke Hoffnungen und Begehrlichkeiten, mit großtechnischen Scheinlösungen in das Klima einzugreifen. Dass bereits jetzt häufig das Militär und militärnahe Institutionen in die Entwicklung eingebunden und diese auch prädestiniert für die Bereitstellung und den Schutz der benötigten Infrastrukturen sind, erhöhe das Konfliktpotenzial weiter.

Dieser Artikel ist im Original im Magazin "UmweltDialog" zum Thema "Dekarbonisierung" erschienen.

UmweltDialog Die Greta-Frage Heft 11
Quelle: UmweltDialog
 

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