Brüsseler Spitzen: Regulatory Update
Die EU justiert ihre Nachhaltigkeitsregeln neu. Mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) wollte sie einst Maßstäbe für Transparenz und Verantwortung setzen. Doch das im Sommer verabschiedete Omnibus-Verfahren verändert den Kurs spürbar: Schwellenwerte werden angehoben, Fristen verlängert und zentrale Pflichten wie Klimatransitionspläne abgeschwächt. Während Investoren und NGOs vor einem Verlust an Substanz warnen, betont die Global Reporting Initiative, dass Double Materiality und klare Berichtsstandards unverzichtbar bleiben – sonst droht Europa seine Vorreiterrolle einzubüßen.
27.08.2025
Die Global Reporting Initiative (GRI) erklärte Ende Juli und im August 2025 in Stellungnahmen, dass das Omnibus-Paket eine Reihe wesentlicher Veränderungen für Unternehmen mit sich bringe. Dazu zählen Verzögerungen im Zeitplan, eine Reduzierung der verpflichtenden Offenlegungen und sogar eine zweijährige Aussetzung der CSRD-Ausweitung über die erste Welle hinaus. Während GRI diese Änderungen als nachvollziehbar im Kontext der regulatorischen Unsicherheit beschreibt, betont sie zugleich: „for thousands of GRI reporters in Europe, continued voluntary reporting with the GRI Standards offers clarity as they seek to understand their future transparency needs“.
Der Kern bleibt – und muss es bleiben
GRI warnte jedoch vor einem Verlust zentraler Reporting-Prinzipien. In einer gemeinsamen Erklärung von Investoren, Unternehmen und NGOs am 7. August 2025 drängte die Initiative darauf, dass das Prinzip der Double Materiality beibehalten wird – es bleibe „essential for effective sustainability reporting“ und sei die Grundlage für eine nachhaltige Kapitalallokation sowie globale Vergleichbarkeit. Wenn dieses Prinzip fallengelassen werde, bedeute das faktisch einen Rückfall auf den Stand vor 2014.
Parallel unterstützten zahlreiche Investoren, Unternehmen und NGOs eine weitere Erklärung Mitte August 2025, in der sie fordern, die CSRD und auch die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) nicht in ihrem Kern zu schwächen – trotz des Omnibus-Ziels der Vereinfachung. Sie betonen, dass eine Vereinfachung möglich sei, „without compromising on the substance of sustainability rules or their significant benefits“.
Politische Verhandlungen und Rückzugstendenzen
Der legislative Kurswechsel vollzog sich nicht ohne politisches Ringen. Der Rat der EU positionierte sich mit dem Vorschlag, die Schwellenwerte für die CSRD auf 1.000 Mitarbeiter oder 450 Millionen Euro Umsatz heraufzusetzen – mit Ausnahmeregelungen für kleinere Unternehmen bis Ende 2026. Die CSDDD-Regelungen wurden auf Tier 1-Lieferanten beschränkt, Fristen verlängert und die Green Claims Directive droht zurückgezogen zu werden. Kritiker im Europäischen Parlament warnten, dies schwäche den Umweltschutz und soziale Mindeststandards.
Entkernung durch „De scoping“?
Der Copenhagen-Business-School-Professor Andreas Rasche beobachtet diese Entwicklung kritisch. In einem LinkedIn-Beitrag vom 25. Juli 2025 schreibt er: „De-scoping companies from #CSRD & #CSDDD makes these directives irrelevant (from a compliance view).“ Seine Einschätzung ist deutlich: Wenn Unternehmen in großem Stil von der Berichtspflicht ausgenommen werden, verlieren die Richtlinien ihre Glaubwürdigkeit. Ohne verpflichtende Klimatransitionspläne droht ein Rückschritt – von einem Steuerungsinstrument zur bloßen Symbolpolitik.
Harmonisierung auf hohem Schwellenwert
Rasche hob zudem in einem LinkedIn-Post vom 19. Juni 2025 hervor, dass das Omnibus-Paket eine Harmonisierung von CSRD und CSDDD vorsieht. Beide sollen künftig bei Schwellenwerten ab 3.000 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von 450 Millionen Euro greifen. Das, so seine Kritik, verschiebt den Anwendungsbereich weit nach oben und nimmt insbesondere mittelgroße Unternehmen aus der Pflicht – genau jene, die in vielen Sektoren zentrale Knotenpunkte von Lieferketten darstellen. Damit werde der europäische Anspruch, Standards entlang ganzer Wertschöpfungsketten zu setzen, spürbar geschwächt.
Technik im Schatten der Politik
Schließlich machte Rasche am 6. August 2025 darauf aufmerksam, dass die technische Dimension der Berichterstattung im politischen Diskurs unterzugehen droht. „In the political omnibus debate, this technical dimension is overshadowed by efforts to shrink the CSRD/CSDDD scope and weaken key elements,“ schrieb er auf LinkedIn. Gemeint sind Detailfragen zu ESRS-Standards, zur Vergleichbarkeit von Daten oder zur Integration mit internationalen Rahmenwerken wie ISSB oder GRI. Aus seiner Sicht ist es fatal, dass diese Fragen in den politischen Auseinandersetzungen kaum eine Rolle spielen – obwohl sie darüber entscheiden, ob Berichte tatsächlich belastbar und vergleichbar sind.
Fazit: Ein Kurswechsel mit Folgen
Es ist mehr als ein Aufschub oder eine technische Revision – die Omnibus-Ausrichtung markiert eine strategische Neuausrichtung der EU-Klimapolitik. Der Unterschied zwischen Vereinfachung und Entkernung liegt nah beieinander.
GRI positioniert sich klar als Bewahrer der Substanz. Prof. Rasche warnt, dass technische Debatten politisch leicht verdrängt werden und sieht die Gefahr, dass Europa die Relevanz seiner Regelwerke verspielt. Zusammengenommen zeichnet sich ein Szenario ab, in dem die EU Gefahr läuft, ihre Rolle als globaler Vorreiter zu verlieren – wenn die nächsten Schritte nicht sorgfältig austariert werden.