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Deutsche Start-ups – Streber in Sachen Nachhaltigkeit

Auch wenn Corona es vorübergehend ausblendet – das Thema Nachhaltigkeit bestimmt die Zukunft der deutschen Wirtschaft. Allen voran scheinen Start-ups dieses Prinzip verinnerlicht zu haben. Was machen die Gründer hier anders als etablierte Unternehmen?

12.06.2020

Deutsche Start-ups – Streber in Sachen Nachhaltigkeit

von Samuel Ilg von beegut

Grüne Start-ups als Motor der Gründerszene

„Mit ressourcen- und umweltschonenden Produkten, innovativen Verfahren oder neuen Geschäftsmodellen geben sie Impulse für eine stetige Erneuerung unserer Wirtschaft“ – so beschreibt Wirtschaftsminister Altmaier die Deutschlands Jungunternehmen im Start-up Monitor. Im Jahre 2020 zählen aktuell 21 Prozent aller jungen innovativen Unternehmen in Deutschland zur Green Economy, über 36 Prozent der DSM-Start-ups ordnen sich der grünen Wirtschaft und/oder dem Bereich Social Entrepreneurship zu. Sie zielen nicht nur darauf ab, die Energiewende und den Klimaschutz voranzutreiben, sondern stehen auch für die Vermeidung von Plastikmüll und das Etablieren einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft. Auch gesellschaftliche Herausforderungen in den Feldern Ernährung, Gesundheit und Bildung stehen auf dem Plan der jungen Unternehmer.

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Was tun Deutschlands große Unternehmen in puncto Nachhaltigkeit?

Im Gegensatz zu großen Unternehmen verkörpern Startups das Thema Nachhaltigkeit authentischer als Öl-, Auto- und Lebensmittelkonzerne. Die haben zwar erkannt, dass man mit einem grünen Anstrich sein Image aufpolieren kann, aber lancieren zu diesem Zweck eher symbolische Aktionen fern von ihrem Kerngeschäft: So baut der Versicherungsriese Allianz Quartiere für Fledermäuse und Igel, die Deutsche Bank versucht, das Wegwerfen von Lebensmitteln in ihrer Kantine zu reduzieren und die Telekom errichtet smarte Bienenstöcke auf dem Firmengelände. „Das sind oft Alibimaßnahmen und Feel-Good-Projekte, für die sich Unternehmen auf die Schulter klopfen können“, kommentiert Katharina Reuter, Geschäftsführerin des Bundesverbands der grünen Wirtschaft im Handelsblatt. Gleichzeitig kümmert sich die Unternehmenskultur der Konzerne wenig um den Klimaschutz: Die Zahl der Geschäftsreisen stieg laut Reisekostenabrechnungen zwischen 2004 und 2018 von 146 auf über 189 Millionen – es ist zu hoffen, dass der Corona-induzierte Digitalisierungsschub hier endlich einen positiven Einfluss zeigt.

Warum funktionieren nachhaltige Konzepte bei Startups besser?

Gründer und junge Teams wachsen mit ihrer Kunden-Community. Mit ihnen kommunizieren sie über digitale Kanäle und etablieren auf diese Weise Feedback-Schleifen für Anregungen zu Produkten und Verbesserungsvorschläge. Anders als manch globaler Konzern kommen die jungen Firmen nicht schadlos damit davon, Produkte mit fragwürdigen Inhaltsstoffen oder unter sozial fragwürdigen Bedingungen herzustellen. Schließlich verkaufen sie ihren Kunden mehr als Großkonzerne ein Stück Identität als Teil einer ressourcenschützenden und moralisch sensiblen Gesellschaft. 

Eine Identifikationsplattform bieten Start-ups auch ihren Mitarbeitern. Denn hoch qualifizierte junge Fachkräfte fordern heute seltener nur ein attraktives Gehalt und einen großen Dienstwagen, stattdessen verlangen sie einen Sinn in ihrem Tun. Start-ups, die sich einem positiven Einfluss auf die Gesellschaft verschrieben haben, können diese Sinnsuche meist besser befriedigen als Großunternehmen.

Im Folgenden haben wir drei Beispiele für Jungunternehmen gefunden, die sich an nachhaltigen und sozialen Leitbildern orientieren:

Ann-Sophie Claus und Sinja Stadelmaier, Gründerinnen des Start-ups The Female Company zoom
Ann-Sophie Claus und Sinja Stadelmaier, Gründerinnen des Start-ups The Female Company

The Female Company

Ann-Sophie Claus und Sinja Stadelmaier gründeten 2017 ihr Unternehmen, das Tampons und Binden aus Bio-Baumwolle vertreibt. Die Inspiration dazu gab eine Indien-Reise, die beide Frauen mit der Tabuisierung der Monatsblutung im Schwellenland konfrontierte. Zurück in Deutschland kam den gelernten Kommunikationswissenschaftlerinnen dann die Erkenntnis: Nicht nur über die Periode spricht man hierzulande nicht gern, sondern auch über die Rohstoffe in den Hygieneartikeln: Hersteller sind nicht gesetzlich verpflichtet die Inhaltsstoffe offenzulegen, obwohl die Nutzerinnen ihre Produkte in direktem Körperkontakt tragen.
Genug Gründe für Claus und Stadelmaier, ein Start-up um Tampons und Binden aus pestizidfreien, biologisch angebauten Baumwollfasern aus der Taufe zu heben. Produziert werden die Hygieneartikel von The Female Company in Spanien und zertifiziert nach Global Organic Textile Standard (GOTS), der neben umwelttechnischen Anforderungen auch soziale Kriterien wie die Kernnormen der Internationalen Arbeitsorganisation vorschreibt. 

Auch bei der Verpackung der Hygieneartikel betont das Unternehmen Aspekte der Nachhaltigkeit und Entstigmatisierung: Tampons und Binden sind einzeln in Papier beziehungsweise Maisstärke verpackt und kommen in Design-Boxen daher, die Kundinnen prominent in ihrem Bad platzieren sollen. Kaufen kann Frau die Artikel für den weiblichen Zyklus online als Abo mit variablem Lieferzyklus. Gleichzeitig leistet jede Kundin einen sozialen Beitrag: Für jedes Abo lassen die Stuttgarter Gründerinnen in Indien unter fairen Bedingungen eine waschbare Stoffbinde nähen, die einer dortigen Frau rund ein Jahr Monatshygiene ermöglicht. Das Konzept überzeugt: Im vergangenen Jahr investierte der Medienkonzern Burda eine Millionensumme in das junge Unternehmen. Darüber hinaus vertreibt The Female Company seine Produkte aktuell in den deutschlandweit 900 Filialen der Drogerie-Kette dm.

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beegut Gründer beim Besuch einer ihrer regionalen Partner

beegut

Seit 2018 folgt das Start-up aus Ostwürttemberg der Mission, traditionelle Bienenprodukte wieder bekannt zu machen. Dabei setzen die Gründer Hannes Borst und Samuel Ilg neben Honig vor allem auf weniger bekannte Bienenerzeugnisse wie Propolis und Blütenpollen. Aus den interessanten Rohstoffen entwickeln sie Naturkosmetik, nachhaltige Lebensmittelverpackungen und Nahrungsergänzungsmittel.

Nachhaltig erzeugte Rohprodukte, ein ethischer Umgang mit den Tieren und transparente Lieferketten sind den Gründern dabei wichtig. Das Unternehmen arbeitet wenn möglich mit Bio-Imker-Kooperativen aus Europa zusammen und hat für seine Bienenwachstücher eine eigene Produktion im Allgäu aufgebaut. Die umweltschonende Innovation des Bienenwachstuchs, das statt Frischhaltefolie genutzt werden kann, soll Kunden dabei helfen, ihren Plastikabfall zu reduzieren. 

Zusätzlich ist beegut überzeugt davon, dass eine Anregung der Nachfrage nach Bienenprodukten auch die Sensibilität für Deutschlands drittwichtigstes Nutztier erhöht und aktiv zum Bienenschutz beitragen kann. In diesem Ansinnen spendet das Unternehmen zusätzlich 10 Cent pro Produktverkauf an Projekte zum Schutz der Wild- und Honigbienen, das Geld fließt unter anderem in Initiativen wie das Forschungsprojekt “beetrees” der Universität Würzburg.

Laut Aussage der beiden Gründer sei die Einbeziehung der Rückmeldungen aus der Community ein wichtiger Indikator für die Entwicklung neuer und der Verbesserung existierender Produkte. Ein Fokus gilt auch der Verpackung, heute verpackt beegut seine Produkte hauptsächlich in Mehrweg-Glas und setzt auf das ressourcenschonende und regional gewonnene Graspapier bei Etikett & Umverpackungen.

Christoph Lung und Johannes Lutz, Gründer von Duschbrocken.zoom
Christoph Lung und Johannes Lutz, Gründer von Duschbrocken.

Duschbrocken

Christoph Lung und Johannes Lutz trafen sich 2017 auf einer Weltreise, wo aus der Not die Idee für ihr Produkt geboren wurde: Statt Ärger mit auslaufenden Shampoo-Flaschen im Gepäck zu haben, wünschten sich die Globetrotter ein festes Körperpflegeprodukt, das Shampoo und Duschgel in einem ersetzte. Den Prototyp zum „Duschbrocken“ entwickelten Lung und Lutz zurück in Stuttgart. Das Produkt will den Nerv der Zeit gleich mehrfach treffen: Das feste Pflege-Stück lässt sich legal im Handgepäck transportieren, kann nicht auslaufen aber spart gleichzeitig auch die Plastikverpackungen der flüssigen Pflegevarianten. Damit ist auch Mikroplastik im Dusch-Abwasser kein Thema mehr. Auch bei den Rohstoffen stehen regionale Quellen und Nachhaltigkeit im Fokus: Bio-Glycerin, Duftöle und Lebensmittelfarben bezieht das Unternehmen aus Süddeutschland; die Tenside im Duschbrocken sind frei von Palmöl. Insgesamt ist das Produkt vegan und frei von Tierversuchen. Verpackt wird der „Brocken“ in eine Dose, die aus nachwachsenden Rohstoffen wie Zuckerrohr und Mais sowie Altpapier und -holz produziert wird. Damit ist die Verpackung vollständig kompostierbar.

Einer breiten Öffentlichkeit konnten Lutz und Lung ihr Produkt im April 2020 im Vox-Format „Die Höhle der Löwen“ vorstellen, wo ihnen Investor Ralf Dümmel spontan einen „Deal“ über 250.000 Euro anbot. Aktuell ist der Duschbrocken in drei Duftrichtungen online oder bei Rossmann erhältlich.

Quelle: UD
 

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