Wie Halbleiter zum geopolitischen Spielball werden
Sie stecken in Smartphones, Autos und Windkraftanlagen, doch kaum jemand denkt über sie nach: Halbleiter gelten als das Rohöl des 21. Jahrhunderts. Ihre Produktion ist zum Brennpunkt globaler Machtkämpfe geworden, bei denen Umweltzerstörung, Ausbeutung und geopolitische Erpressung Hand in Hand gehen. Ein Südwind-Institut Blog zeigt, warum europäische Sorgfaltspflichtgesetze mehr sind als bürokratische Hürden.
15.10.2025
Abhängigkeit von Taiwan – das Herz der Chipproduktion
Die Welt hält den Atem an, wenn in Taiwan die Erde bebt. Nicht aus humanitären Gründen, sondern weil die Inselrepublik das Herzstück der globalen Halbleiterproduktion ist. Der taiwanesische Konzern TSMC fertigt über 90 Prozent der modernsten Chips weltweit. Als während der Corona-Pandemie die Lieferketten stockten, mussten Automobilwerke von Volkswagen bis BMW ihre Bänder anhalten, Rüstungsprojekte in den USA gerieten ins Stocken, Medizintechnik wurde knapp. Der wirtschaftliche Schaden allein in Europa belief sich im Jahr 2021 auf mehrere Milliarden Euro. Was wie ein technisches Problem aussah, entpuppte sich als geopolitisches Erdbeben.
Halbleiter werden nicht umsonst als das Rohöl des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Ohne sie funktioniert buchstäblich nichts mehr in unserer vernetzten Welt. Keine Smartphones, keine Computer, keine modernen Autos, keine Waffen, keine Windkraftanlagen. Ihre Herstellung ist hochkomplex, ihre Lieferketten sind global verzweigt und ihr geopolitischer Wert kaum zu überschätzen. Die bittere Erkenntnis der vergangenen Jahre lautet: Wer Zugang zu den leistungsfähigsten Chips hat, kontrolliert zentrale Zukunftstechnologien. Und wer sie kontrolliert, hat die Macht.
Technologiekrieg zwischen den Großmächten
Diese Einsicht hat einen regelrechten Technologiekrieg ausgelöst. Die USA versuchen mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen, Chinas Aufstieg in der Halbleitertechnologie zu bremsen. Exportkontrollen für Hochtechnologie, Sanktionen gegen chinesische Unternehmen und massive Investitionen in die eigene Chipproduktion über den CHIPS and Science Act sind nur einige der Instrumente. Auch Europa mischt mit. Als die Bundesregierung im Jahr 2022 den Verkauf des Halbleiterwerks Elmos in Dortmund an ein chinesisches Unternehmen kurzfristig untersagte, war die Botschaft klar: Die Halbleiterproduktion ist zum Kern strategischer Rivalitäten zwischen den USA, China und der EU geworden.
Doch die sogenannte Taiwan-Abhängigkeit wurde nicht nur als wirtschaftliches, sondern auch als militärisches Risiko erkannt. Was passiert, wenn China die Insel angreift? Was, wenn ein Erdbeben die Fabriken zerstört? Die USA haben darauf eine klare Antwort gefunden: Sie versuchen, nicht nur die taiwanesische Produktion ins eigene Land zu verlagern, sondern auch technisches Know-how zu extrahieren. Washington koppelte Sicherheitsgarantien und Investitionshilfen an Bedingungen, die TSMC dazu bewegten, moderne Werke in Arizona zu bauen und internes Fachwissen zu transferieren. In Taiwan selbst wird dies teils als sanfter Zwang unter dem Vorwand militärischer Schutzverantwortung wahrgenommen. Die Botschaft ist unmissverständlich: Technologische Souveränität ist zur Frage nationaler Sicherheit geworden.
Chinas Gegenstrategie: Rohstoffe, Kontrolle und Einfluss
Während die USA und Europa versuchen, ihre Abhängigkeit von Taiwan zu verringern, verfolgt China eine andere Strategie. Die Belt and Road Initiative, oft als Infrastrukturprogramm verstanden, ist in Wahrheit ein strategisches Instrument zur Rohstoffsicherung. In zahlreichen Partnerstaaten wie der Demokratischen Republik Kongo, Myanmar, Laos, Indonesien oder Kasachstan investiert China gezielt in den Abbau kritischer Rohstoffe wie Tantal, Zinn, Kobalt, Wolfram, Gallium oder Germanium. Diese Materialien sind unverzichtbar für die Chipproduktion.
Die Bedingungen, unter denen diese Rohstoffe gefördert werden, sind oft katastrophal. In Myanmar kommt es zu Vertreibungen und Zwangsarbeit in Seltene-Erden-Minen. Recherchen von Global Witness dokumentieren, dass ganze Dörfer gewaltsam vertrieben werden und Menschen unter sklavenähnlichen Bedingungen zur Arbeit gezwungen werden. Die Umweltzerstörung durch unkontrollierten Tagebau führt zu großflächiger Entwaldung, Gewässerverschmutzung und dem Verlust der Lebensgrundlagen indigener Gruppen.
In der Demokratischen Republik Kongo sind die Zustände im Kobaltabbau nicht weniger erschreckend. Kinderarbeit, fehlende Schutzmaßnahmen und Einsturzgefahr in handgegrabenen Schächten prägen den Alltag. China ist Hauptabnehmer und Verarbeiter dieses Kobalts. Auch in Indonesien, dem weltweit größten Produzenten von Nickel, kommt es im Zuge der rasant expandierenden Nickelindustrie zu gravierenden Umwelt- und Arbeitsrechtsproblemen. Internationale NGOs berichten über die Rodung von Regenwald, die Kontaminierung von Trinkwasser und mangelhafte Sicherheitsstandards in Minenprojekten, an denen auch chinesische Staatsunternehmen beteiligt sind.
Die Rohstoffe gelangen über Infrastrukturnetze, die im Rahmen der Belt and Road Initiative finanziert wurden, nach China. Dort werden sie raffiniert und für die Halbleiterfertigung vorbereitet. China kontrolliert dabei nicht nur den Abbau, sondern auch den Großteil der Weiterverarbeitung. Bei Gallium und Germanium besitzt das Land faktische Monopole in der Raffination. Wer die Rohstoffe kontrolliert, kontrolliert die Chips. Wer die Chips kontrolliert, kontrolliert die Zukunft.
Globale Lieferketten mit hohen sozialen Kosten
Im nächsten Schritt greift das im Jahr 2022 in Kraft getretene asiatisch-pazifische Freihandelsabkommen RCEP. Es ermöglicht China und vierzehn weiteren Staaten, darunter Malaysia, Vietnam, Thailand und Indonesien, den weitgehend zollfreien Handel mit Vorprodukten. Dadurch können Halbleiter-Komponenten nach der Aufbereitung in China in RCEP-Staaten weiterverarbeitet werden, etwa in Assembly-, Test- und Packaging-Anlagen. Insbesondere Malaysia und Vietnam haben sich dabei als Standorte von globaler Bedeutung etabliert.
Doch auch hier entstehen neue Probleme. In Vietnam wurden wiederholt Missstände in chinesisch betriebenen Fabriken dokumentiert: niedrige Löhne, gewerkschaftsfeindliche Praktiken, exzessive Arbeitszeiten. Auch in Malaysia häufen sich Berichte über ausbeuterische Bedingungen für Migranten in der Elektronikindustrie. Die Belt and Road Initiative und das RCEP-Abkommen bilden somit das geopolitische Rückgrat der asiatischen Halbleiter-Lieferkette. Effizient, ja. Aber mit hohem sozialem und ökologischem Risiko.
Parallel dazu versucht China, die eigene Halbleiterproduktion nicht nur durch Import und Verarbeitung von Rohstoffen abzusichern, sondern auch im eigenen Land komplette Fertigungslinien aufzubauen. Dazu gehört nicht nur der Bau eigener Fabriken für Logic- und Memory-Chips, sondern auch die Integration der vorgelagerten Rohstoffverarbeitung und der nachgelagerten Modulmontage. Die staatlich subventionierten Produktionszentren in Shenzhen, Wuhan oder Hefei sind dabei häufig mit Sonderwirtschaftszonen verknüpft, in denen gewerkschaftliche Rechte eingeschränkt und Umweltstandards verwässert sind.
Mit den CCCMC-Guidelines hat China zwar ein freiwilliges CSR-Instrument für Auslandsminenunternehmen geschaffen, doch dieses intransparente System bleibt ohne unabhängige Kontrolle und Durchsetzungsmechanismen. Es ist Kosmetik, keine Lösung.
Europas Antwort: Sorgfaltspflicht statt Abhängigkeit
Die EU und Deutschland setzen dagegen auf rechtlich verbindliche Instrumente. Mit der Corporate Sustainability Due Diligence Directive hat die EU ein wichtiges Instrument geschaffen, um die menschenrechtliche und ökologische Verantwortung in globalen Wertschöpfungsketten zu stärken. Deutschland hatte mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz bereits vorgelegt. Die praktische Umsetzung bleibt jedoch anspruchsvoll, unter anderem wegen mangelnder Datenlage, eingeschränkter Gewerkschaftsrechte und einer eingeschüchterten Zivilgesellschaft in vielen Produktionsländern.
Die Halbleiter-Lieferkette spiegelt globale Machtverschiebungen wider wie kaum ein anderer Sektor. Sie verdeutlicht, dass sich ökonomische, geopolitische und menschenrechtliche Aspekte in der heutigen Zeit nicht mehr voneinander trennen lassen. Gleichzeitig wird unbestreitbar deutlich, dass Störungen in diesen Lieferketten katastrophale Folgen für die Stabilität der Weltordnung haben können. Bei der Regulierung der Halbleiterproduktion geht es somit um mehr als nur Versorgungssicherheit, Umweltschutz und Sorgfaltspflicht. Es geht um Frieden und Koexistenz.
Gerade hochkomplexe Lieferketten wie die der Halbleiter benötigen eine besonders strenge Regulierung. Eine konsequente Umsetzung der europäischen und deutschen Sorgfaltspflichtgesetze wäre entscheidend, um eine geopolitische Entspannung einzuleiten und zukunftsfähige, auf Gerechtigkeit basierende Kooperationen aufzubauen. Unabhängig von Ideologien. Denn am Ende geht es nicht nur um Chips. Es geht um die Frage, in welcher Welt wir leben wollen.