Digitalisierung + KI

Was taugt die Digitalagenda?

Die Umweltpolitische Digitalagenda des Bundesumweltministeriums (BMU) präsentiert eine umfassende Strategie, um Digitalisierung zu einer Triebkraft für Nachhaltigkeitstransformationen zu machen. Darin stehen aber viele „weiche“ Maßnahmen, die durch ordnungsrechtliche oder ökonomische Maßnahmen ergänzt werden müssen, findet das IÖW.

10.03.2020

Was taugt die Digitalagenda?

Wissenschaftler vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) würdigen die von Bundesumweltministerin Svenja Schulze vorgestellte Umweltpolitische Digitalagenda. Die Agenda stelle einen wichtigen Beitrag zu einer zukunftsfähigen Gestaltung eines der bedeutendsten Innovationsfelder der heutigen Zeit dar: „Die Digitalisierung und die Dekarbonisierung werden zwei der wichtigsten Megatrends des 21. Jahrhunderts sein. Das Umweltministerium hat die Notwendigkeit erkannt, diese Trends zusammen zu denken und integriert zu gestalten. Mit der Umweltpolitischen Digitalagenda legt das Bundesumweltministerium eine umfassende Strategie vor, um dieses Ziel zu erreichen“, so Prof. Dr. Tilman Santarius, Digitalisierungs-Experte am IÖW und am Einstein Center Digital Future der Technischen Universität Berlin. 

Dr. Florian Kern, IÖW-Experte für Umweltpolitik betont: „Die Digitalagenda des BMU ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg, die Digitalisierung als Treiber einer dringend erforderlichen sozial-ökologischen Transformation zu gestalten“. Vor allem begrüßen die Forscher, dass der Fokus nicht ausschließlich auf den technischen Möglichkeiten liegt, sondern auch die Förderung von sozialen Innovationen und eine digitale Plattform für sozial-ökologische Innovationen vorgesehen sind.

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Ein umfassender Politik-Mix ist nötig, nicht hauptsächlich „weiche“ Instrumente

Landwirtschaft, Mobilität, Industrie – die Digitalagenda will Maßnahmen in allen zentralen Bereichen umsetzen. Die IÖW-Forscher sehen weiteren Handlungsbedarf: „Viele der vorgeschlagenen Maßnahmen beruhen auf ‚weichen‘ Instrumenten, während die Ziele durch verbindliche Regulierung wesentlich effektiver erreicht werden könnten. Statt in der europäischen CSR-Richtlinie ein Reporting zu Umweltschäden bei Rohstoffgewinnung zu fordern, sollten besser gleich verpflichtende menschenrechtliche und ökologische Mindeststandards angestrebt werden“, so Santarius. Damit Hardware länger hält, strebt das BMU nur eine „Garantieaussagepflicht“ der Hersteller an. Zielführender wäre, die Garantiedauer für Verbraucherinnen und Verbraucher zu verlängern und Garantieansprüche zu verbessern. 

Ordnungspolitische Instrumente adressiert die Agenda noch zu vage oder verspricht nur, dass sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene für entsprechende Regelungen einsetzen möchte, wie etwa bei der EU Ökodesign-Richtlinie. Florian Kern hebt hervor, dass ein breiter Politikmix mit ordnungsrechtlichen und ökonomischen Instrumenten für die sozial-ökologische Transformation zentral ist. „Es bleibt abzuwarten, was die Bundesregierung im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft und darüber hinaus auf europäischer Ebene mit ihren ambitionierten Zielen tatsächlich erreichen wird.“ Ferner müsste der Politik-Mix auch über klassische umweltpolitische Maßnahmen hinausgehen: „Um die negativen sozialen und ökologischen Effekte und Risiken der zunehmenden Digitalisierung einzuhegen und die Potenziale zu fördern, reichen die klassischen Instrumente der Umweltpolitik nicht aus, sondern müssen durch innovationspolitische, industriepolitische wie auch wirtschaftspolitische Maßnahmen effektiv ergänzt werden“, so Kern.

Eine Frau hält ihr Smartphone

Energieverbrauch von Streaming und Rechenzentren: Nachbesserungsbedarf in der Digitalagenda

Streaming ist die umweltintensivste digitale Dienstleistung im Endkundenbereich. Die Agenda kündigt an, ‚mit großen Anbietern ins Gespräch zu kommen‘ und eine ‚Prüfung verpflichtender Vorgaben‘ vorzunehmen. Für die großen Stromfresser Rechenzentren möchte sich das BMU nur für eine ‚einheitliche statistische Erfassung‘ einsetzen, anstatt verpflichtende Energieeffizienz- und absolute Verbrauchsstandards für Rechenzentren zu entwickeln. „Hier sollte im Laufe des Prozesses nachgebessert werden. Sonst könnte etlichen der vorgeschlagenen Maßnahmen am Ende die Verbindlichkeit und Wirkungstiefe fehlen, um tatsächlich die Weichen für eine umweltgerechte Digitalisierung zu stellen“, sagt Santarius.

Steigender Stromverbrach und Rebound-Effekte werden zu wenig adressiert

Während die Umweltpolitische Digitalagenda eine Reihe von vielversprechenden Maßnahmen wie langlebigere Geräte oder besseres Recycling vorsieht, um ökologische Auswirkungen auf (knappe) Ressourcen zu verringern, wird der wachsende Stromverbrauch der Digitalisierung nicht ausreichend adressiert. Santarius sagt: „Die meisten wissenschaftlichen Szenarien gehen von moderat bis stark anwachsenden Stromverbräuchen aller digitalen Geräte und Anwendungen aus. Um die Energiewende hin zu 100 Prozent Erneuerbare Energien zu schaffen, muss der gesamte Stromverbrauch sinken. Die Digitalagenda liefert zu wenig Ansatzpunkte, wie wachsende Stromverbräuche abgemildert werden könnten. Es fehlen etwa strikte Verbrauchsstandards für Rechenzentren, verbindliche Anforderungen, dass deren Abwärme sinnvoll für die Wärmeversorgung genutzt wird, oder die Forderung, dass neue Rechenzentren mit 100 Prozent Ökostrom betrieben werden müssen.

Rebound-Effekte können das Einsparpotenzial von digitalen Anwendungen schmälern. Kern macht deutlich: „Die umweltpolitische Digitalagenda erkennt an, dass Digitalisierung auch zu Rebound-Effekten führen kann und das BMU solche Effekte minimieren möchte. Wie genau Rebound-Effekte reduziert werden sollen, bleibt jedoch unklar. Die Agenda verweist sehr unkonkret auf die Notwendigkeit eines politischen Ordnungsrahmens und als einzig konkretes Instrument auf ein ‚kommunales Netzwerk für nachhaltige digitale Verkehrswende‘. Aus Sicht des IÖW ist es nötig, die Förderung von Energie- und Ressourceneffizienz mit stärkeren ökonomischen Anreizen für eine absolute Reduktion des Verbrauchs und Suffizienz-Strategien zu kombinieren. Die Umweltpolitische Agenda macht keine Vorschläge für Ökosteuern oder andere Instrumente.“

Zukunftsfähige Digitalisierung erfordert Abstimmung aller Ressorts

Ein solcher Politik-Mix geht aber weit über den Geschäftsbereich des BMU hinaus. Kern betont: „Es ist begrüßenswert, dass das Umweltministerium die fortschreitende Digitalisierung so gestalten möchte, dass sie die Energie-, Mobilitäts- und Agrarwende und den Einstieg in die Kreislaufwirtschaft unterstützt und beschleunigt“. Eine solche Ankündigung sollte sich aber nicht nur auf Programme des BMU oder die Forschungsförderung der sozial-ökologischen Forschung des Bundesforschungsministeriums beziehen, sondern auch für die Förderung des Wirtschafts- oder Verkehrsministeriums gelten. Beispielsweise machen die vom BMU geförderten ‚Leuchtturmprojekte für Künstliche Intelligenz‘ (KI), die Umwelt- und Klimaschutz dienen sollen, weniger als zehn Prozent die bundesweiten Fördermittel für KI im Jahr 2019 aus; zahlreiche von anderen Ministerien geförderte Projekte verfolgen keine Nachhaltigkeitsziele oder sind sogar kontraproduktiv. Kern fordert: „Um tatsächlich eine nachhaltige Digitalisierung zu erzielen, ist es dringend erforderlich, dass alle Ressorts der Bundesregierung sich die Zielsetzung der Digitalagenda zu eigen machen. Dies erfordert eine enge Abstimmung der Ressorts und eine kohärente Politik.“

Weitere Informationen:

  • Umfassende Vorschläge von Tilman Santarius und Steffen Lange finden sich im Buch „Smarte grüne Welt?“ sowie in einem Artikel bei Netzpolitik.
  • Die Nachwuchsgruppe „Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation“ von IÖW und TU Berlin forscht zur nachhaltigen Gestaltung der Digitalisierung.
  • ReCap Policy Brief zum Eindämmen makroökonomischer Rebound Effekte.
Quelle: UD/pm
 

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