Innovation & Forschung

Wie Pilze Mondlandschaften zum Blühen bringen

Mit Substratabfällen aus der Pilzproduktion und Klärschlamm-Kompost hat das Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme IKTS gemeinsam mit Partnern eine Mülldeponie im Leipziger Raum zum Blühen gebracht. Künftig wollen die Forschenden mit ihrer neuen Rekultivierungstechnologie auch Tagebaue und alte Bergbauhalden begrünen – und „ganz nebenbei“ den Energieverbrauch in deutschen Champignon-Zuchtanlagen deutlich senken.

21.10.2022

Wie Pilze Mondlandschaften zum Blühen bringen
Laborversuche zur Pflanzenverträglichkeit der verschiedenen Mischungen.

Gerade beim Tagebau mag der Laie denken, dass die Bagger eigentlich am Ende der Förderung nur wieder die Erde in die riesigen Bodenlöcher hineinschieben müssen – den Rest erledigt dann schon die Natur. In der Praxis dauern diese Prozesse oft Jahrzehnte und müssen aufwendig in Gang gebracht werden. Das liegt daran, dass die Maschinen unter dem Mutterboden, der ganz oben aufliegt, nur noch biologisch inaktiven Unterboden ohne Pflanzenwurzeln und Mikroorganismen aus dem Erdreich holen. Von diesen Abraummaterialien fallen große Mengen an, die an anderer Stelle sinnvoll eingesetzt werden könnten. Wenn dieses sogenannte „Abraumförderbrückenmaterial“ ohne weitere Bearbeitung genutzt würde, wäre eine Begrünung äußerst langwierig. Verstärkt wird dieser Verödungseffekt zudem durch geologische Besonderheiten wie Phosphoritknollen, die mit dem Abraum an die Oberfläche gelangen und mit dem Sauerstoff in der Luft oxidieren. Diese Phosphoroxide übersäuern dann das Erdreich und machen es für Pflanzen unbewohnbar.

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Dies zu ändern, haben sich die Partner des vom Land Sachsen aus EFRE-Mitteln geförderten Forschungsprojekts „Boden 2“ (Antragsnummer: 100267811) vorgenommen: Unter Beteiligung des IKTS haben sich Deponiebetreiber, Klärschlammverwerter, Spezialmaschinenhersteller und Agrarexperten zusammengetan, um unbelebte Erde mit neuem Leben zu impfen. Konkret haben sie dies auf einer Versuchsfläche von 600 Quadratmetern einer Mülldeponie nahe Leipzig erprobt – mit Erfolg. Mittlerweile blühen dort wieder Gräser, Blumen und Stauden, auch Tiere siedeln sich an. „Wir freuen uns, dass wir mit den neuen Rekultivierungstechnologien Teile der Deponie so schnell begrünen konnten und diese sich schön ins Landschaftsbild einfügt“, betont Deponiebetreiber Bernd Beyer.

Pilz-Klärschlamm-Mischung puffert Phosphorknollen

Die begrünte Fläche sieht nicht nur schöner aus als eine karge Halde, sondern stabilisiert das gesamte ökologische und geologische Gleichgewicht vor Ort: Die Wurzeln verankern und stabilisieren die Erde, die sie damit gegen Erosion schützen. Außerdem kann Regenwasser nun ins Erdreich einsickern, statt auf trocken-hartem Boden wegzufließen oder Ausspülungen zu verursachen. Wichtig: Die Vegetation und die „reanimierte“ Erde strecken den Phosphoritknollen-Effekt. Anders als bei unbehandelten Deponiedecken rutscht der pH-Wert des Bodens nicht mehr so stark ab.

Möglich ist diese Rekultivierung durch eine ganz besondere Rezeptur, die die sächsischen Forschenden, Landwirtschaftsexperten und Ingenieure im Projekt in aufwendigen Versuchen gemeinsam entwickelt haben. Ein Bestandteil dafür ist Klärschlamm-Kompost, der aus kommunalen Kläranlagen in der Umgebung kommt. Dieser enthält viele Mikroorganismen, die für eine Wiederbelebung für den inaktiven Boden sorgen.

Die zweite Komponente kommt aus der Champignon-Produktion. Diese Pilze werden heutzutage in großen Hallen in übermannshohen Regalen gezüchtet, gefüllt mit Kompost und einem speziellen Substrat. Nach der Ernte wird das verbrauchte Pilzsubstrat meist als Dünger für Feldfrüchte wie Getreide oder Gemüse weiterverwendet. Dafür ist es aber eigentlich zu schade – und verschwendet zudem viel Energie. Denn das Substrat hat viel wertvolle organische Fracht an Bord, die Pilzproduzenten aber aus rechtlichen Gründen im Ofen aufwändig sterilisieren müssen. Diese Entkeimung macht allein rund 30 Prozent des gesamten Energiebedarfs in der Pilzproduktion aus. Wenn es gelingt, das Substrat ohne Sterilisation anderweitig zu verwenden, könnten die Pilzproduzenten also viel Energie und Geld sparen und damit zum Umweltschutz beitragen.

Einen möglichen Ansatz dafür hat das Projekt geliefert: Statt das Substrat auf die Felder zu bringen, nutzen die Forschenden die Champignon-Produktionsreste für ihre Rekultivierungstechnologie. Bisher verwenden sie zwar wegen der gesetzlichen Vorgaben noch sterilisiertes Substrat, doch Versuche haben bereits gezeigt, dass unsterilisierte Pilzreste noch viel besser geeignet wären, biologisch inaktivem Boden Leben einzuhauchen.

Genaue Rezeptur ist geheim

Klärschlamm-Kompost und Pilzsubstrat werden dann auf das „Grundmatrixmaterial“, also zum Beispiel auf unbelebten Unterboden aus Tagebauen, aufgeschichtet. Die genaue Zusammensetzung ist ein Geheimnis. Sie hängt auch vom jeweiligen Grundmatrixmaterial der Pilzart und der Aufbereitung der Zusatzstoffe ab. Landmaschinen vermischen die in Schichten aufgebrachten Materialien. Eine Sämaschine bringt dann das Saatgut aus. Danach lassen die Projektpartner der Natur weitgehend ihren Lauf.

Schon nach kurzer Zeit ist die so behandelte Haldenfläche zu 80 Prozent begrünt. Beobachtungen haben gezeigt, der Rekultivierungseffekt ist nachhaltig: Trotz der Hitzewellen seit 2020 hat sich die rekultivierte Fläche nicht in eine Mondlandschaft zurückverwandelt.

Wie ein Wundverschluss für die verletzte Landschaft

Aus Sicht von Nico Domurath, Wissenschaftler für Pflanzenbau am IKTS, haben diese Erfolge auch eine wichtige gesellschaftliche und ökologische Dimension: „Boden ist eine sehr wertvolle Ressource, die wir schützen müssen“, betont er. „Leider verlieren wir im Schnitt pro Tag 54 Hektar davon – das entspricht 76 Fußballfeldern – beispielsweise durch Wohnungs-, Straßen- und Bergbau. Was wir im Zuge unseres Projekts entwickelt haben, ist wie ein Wundverschluss für die Verletzungen, die der Mensch in der Landschaft hinterlassen hat.“

In einem Anschlussprojekt wollen die IKTS-Forschenden die neue Rekultivierungstechnik nun im Freiberger Raum auch auf alten Bergbauhalden erproben. Dort sollen ähnliche Spezialmischungen verhindern, dass der Regen Blei, Cadmium, Uran oder andere Schwermetalle in die Flüsse spült. In einem weiteren Vorhaben möchte das Forschungsteam zudem seine Technologie auf einer größeren Halde austesten. Dieser Schritt vom Pilot- in den großtechnischen Maßstab soll unter anderem helfen abzuschätzen, welche Skalierungseffekte auftreten und wie viel es kosten würde, Großflächen von mehreren Hektar so zu begrünen.

Weitere Informationen finden Sie hier

Quelle: UD/fo
 

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