Energiewende schreitet voran, Herausforderungen bleiben
Der BDEW und EY zeigen im neuen Fortschrittsmonitor: 2024 brachte Erfolge bei Erneuerbaren und Emissionsminderung. Doch der Weg zur Klimaneutralität bis 2045 ist lang – schnellere Genehmigungen, Netzausbau und eine funktionierende Wasserstoffwirtschaft bleiben zentrale Aufgaben der neuen Bundesregierung.
01.07.2025
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hat gemeinsam mit EY die dritte Ausgabe des Fortschrittsmonitors Energiewende veröffentlicht. Noch bevor die neue Bundesregierung ihr avisiertes Energiewende-Monitoring in Auftrag gegeben hat, liegen damit bereits eine Vielzahl relevanter Kennzahlen vor.
Die Analyse zeigt: Die Energiewende hat 2024 wichtige Fortschritte gemacht – insbesondere beim Ausbau der Erneuerbaren Energien und bei der Emissionsminderung. Der Anteil Erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch stieg auf 55 Prozent, die Treibhausgasemissionen des Energiesektors konnten um 61 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden.
Gleichzeitig macht der Fortschrittsmonitor deutlich: Der Weg zur Klimaneutralität bleibt eine Mammutaufgabe. Für die neue Bundesregierung bleibt der Handlungsdruck hoch, um den Weg für eine erfolgreiche Weiterführung der Energiewende zu ebnen. Die zentralen Hebel sind:
- Die Planung und Genehmigung von Erneuerbare-Energien-Projekten weiter beschleunigen und den Ausbau synchron mit dem Netzausbau gestalten.
- Versorgungssicherheit gewährleisten, insbesondere durch den Zubau steuerbarer Kraftwerke, eine stärkere Digitalisierung und den beschleunigten Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur.
- Ein zukunftsfähiges Strommarktdesign entwickeln, das flexible Erzeugung und Verbrauch marktwirtschaftlich incentiviert.
- Die Wärmewende und den Hochlauf der Elektromobilität systematisch vorantreiben und dabei für Kontinuität und Praxistauglichkeit sorgen.
- Den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft aktiv unterstützen, durch verlässliche regulatorische Rahmenbedingungen und gezielte Förderinstrumente.
Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung, betont:
„Der Fortschrittsmonitor zeigt: Die Energiebranche ist auf einem guten Weg, aber das Ziel Klimaneutralität ist noch lange nicht erreicht. Die neue Bundesregierung muss jetzt die richtigen Entscheidungen treffen: Wir brauchen eine konsequente Beschleunigung des Erneuerbaren-Ausbaus, damit wir die gesetzlich festgelegten Ausbauziele auch erreichen. Für ein sicheres Energiesystem braucht es zudem klare Investitionsanreize für Flexibilitäten wie steuerbare Gaskraftwerke und Speicher, aber auch für den Netzausbau. Gleichzeitig muss der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft organisiert werden. Deutschland hat bei der Energiewende wichtige Meilensteine erreicht – doch das Tempo muss in vielen Bereichen deutlich erhöht werden, wenn die Klimaneutralität bis 2045 gelingen soll.“
Metin Fidan, Partner bei EY und Leiter des Bereiches Green Transformation und Mining & Metals in der Region Europe West:
„Für den Übergang zur Klimaneutralität brauchen wir in Deutschland eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende. Ein tragfähiges Rahmenkonzept mit einer klaren Kraftwerksstrategie, einer Synchronisierung des Ausbaus Erneuerbarer Energien mit dem Ausbau der Netze sowie Anreize für den markt- und netzdienlichen Einsatz dezentraler Flexibilitäten wie Speicher, Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge sind unverzichtbare Bestandteile für die gelingende Energiewende.“
Die Ergebnisse im Einzelnen:
- Energie- und volkswirtschaftliche Betrachtung: Erfolge bei Emissionen, Flexibilitäten als Schlüssel:
Die Treibhausgasemissionen wurden bis 2024 um 48 Prozent gegenüber 1990 reduziert. Mit einer Minderung ihrer Emissionen um 61 Prozent trägt die Energiewirtschaft überproportional zum Klimaschutz bei.
Gleichzeitig zeigt der Fortschrittsmonitor, dass die voranschreitende Energiewende zunehmend eine flexiblere Steuerung von Verbrauch und Erzeugung erforderlich macht. Der dezentrale Einsatz von Speichern, Wärmepumpen und Elektrofahrzeugen, aber auch von immer mehr Erneuerbaren-Anlagen gewinnt an Bedeutung für das Gesamtsystem.
- Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung: Photovoltaik boomt, Windenergie braucht weiter verbesserte Rahmenbedingungen:
Der Anteil Erneuerbarer am Bruttostromverbrauch stieg auf 55 Prozent. Besonders stark war erneut der Ausbau der Photovoltaik mit 17 Gigawatt neuer Leistung. Der Windenergieausbau hingegen blieb hinter den Erwartungen zurück, sowohl an Land als auch auf See. Trotz leicht verbesserter Genehmigungsprozesse bleibt die Flächenausweisung ein Hemmnis. Die Beibehaltung der Zwei-Prozent-Regel ist eine wichtige Grundlage, um Planungssicherheit zu gewährleisten.
- Klimaneutrale Gase: Wasserstoffwirtschaft benötigt dringend Impulse:
Der Aufbau einer leistungsfähigen Wasserstoffwirtschaft stockt. Von den angestrebten 10 Gigawatt Elektrolysekapazität bis 2030 sind bislang nur 1,6 Gigawatt gesichert. Ohne zügige Verbesserung der regulatorischen Rahmenbedingungen droht das zentrale Ziel der Dekarbonisierung der Industrie und des Energiesystems zu scheitern.
- Energienetze: Netzausbau muss beschleunigt werden:
Netze sind das Rückgrat der Energiewende. Der Ausbau schreitet zwar voran, doch der Investitionsbedarf wird weiter steigen. Um diesen stemmen zu können, brauchen die Netzbetreiber einen robusten, zukunftsorientierten Regulierungsrahmen und eine international wettbewerbsfähige Verzinsung des eingesetzten Kapitals. Der Smart-Meter-Rollout wurde 2024 beschleunigt, reicht aber noch nicht aus, um die notwendige Digitalisierung des Energiesystems vollumfänglich zu realisieren.
- Wärmewende: Stagnation trotz klarer Ziele:
Im Wärmesektor stagniert der Anteil erneuerbarer Energien bei rund 18 Prozent. Der Absatz von Wärmepumpen ist 2024 aufgrund politischer Unsicherheiten deutlich eingebrochen. Um das Ziel von 500.000 neu installierten Wärmepumpen pro Jahr zu erreichen, sind stärkere Anreize und ein verlässlicher politischer Rahmen erforderlich.
- Verkehrswende: Ladesäulenausbau läuft – Absatz Elektroautos rückläufig:
Sehr positiv entwickelt sich der Ausbau der Ladeinfrastruktur, der auch ohne staatliche Förderung stark zulegte. Rund 32.000 neue Ladesäulen 2024 sorgten für einen Anstieg der Ladeleistung auf inzwischen 8,4 Gigawatt. Allerdings war der Absatz von Elektroautos 2024 erstmals rückläufig. Nationale Förderprogramme liefen aus, was sich unmittelbar negativ auf die Marktentwicklung auswirkte.
Wie Regulierung und gesetzliche Vorgaben Stadtwerke herausfordern
Die Stadtwerke in Deutschland stehen unter hohem Druck: Immer komplexere gesetzliche Anforderungen und wachsende bürokratische Lasten erschweren die Transformation hin zu einer klimaneutralen Energieversorgung. Das zeigt die neue Stadtwerkestudie 2025, die der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) gemeinsam mit EY veröffentlicht hat. Grundlage sind Befragungen von 100 Stadtwerken und regionalen Energieversorgern bundesweit.Hoher regulatorischer Druck behindert Transformation
Die gesetzlichen und regulatorischen Anforderungen steigen weiter – mit gravierenden Folgen: Stadtwerke berichten, dass die zunehmende Dichte und Frequenz der Vorgaben personelle und finanzielle Ressourcen binden, die für zentrale Transformationsprojekte dringend benötigt würden. Insbesondere zunehmende Berichtspflichten und komplexe Regelwerke bremsen die Umsetzung operativer Maßnahmen aus.
Während der Bürokratiekostenindex, der die Entwicklung von Bürokratiekosten im Zeitverlauf aufzeigt, für die Gesamtwirtschaft auf einem einigermaßen konstanten Level geblieben bleibt, ist der Index für die Energiewirtschaft seit dem Jahr 2021 sprunghaft – und bis zum Jahr 2023 um 30 Prozent – angestiegen. Die Bürokratiekosten für die Energiewirtschaft haben sich von dem gesamtwirtschaftlichen Index vollständig entkoppelt. Dies spiegelt sich auch in der Geschäftsentwicklung der Stadtwerke wider: Mit Blick auf das aktuelle Stimmungsbild für das Geschäftsjahr 2024 wurde ein neuer Tiefstand erreicht. Seit Beginn der Stadtwerkestudie im Jahr 2005 wurde kein Jahr so schlecht bewertet wie das Jahr 2024. Insgesamt bewerten 86 Prozent der befragten Stadtwerke den Einfluss der bestehenden gesetzlichen und regulatorischen Vorgaben auf ihre Tätigkeit als eher bis sehr negativ. Als besonders herausfordernd sehen sie dabei die sehr hohe Frequenz von Änderungen und Anpassungen, die sich auf die operative Tätigkeit auswirken.
„Der regulatorische Druck droht zur Wachstumsbremse für die Energiewende zu werden. Stadtwerke brauchen Freiräume für Transformation statt zusätzlicher Bürokratie“, sagt Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung. „Vereinzelte Bemühungen zum Bürokratieabbau werden dadurch konterkariert, dass an anderer Stelle zusätzliche Meldepflichten etabliert werden, wie durch die Ausweitung der Qualitätsregulierung durch die Bundesnetzagentur oder die Einführung neuer quartalsweiser Abfragen.“
Verlässliche Rahmenbedingungen als Schlüssel für Investitionen
Die Studie zeigt deutlich: Planbare und stabile gesetzliche Vorgaben sind ein zentrales Kriterium für Investitionsentscheidungen. Langfristige Investitionen in Wirtschaftsgüter – wie Netzinfrastrukturen, digitale Systeme oder Wärmelösungen – sind nur dann tragfähig, wenn Finanzierungsmodelle auf verlässlichen regulatorischen Rahmenbedingungen aufsetzen können. „Investitionen in Infrastrukturen mit jahrzehntelangen Amortisationszeiträumen erfordern klare und stabile politische Leitplanken. Nur so entsteht Planungs- und Investitionssicherheit“, sagt Andreas Siebel, Energy & Resources Sector Leader bei EY in Deutschland.
Systemischer Infrastrukturansatz gefordert
Neben der regulatorischen Dimension beleuchtet die Studie auch die technischen Herausforderungen: Stadtwerke fordern von Politik und Regulierungsbehörden ein ganzheitliches Verständnis der Energieinfrastruktur. Der Umbau von Strom-, Gas- und Wasserstoffnetzen müsse im Zusammenspiel mit dem Ausbau Erneuerbarer Energien und digitalen Lösungen erfolgen. Auch ein solcher systemischer Ansatz erfordert klare und pragmatische Rahmenbedingungen statt kleinteiliger Einzelvorgaben.
Fachkräftemangel trifft auf wachsende Bürokratie
Stadtwerke sehen sich nicht nur mit wachsender regulatorischer Last konfrontiert, sondern auch mit einem sich verschärfenden Fachkräftemangel. Insbesondere in technischen und kaufmännischen Bereichen fehlen qualifizierte Mitarbeitende für Planung und Umsetzung der Energiewende. Der bürokratische Aufwand, etwa durch zusätzliche Dokumentationspflichten, verschärft die Situation weiter und reduziert die Mitarbeiterzufriedenheit.
Dialog zwischen Politik und Praxis entscheidend
Die Studie unterstreicht: Ein enger Austausch zwischen Gesetzgeber bzw. Regulierungsbehörde und Energiewirtschaft ist essenziell, um praktikable Lösungen zu schaffen. Die wirtschaftlich-technische Realität der Stadtwerke muss stärker berücksichtigt werden, um Regelungen wirksam, realistisch und effizient zu gestalten.
Impulse für eine zukunftsfähige Energiepolitik
Die Stadtwerkestudie 2025 liefert wichtige Erkenntnisse zur wirtschaftlichen Lage, den Herausforderungen durch Gesetzgebung und Regulierung, während sie das Engagement der Stadtwerke, die Energiewende aktiv mitzugestalten, bestätigt. Nur mit klaren politischen Rahmenbedingungen, weniger Bürokratie und einer nachhaltigen Fachkräftestrategie können Stadtwerke weiterhin zentrale Akteure der Transformation bleiben.