Wirtschaftsethik

Zurück zum "ehrbaren Kaufmann"

Der "Ehrbare Kaufmann" ist für viele das Ideal eines ethisch geleiteten Wirtschaftsmodells. Doch passt das noch in unsere Zeit? Alexandra Hildebrandt erläutert, warum die Wirtschaft die Ideale des "ehrbaren Kaufmanns" heute mehr denn je benötigt.

17.02.2015

Der Wechsler und seine Frau
Der Wechsler und seine Frau

In seinem letzten Buch „Die Welt von Gestern", das den Untertitel „Erinnerungen eines Europäers" trägt und postum 1942 in Stockholm erschien, beschreibt der jüdische Autor Stefan Zweig (1881-1942), wie die neue Welt die alte verschlingt und damit auch das, was den europäischen Geist ausmachte:

„Wir aber lebten alles ohne Wiederkehr, nichts blieb vom Früheren, nichts kam zurück; uns war im Maximum mitzumachen vorbehalten, was sonst die Geschichte sparsam jeweils auf ein einzelnes Land, auf ein einzelnes Jahrhundert verteilt."

Es ist kein Zufall, dass Bücher wie „1913" von Florian Illies oder „Ostende" von Volker Weidermann heute Bestseller sind, denn die Autoren haben die Welt von gestern verstanden. Sie mit Blick auf die Gegenwart zu deuten ist unsere Aufgabe.

Der Ehrbare Kaufmann gestern und heute

Mehr denn je wird heute vom Leitbild des ehrbaren Kaufmanns gesprochen. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) möchte es wieder mit Leben füllen und setzt sich gegen unlauteren Wettbewerb und Korruption ebenso ein wie gegen Produkt- und Markenpiraterie. Die IHKs haben für Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns zu wirken, heißt es in § 1 Absatz 1 IHKG.

Das Leitbild geht auf das frühe Mittelalter zurück. Schriftlich erscheint der „wahre und ehrliche Kaufmann" erstmals um das Jahr 1340 in Kaufmannshandbüchern im mittelalterlichen Italien. Gesellschaftliches Ansehen könne er nur dann erwerben, wenn er immer gerecht handelt, große Weitsicht besitzt und seine Versprechen einhält. Auch in der Hanse gaben sich Kaufleute gemeinsame Werte zu einer Zeit, in der eine staatliche Ordnung weitgehend fehlte.

Ursprünglich standen Händler, die zu Fuß unterwegs und überall Fremde waren, im Ruf, betrügen zu wollen. Im frühen Mittelalter war es ihnen deshalb ein besonderes Anliegen, das Vertrauen der Städter zu gewinnen. Den eigentlichen Begriff des „Ehrbaren Kaufmanns" prägte der Lübecker Kaufmann und Bürgermeister Hinrich Castorp (1420-1488). Das Leitbild geriet in der Zeit der Industrialisierung zunehmend in Vergessenheit, erlebt aber vor allem in gesellschaftlichen Krisenzeiten eine Renaissance.

Wenn heute vom Ehrbaren Kaufmann gesprochen wird, ist das meistens mit einem Verweis auf Thomas Manns Roman „Buddenbrooks" verbunden, in dem er den allmählichen Verfall einer hanseatischen Kaufmannsfamilie schildert. Der letzte Chef der Firma, Thomas Buddenbrook, reißt das Unternehmen mit Spekulationsgeschäften immer tiefer ins Unglück.

Die alte Maxime der Buddenbrooks ("Sey mit Lust bey den Geschäften am Tage, aber mache nur solche, daß wir bey Nacht ruhig schlafen können") hat er verletzt und das traditionsreiche Unternehmen ruiniert. Diese Geschichte ist hinlänglich bekannt. Die von Stefan Zweig weniger. Sie gehört in die aktuelle Debatte - auch, weil sie Nachhaltigkeit anders erzählt.

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Solide Zeiten

Für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, in der Stefan Zweig aufgewachsen ist, fand er eine handliche Formel: Es war „das goldene Zeitalter der Sicherheit". Er beschreibt den Aufstieg einer jüdischen Familie, Leben in der „Einform" - ein einfaches Leben vom Anfang bis zum Ende ohne Gefahren und Erschütterungen, immer im gleichem Rhythmus und am gleichen Ort. Was Generationen geschaffen hatten, ging niemals ganz verloren: „Man mußte nur lernen, in größeren Dimensionen zu denken, mit weiteren Zeiträumen zu rechnen."

Stress und Hektik hatten in dieser bürgerlich stabilen Welt mit ihren Sicherungsnetzen keinen Platz. Zur Geburt eines Kindes wurde in der Sparbüchse oder bei der Sparkasse ein erster Obolus für den Lebensweg eingezahlt, eine kleine „Reserve für die Zukunft". Alles blieb in dieser kleinen Welt unverrückbar an seinem Platz.

Das sichere Gefühl, in der Gegenwart geborgen zu sein, ließ die Menschen sorglos in die Zukunft schauen. Wer das Leitbild des Ehrbaren Kaufmanns heute verstehen will, braucht nur einen Blick in Zweigs jüdische Familiengeschichte zu werfen: Während sein Großvater als typischer Vertreter seiner Epoche nur dem Zwischenhandel mit Fertigprodukten gedient hat, trat sein Vater entschlossen und mutig in die neue Zeit: In Nordböhmen gründete er mit 33 Jahren eine kleine Weberei, die er dann langsam und mit Bedacht zu einem erfolgreichen Unternehmen ausbaute.

Stefan Zweig nennt das nachhaltige Wirtschaften, von dem heute vielfach gesprochen wird, eine „vorsichtige Art der Erweiterung trotz einer verlockend günstigen Konjunktur". Das entsprach der „ungierigen Natur" seines Vaters.

Ein Lieblingswort jener Zeit war „solide". Es wird allerdings schon Jahre vorher von Adelbert von Chamisso, dem Autor der berühmten Geld- und Schattennovelle „Peter Schlemihls wundersame Geschichte" (1814): In der Vorrede zur zweiten Auflage der französischen Übersetzung, zu der Chamisso das Vorwort schreibt, nimmt er eine späte und ironische Interpretationshilfe vor:

Ausgehend von der physikalischen Definition des Schattens geht es im Peter Schlemihl um das Solide: „Die Finanzwissenschaft belehrt uns hinlänglich über die Wichtigkeit des Geldes: die des Schattens ist minder allgemein anerkannt. Mein besonnener Freund hat sich nach dem Gelde gelüsten lassen, dessen Wert er kannte und nicht an das Solide gedacht."

In einem ähnlichen Zusammenhang steht das Solide bei den Zweigs: Es war ihnen wichtiger, ein Unternehmen mit eigener Kapitalkraft zu besitzen, als es durch Bankkredite oder Hypotheken ins „Großdimensionale" auszubauen. „Dass zeitlebens nie jemand seinen Namen auf einem Schuldschein, einem Wechsel gesehen hatte und er nur immer auf der Habenseite seiner Bank - selbstverständlich der solidesten, der Rothschildbank, der Kreditanstalt - gestanden", war der einzige Lebensstolz des Vaters.

Reich zu werden war für ihn nur eine Zwischenstufe, ein Mittel zum Zweck, aber nicht die innere Motivation. Deshalb wuchs das Vermögen auch ohne Spekulationen. Er verbrauchte immer nur einen Teil des Einkommens und konnte jährlich erhebliche Kapitalbeträge zulegen. In diesem goldenen Zeitalter „wurde nicht wie in den Zeiten der Inflation der Sparsame bestohlen, der Solide geprellt, und gerade die Geduldigsten, die Nichtspekulanten hatten den besten Gewinn".

Das Solide ist heute so selten zu finden, deshalb fällt es bei der Lektüre besonders auf. „Es fehlt der Anstand", beklagte Ex-Nestlé-Chef Helmut Maucher im Oktober 2012 im manager magazin und forderte von Managern mehr Bescheidenheit und Mut.

Seine Generation bezeichnete er als eine des „Commitments", in der Tugenden wie Gerechtigkeit, Weisheit und Bescheidenheit gepflegt wurden. Und er beklagte, dass verdiente Mitarbeiter häufig aus Unternehmen hinausgeworfen werden, um kurzfristig die Rendite zu steigern: „Da fehlen Anstand, soziales Empfinden und Verantwortungsgefühl."

Umso wichtiger ist es zu formulieren, was dazu gehört und zu erkennen, dass Begriffe wie Ehrbarer Kaufmann, Kooperation, Vertrauen oder Solidarität nicht aus der Mode sind, und dass wir etliche geistige Reserven für die Zukunft auch aus der Literatur schöpfen können.

Der Artikel ist bei der Huffington Post erschienen.

Quelle: UD/HP
 

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