Die Welt im Wandel – gelebte Verantwortung!
Mit welcher Strategie reagiert die Industrie auf den tiefgreifenden Wandel in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Umwelt? Dieser Frage müssen sich heute alle Unternehmen stellen. Getrieben durch Aktionismus, können wir das Augenmaß verlieren und statt nachhaltigen Lösungen, neue Probleme für die Zukunft schaffen.
05.12.2019
von Rainer Janz
Der rasante technische Fortschritt öffnet konstant neue Tore und erweitert die Grenzen des Machbaren immer weiter. Eigentlich sollte man meinen, dass dadurch völlig neue weltwirtschaftliche Chancen entstehen. Doch der Blick von oben, auf und um die ganze Welt, führt vielmehr zu der Frage: „Ja, sind wir denn noch zu retten?“ Längst müssen sich Unternehmen nicht mehr nur dem Thema der eigenen Zukunftsfähigkeit stellen – sondern auch ganz globalen Herausforderungen: Zum Beispiel der Klimakrise und ihren Folgen, dem Bevölkerungswachstum, dem gleichzeitigen Anspruch an stetig steigenden Wohlstand und dem Trend zu internationalen Handelsbeschränkungen. Letztere bewirken, dass sich gerade Industrieländer zunehmend vom internationalen Warenstrom abschotten – im besten Fall nur importseitig. Die logische Folge: Drohende Handelskrisen und Verteuerung von Waren und Dienstleistungen.
Die Grenzen des Wachstums
Menschen fliegen bald zum Mars – und Menschen verhungern und verdursten. Das ist nach wie vor bittere Realität. Einem hungernden Kind ist das nur sehr schwer zu erklären: Warum es hungern muss, wenn allein in Europa jährlich etwa 90 Millionen Tonnen Lebensmittel vernichtet werden. Wohlgemerkt ist Hunger kein alleiniges Problem von Schwellen- oder Entwicklungsländern: Überall hungern Menschen. Wir übertreffen uns mit bahnbrechenden Spitzentechnologien, schaffen es aber nicht, Menschen vor Hunger zu bewahren, obwohl weit mehr Nahrungsmittel vorhanden sind als weltweit benötigt werden.
Nicht weniger schwierig gestaltet sich die Situation in der Grundversorgung mit Wasser. Während das “Geschäft Wasser“ mittlerweile über 300 Milliarden Euro pro Jahr umsetzt, haben laut UNICEF über zwei Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser, rund 785 Millionen Menschen noch nicht einmal eine Wasser-Grundversorgung. Mehr als 3.000 Kinder sterben täglich mangels sauberem Wasser und Grundversorgung. Der virtuelle Wasserverbrauch im Ge- und Verbrauchsgütersegment ist enorm. Allein der weltweite Wasserverbrauch für die Baumwollproduktion umfasst circa 256 Kubikkilometer (circa 11.000 Liter pro Kilogramm). Für die Produktion einer Tonne Lithium werden aktuell zwei Millionen Liter Wasser benötigt. Das prognostizierte Bevölkerungswachstum wird die Situation weiter verschärfen, bis 2050 werden wir über 50 Prozent mehr Trinkwasser benötigen als heute. Leidtragende der Misere sind wie so häufig Entwicklungsländer und/oder gesellschaftlich schwache Schichten in Asien, Südamerika und Afrika.
Das Problem der Ungleichverteilung ist noch immer ungelöst – man hat den Eindruck, wir bewegen uns auf der Stelle. Setzen wir bei allem Fortschritt überhaupt auf die richtigen Pferde? Denn die Weltbevölkerung wächst unaufhaltsam und damit auch der Ruf nach Versorgung und Wohlstand. Die Grundsatzfrage bleibt: Gibt es überhaupt Grenzen des Wachstums?
Der seit vielen Jahren florierende Weltwirtschaftshandel bekommt zunehmend Makel – auch wenn sich der Konflikt zwischen den USA und China wenigstens zeitweise zu entspannen scheint. Der US-Präsident setzt hier übrigens Mittel ein, die auch in anderen Industrieländern gängige Praxis sind. Das rechtfertigt zwar viele Entscheidungen nicht, erklärt sie aber im Ansatz. Insgesamt werden Handelsabkommen und globale Handelszonen immer mehr zu unternehmerischen Risikofaktoren.
Forderung nach einem technologieoffenen Dialog
Und was passiert im Bereich Klimaschutz? Der achtsame Umgang mit der Erde ist die zentrale Aufgabe, die wirklich jeden Menschen angeht. Ganz oben auf der Agenda stehen die Klimakrise und deren Folgen, Luftverschmutzung, Waldrodungen und der Verlust der Artenvielfalt. Von „Wir tun nichts“, über „Wir tun zu wenig“, bis „Wir tun, was wir können“ treffen alle Aussagen zu – je nach Blickwinkel und Wahrnehmung. Wichtig ist, dass die Diskussion sachlich und aufrichtig geführt wird.
Speziell im Bereich Mobilität! Es dürfte allen klar sein, dass die Elektrifizierung nicht im prognostizierten Umfang kommen wird und kann. Allein die Rahmenbedingungen sind ungelöst: Ob Netzkapazitäten und -verfügbarkeit, die Rohstoffgewinnung zur Batterieherstellung oder die Kosten für das E-Fahrzeug selbst. Zusätzlich droht Deutschland hier eine Waren- und Wirtschaftsabhängigkeit. Nicht zuletzt bedarf es auch einer fairen Vergleichbarkeit: Nicht jedes Elektroauto ist pauschal besser für das Klima als sein Verbrenner-Pendant und umgekehrt. Wir brauchen transparente und ganzheitliche Ökobilanzen über alle Lebenszyklen der Fahrzeuge hinweg. Ein Technologiewandel mit Augenmaß ist wünschenswert und eng mit dem erwünschten Ergebnis verknüpft.
Entwickelt im Dialog mit Vertretern aus Politik, Verbänden, Industrie und Wirtschaft. Die Gespräche sollten ergebnisoffen geführt werden und auf Basis einer transparenten, vergleichbaren Datenlage – zum Beispiel zu Grenzwerten und zu belastbaren ökologischen Kennzahlen. Lösungen sollten nicht nur politisch und aus blankem Aktionismus getrieben sein, sondern sinnhaft in einer nachhaltigen Umsetzung münden.
Industrie und Wirtschaft dürfen nicht durch eine verordnete „one-way strategy“ vor vollendete Tatsachen gestellt und existentiell in die Enge getrieben werden. Es gilt, die vorhandenen Innovations- und Technologiekapazitäten zu bündeln und gemeinsam zielgerichtet zu agieren. Einem branchen- und technologieübergreifenden Netzwerk müssen neue Räume für Dialog und Transfer geschaffen werden. Branchen und Technologien, welche viele Jahrzehnte tragende Säulen der deutschen Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung sind, pauschal an den Pranger zu stellen ist nicht zielführend und wäre viel zu banal. Das Thema Lebenszeit und Werterhalt von Sach- und Gebrauchsgütern muss zunehmend in den Vordergrund rücken. Hier ist der gesamte Wirtschaftsmarkt gefragt, ebenso die Politik, Qualität und Langlebigkeit sind ein wesentlicher Nachhaltigkeitstreiber. Der Aspekt Produktnachhaltigkeit muss zwingend Qualitätsmerkmal verankert werden.
Sinnhafte Rahmenbedingungen schaffen
Der Spagat zwischen Technisierung auf der einen und Klimaschutz auf der anderen Seite muss und kann in positiver Synergie bewältigt werden. Das ist eine wesentliche unternehmerische Herausforderung der Zukunft. Dafür braucht es aber stimmige Rahmenbedingungen. Eine vernünftige Umweltpolitik funktioniert nur mit einer entsprechenden Wirtschaftspolitik. Man hat aktuell das Gefühl, dass wir dem Klimawandel mit einer voll umfänglichen Deindustrialisierung entgegenwirken wollen? Der Weg zurück zu Pferd und Kutsche ist sicher keine Lösung! Und selbst dann ist eine Diskussion um die jährliche CO2 – Bilanz eines Pferdes zu befürchten. Diese ist immerhin vergleichbar mit den werten eines Pkw bei einer Laufleistung von 21.500 Kilometern. Der durchschnittliche Deutsche fährt etwa 13.000 Kilometer pro Jahr. Damit soll verdeutlicht werden, dass Personen und Stimmen, die für Nichts und gegen Alles stehen, in der ganzen Problematik nicht weiterhelfen. Wenn wir die Herausforderungen nachhaltig lösen wollen, erfordert dies ein Zweisäulenkonzept. Zum einen die Schaffung von Werten und Verantwortung für Umwelt und Gesellschaft in der Bevölkerung, zum anderen die Entwicklung und Bereitstellung entsprechender Technologien.
Wir können das Klimaproblem weder in Deutschland, noch in Europa lösen
Globale Probleme bedürfen global, umsetzbare Lösungen. Speziell in Deutschland stellt sich die Frage nach der Größe des Hebels: Wie viel muss ich einsetzen, um was zu erreichen? Ohne das große Ganze aus den Augen zu verlieren, können Dinge mit kleinen Schritten in Bewegung gesetzt werden. Für eine optimale Hebelwirkung sollten wir möglichst schnell unseren Blickwinkel erweitern. Zwingend nötig ist zum Beispiel ein gezielter, internationaler Technologie- und Ressourcentransfer. Bundespräsident a.D. Horst Köhler hat in seinen Statements ganz bewusst die Zukunft der Menschheit eng an die Entwicklung in Afrika geknüpft. Die 2018 gegründete Allianz Entwicklung & Klima, angesiedelt im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung leistet hier bereits wichtige Basisarbeit. Bei allem Denken, Machen und Tun gilt: Der Mensch sollte stets Teil der Lösung sein, nicht des Problems.