Politik

„Es ist ein Gewerkschafts-Märchen zu glauben, es gehe nur um einige Wohlhabende“

Der liberale Staat habe die Aufgabe, die Freiheit der Schwächeren zu schützen. Das gelte auch für die Opfer des Klimawandels. Das sagt Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt, Gründer und Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik. Gegen die „unzureichende“ deutsche Klimapolitik hat der Jurist, Philosoph und Soziologe gemeinsam mit anderen Mitstreitern eine Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.

28.08.2019

„Es ist ein Gewerkschafts-Märchen zu glauben, es gehe nur um einige Wohlhabende“

UD: „Hetzjagd gegen Autofahrer“ lautete einer der Vorwürfe der „Gelbwesten“ in Frankreich gegen die Erhöhung der Steuern auf Diesel und Benzin. In Deutschland sorgte 2013 der Vorschlag von Bündnis 90/die Grünen, einen fleischlosen Tag in Kantinen einzuführen, für eine heftige Debatte. Warum wird strenger Umwelt- und Klimaschutz zu einem Minenfeld für Politiker?

Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt: Faktenwissen und Werthaltungen beeinflussen unsere Verhaltensmotive nur begrenzt. Auch Eigennutzenkalküle wirken in uns, ebenso wie diverse Emotionen wie Bequemlichkeit, Gewohnheit, Verdrängung oder die Schwierigkeit, mir Klimatote vorzustellen, wenn ich gerade in den Flieger zu meiner Traum-Destination steige. Zumal stecken wir alle in den Normalitätsvorstellungen einer fossil getriebenen Welt fest, zu der eben auch Flugreisen gehören. Meine Facebook-Freunde waren schließlich auch alle schon in Südostasien, und meine Kollegen im Büro doch auch. Besonders beliebt ist, von sich selbst durch Hinweis auf Sündenböcke abzulenken. Politiker, Manager, die dummen anderen Verbraucher, andere Fernreisende, die Chinesen. Weil Politiker und Bürger wie auch Unternehmer und Konsumenten wechselseitig voneinander abhängen, wäre es jedoch ein Henne-Ei-Spiel zu fragen, wer den Wandel voranbringen muss. Ein radikaler fossiler Ausstieg durch eine Mengenbegrenzung von null auf EU-Ebene wird nur im Wechselspiel der Akteure durchgesetzt werden können.

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UD: Keine Bevormundung durch den Staat ist ein Argument von Bürgern, die sich etwa das Fleischessen nicht verbieten lassen wollen. Sie selbst vertreten eine andere Position und sehen das vielmehr als Schutz unserer Freiheit an. Wie das? 

Ekardt: Viele fragen auch: Ist es nicht einfach meine Sache, wo ich meinen Urlaub verbringe? Doch der liberale Staat hat gerade die Aufgabe, die Freiheit des Schwächeren vor der des Stärkeren zu schützen. Will er zum Beispiel Klimaschäden durch Fliegen oder hohen Fleischkonsum verringern, schützt er nicht die Verursacher vor sich selbst, sondern sämtliche Mitmenschen – und das ist gerade der Sinn liberaler Demokratie. Bevormundend wäre es, jemanden vor sich selbst zu schützen. Geht man gegen die Flugbegeisterung vor, schützt man dagegen schlicht die Opfer des Klimawandels. Zum Beispiel Bauern in Bangladesch oder Zentralafrika, die wegen zunehmender Dürren oder wegen des steigenden Meeresspiegels existenziell bedroht werden.

UD: Effiziente Hausgeräte oder energiesparende Heizungen sind gut fürs Klima, aber schlecht für den Geldbeutel. Ist Klimaschutz nur was für Besserverdiener?

Ekardt: Volkswirtschaftlich ist Klimaschutz bei weitem billiger als der Klimawandel. Die fossilen Brennstoffe sind nicht nur wegen des Klimawandels teuer, sondern auch, weil sie massive Kosten im Gesundheitssystem auslösen, die Biodiversität schädigen, Stickstoffkreisläufe und damit Gewässer und Böden schädigen. Auch betriebswirtschaftlich, also beim Einzelnen, ist Klimaschutz oft mittelfristig billiger.

Das schließt auch ein, aus Anlass des Klimawandels einiges als unnötig zu erkennen. Ich selbst verdiene sehr gut, bin sehr beschäftigt und lebe bestens ohne Führerschein, ohne Urlaubsflüge, auch sonst fast ohne Flüge, fast ohne tierische Nahrungsmittel, ohne Handy, ohne Mikrowelle, ohne große Wohnung.

UD: Caritas-Vorständin Eva Welskop-Deffaa hat in einem SZ-Interview gesagt, dass eine soziale Umverteilungspolitik, die die gesellschaftliche Mitte stärke, gleichzeitig helfe, ökologische Ziele zu erreichen. Unter anderem hat sie das damit begründet, dass das Leben vieler Reicher nicht mit den ökologischen Grenzen vereinbar sei, da der Verbrauch von Energie exponentiell mit dem Reichtum steige. Was ist Ihre Meinung?

Ekardt: Nullemissionen pro Kopf in maximal zwei Dekaden sind für alle Menschen in Deutschland eine sehr große Herausforderung. Es ist ein Gewerkschafts-Märchen zu glauben, es gehe nur um einige Wohlhabende. Selbst unsere Hartz-IV-Empfänger gehören – kaufkraftbereinigt – weltweit zu den rund 15 Prozent der Wohlhabendsten.

UD: Sie sagen außerdem, dass das Verfehlen von Klimazielen völker- und menschenrechtswidrig ist. Bitte erklären Sie das.

Ekardt: Artikel 2 des rechtsverbindlichen Pariser Klima-Abkommens schreibt vor, die globale Erwärmung gegenüber vorindustriellem Niveau auf deutlich unter 2 und möglichst sogar 1,5 Grad zu begrenzen. Dafür benötigt man letztlich in allen Sektoren weltweit in ein, zwei Jahrzehnten Nullemissionen. Der Weltklimarat, der IPCC, sagt drei Jahrzehnte, aber nur, weil er die 1,5 Grad nur mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit einhalten will – was rechtlich unzulässig ist. Hinter dem Paris-Abkommen stehen außerdem auch die Menschenrechte. Zwar können die elementaren Freiheitsvoraussetzungen Leben, Gesundheit und Existenzminimum, die durch den Klimawandel bedroht sind, durchaus mit der Freiheit der Konsumenten und Unternehmen abgewogen werden. Unzulässig ist jedoch ein Abwägen, das die physischen Grundlagen künftigen demokratischen Abwägens als solche gefährdet. Und genau das tun wir mit unserer aktuellen Klimapolitik. Deshalb habe ich mit anderen kürzlich eine Klage vor das Bundesverfassungsgericht gebracht – gegen die völlig unzureichende deutsche und mittelbar auch europäische Klimapolitik.

UD: Umweltfreundliche Energiesysteme erfordern große Mengen an Rohstoffen, die zumeist aus Minen in Entwicklungsländern stammen. Dort sind Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen Umweltauflagen immer noch an der Tagesordnung. Was muss passieren, damit der Klimaschutz nicht auf Kosten der Menschen dort geht?

Ekardt: Genau die gleichen Probleme bestehen auch, wenn sie auf die Rohstoffe des alten Energiesystems setzen. Unabhängig davon gilt: Mehr Genügsamkeit, also eine geringere Energienachfrage, reduziert alle denkbaren Zielkonflikte.

UD: Vielen Dank für das Gespräch!

Dieser Artikel ist im Original im Magazin "UmweltDialog" zum Thema "Dekarbonisierung" erschienen.

UmweltDialog Die Greta-Frage Heft 11
Quelle: UmweltDialog
 

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