Die marine Kohlenstoffsenke schwächelt
Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der ETH Zürich zeigt anhand von Messungen, dass die Weltmeere während der beispiellosen marinen Hitzewelle im Jahr 2023 deutlich weniger Kohlendioxid aufgenommen haben als erwartet.
11.09.2025
Die Weltmeere sind eine wichtige Senke für Kohlendioxid. Bislang nahmen sie rund ein Viertel der menschgemachten Kohlendioxid-Emissionen aus der Atmosphäre auf und stabilisieren so das globale Klimasystem. Ohne diese Senkenleistung wäre die Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre viel höher und die Erderwärmung hätte das 1,5-Grad-Ziel bereits deutlich überschritten. Gleichzeitig nimmt der Ozean rund 90 Prozent der zusätzlichen Wärme aus der Atmosphäre auf.
Im Jahr 2023 stiegen die Oberflächentemperaturen der Weltmeere sprunghaft an und erreichten in verschiedenen Regionen Rekordwerte. Der tropische Pazifik war sehr warm – bedingt durch ein starkes El-Niño-Ereignis, das in dieser Meeresregion die Strömungen umkehrt, so dass sich vor der Küste Südamerikas warmes Oberflächenwasser ansammelt und kälteres Wasser nicht mehr aus tieferen Schichten aufsteigen kann. Gleichzeitig erwärmten sich auch die Meere ausserhalb der Tropen ausserordentlich stark, insbesondere der Nordatlantik.
«Diese sprunghafte Erwärmung des globalen Ozeans auf neue Rekordtemperaturen ist für die Klimaforschung herausfordernd – denn bislang war unklar, wie die marine Kohlenstoffsenke darauf reagiert», sagt Nicolas Gruber, Professor für Umweltphysik an der ETH Zürich.
Ein internationales Forschungsteam hat nun erstmals basierend auf ozeanischen Kohlendioxid-Messungen von einem globalen Beobachtungsnetzwerk untersucht, ob und wie sich die extremen Temperaturen vor zwei Jahren auf diese Senke auswirkten. Geleitet wurde das Team von ETH-Biogeochemiker Jens Daniel Müller, der bis vor kurzem Postdoc in Grubers Gruppe war.
In einer Studie im Fachmagazin Nature Climate Change zeigen die Forschenden auf, dass der globale Ozean 2023 fast eine Milliarde Tonnen oder rund zehn Prozent weniger Kohlendioxid aufnahm als aufgrund früherer Jahre erwartet. Das entspricht etwa der Hälfte der gesamten Kohlendioxid-Emissionen der Europäischen Union oder mehr als dem zwanzigfachen derjenigen der Schweiz. «Das ist keine gute Nachricht», hält Gruber fest, «doch die Abnahme ist kleiner als befürchtet.»
Warmes Wasser löst weniger Kohlendioxid
Der Rückgang hat die Forschenden nicht wirklich überrascht. Warum, erklärt Müller anhand eines alltäglichen Phänomens: «Wenn sich ein Glas kohlensäurehaltiges Wasser in der Sonne erwärmt, entweicht gelöstes Kohlendioxid als Gas in die Luft». Dasselbe geschieht auch im Meer.
Dass der globale Ozean im Hitzejahr 2023 weniger Kohlendioxid aufgenommen hat, war vor allem eine Folge der hohen Wassertemperaturen in den aussertropischen Regionen der Nordhemisphäre, insbesondere im Nordatlantik. «Die hohen Temperaturen reduzierten die Löslichkeit des Kohlendioxids, was zu einem anormalen Ausgasen von Kohlendioxid führte und die Senkenleistung verringerte», erläutert Müller.
Ob der Ozean Kohlendioxid aufnimmt oder abgibt, hängt jedoch nicht nur von der Temperatur ab. Betrachtet man nur die verringerte Kohlendioxid-Löslichkeit, müsste die Ausgasung als Folge der hohen Temperaturen im Jahr 2023 gut zehnmal stärker ausgefallen sein. Das hätte die globale marine Kohlenstoffsenke fast vollständig zum Kollabieren gebracht.
Die Studie zeigt jedoch, dass sich die Senke nur moderat verringerte. Der Grund dafür liegt laut den Forschenden in physikalischen und biologischen Prozessen im Ozean, die der Kohlendioxid-Ausgasung entgegenwirken und die Senkenleistung stützen. Dies geschieht dadurch, dass diese Prozesse die Konzentration von gelöstem anorganischem Kohlenstoff (dissolved inorganic carbon, DIC) in den oberflächennahen Schichten reduzieren.
Kompensierende Kräfte stabilisieren die Senke
Drei physikalische und biologische Prozesse hielten DIC im Jahr 2023 in den oberflächennahen Schichten tief. Erstens das Entweichen von Kohlendioxid selbst. Zweitens verhinderte eine stabilere Schichtung der Wassersäule, dass kohlendioxidreiches Wasser aus den tieferen Schichten an die Oberfläche aufsteigen konnte. Drittens beförderte die biologische Pumpe anhaltend organisch gebundenen Kohlenstoff in die Meerestiefen: Unter der biologischen Pumpe versteht man den Vorgang, bei dem photosynthetische Organismen in den lichtdurchfluteten Schichten Kohlendioxid aufnehmen und wachsen, dann absterben und in die Tiefe absinken.
Diese drei kompensierenden Kräfte – das Entweichen von Kohlendioxid, die Schichtung der Wassersäule und die biologische Pumpe – stabilisierten die Kohlenstoffsenke. «Somit kann man die Antwort des Ozeans auf die extremen Temperaturen von 2023 als Resultat eines permanenten Tauziehens zwischen temperaturbedingtem Ausgasen und gleichzeitiger Verarmung an gelöstem Kohlendioxid verstehen», sagt Gruber.
El-Niño-Effekt überdeckt
Auf ähnliche Weise erklären die Forschenden den Einfluss des El Niño von 2023 auf die marine Kohlenstoffsenke: Während eines El Niños schwächt sich die Zirkulation im tropischen Pazifik ab, so dass weniger kaltes und kohlendioxidreiches Wasser an die Oberfläche aufsteigt. Das führt dazu, dass der tropische Ostpazifik, der in normalen Jahren sehr grosse Mengen an Kohlendioxid an die Atmosphäre abgibt, während El Niño-Jahren praktisch kein Kohlendioxid ausgast. El Niño fördert dadurch die globale Senkenleistung des Ozeans – trotz der starken Erwärmung.
Das war auch im Jahr 2023 der Fall. «Allerdings hat die starke Erwärmung des aussertropischen Ozeans den El-Niño-Effekt im tropischen Pazifik ausgehebelt», bilanziert Müller. Tatsächlich war das temperaturgetriebene Ausgasen von Kohlendioxid vor allem im Nordatlantik so stark, dass es die Kohlendioxid-Aufnahme in den Tropen überdeckte. Das führte im El-Niño-Jahr 2023 unter dem Strich zu einem Rückgang der marinen Kohlenstoffsenke.
Für ihre Studie fokussierten die Forschenden auf den globalen Ozean, jedoch ohne den Arktischen Ozean und die südlichsten Teile des Südpolarmeers. Sie verwendeten Kohlendioxid-Beobachtungen von Forschungsschiffen, Frachtern und Messbojen, um daraus mit Satellitendaten und maschinellem Lernen globale Verteilungsmuster zu erstellen. So konnten sie die Kohlendioxid-Flüsse zwischen Wasser und Luft an der Meeresoberfläche berechnen.
Die Zukunft der marinen Senke ist ungewiss
Die Studie ist eine der ersten, die es auf Basis von Beobachtungen erlaubt, einen Blick auf das Verhalten eines erwärmten Ozeans zu werfen. «Wie sich die Senkenleistung künftig entwickeln wird, können wir aber noch nicht sicher sagen», hält Müller fest.
Klar ist: Seit den Rekordtemperaturen 2023 haben sich die Weltmeere kaum abgekühlt. Die Erde erwärmt sich weiter. Hitzewellen werden häufiger und intensiver. «Ob die kompensierenden Mechanismen langfristig wirksam bleiben und das temperaturbedingte Ausgasen begrenzen, ist hingegen unklar», gibt Gruber zu bedenken.
Die beiden Forschenden räumen ein, dass die marine Kohlenstoffsenke in Zukunft weniger Kohlendioxid absorbieren könnte. «Vorläufig nimmt der globale Ozean aber immer noch sehr viel Kohlendioxid auf – zum Glück», sagt Gruber.