Wie China und Menschenrechte zusammengedacht werden müssen
Deutschland steht an einem Scheideweg im Umgang mit China: wirtschaftliche Interessen, menschenrechtliche Verantwortung und geopolitische Realitäten prallen aufeinander. Die China-Dialogforen von SÜDWIND skizziert eine Strategie, die nicht auf Isolation setzt, sondern auf differenzierte Sorgfalt, Städtepartnerschaften und Dialog – ein Versuch, eine Balance zu finden.
23.10.2025
Zwischen Handel, Verantwortung und Kontrolle
Deutschland und China sind enger verflochten denn je – in Handel, Technologiepartnerschaften und Lieferketten. Doch diese Verflechtungen sind zunehmend von Spannungen durchdrungen: Chinas autoritärer Kurs, die Einschränkung der Zivilgesellschaft und Hinweise auf Zwangsarbeit, insbesondere gegenüber Uiguren, werfen drängende Fragen auf.
Wie soll Deutschland handeln unter sinkendem Vertrauen, ohne sich selbst zu isolieren? Eine mögliche Antwort liefern die China-Dialogforen des Instituts SÜDWIND, dokumentiert in der jüngsten Publikation „Dokumentation China Dialogforen Online“.
In Bonn, Düsseldorf, Wächtersbach und Dortmund kamen Experten aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammen, um Perspektiven für eine verantwortungsvolle China-Politik zu erörtern. Die Kernthemen: wie wirtschaftliche Abhängigkeiten zu entschärfen sind, wie Unternehmen in China menschenrechtlichen Vorgaben gerecht werden können, und welche Rolle Städtepartnerschaften in einer polarisierten Welt spielen.
„Verbesserung vor Rückzug“ – eine neue Strategie
Ein zentrales Ergebnis der Dialogforen ist die Empfehlung zur Strategie „Verbesserung vor Rückzug“. Statt sich rückzuziehen, sollten deutsche Akteure Investitionen und Kooperationen unter strikten menschenrechtlichen Bedingungen weiterführen – mit stärkerer eigener Kontrolle und Transparenz. Das deutsche Lieferkettengesetz (LkSG) und die EU-Richtlinie CSDDD (Corporate Social Due Diligence Directive) werden als Schlüsselelemente dieser Strategie betrachtet. Unternehmen müssten mehr Verantwortung übernehmen, selbst aktiv recherchieren, statt sich nur auf Fragebögen und Audits zu verlassen.
Doch gerade in China zeigen sich die Grenzen dieser Instrumente: In der Umsetzung wird überwiegend auf Selbstdeklaration gesetzt, und geprüft wird selten vor Ort. Die Herausforderung liegt darin, verlässliche Informationen über Arbeitsbedingungen zu gewinnen – in einem System, in dem zivilgesellschaftliche Organisationen eingeschränkt sind und Transparenz oft fehlt. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass Regularien instrumentalisiert werden – als politisches Druckmittel oder geopolitisches Instrument.
Städtepartnerschaften als Brücken in schwierigen Zeiten
Ein weiterer zentraler Diskussionspunkt der Foren betrifft die Rolle auf subnationaler Ebene – insbesondere Städtepartnerschaften. In Dortmund wurde gefragt, wie Städte den globalen Spannungen trotzen und selbst außenpolitisch aktiv sein können. Städte mit langjährigen Partnerschaften zu chinesischen Kommunen könnten als Plattformen dienen, um Dialog, Austausch und Menschenrechtsverpflichtung zu verbinden. Doch dafür müssten diese Partnerschaften bewusst neu gestaltet werden – nicht als reine Imageprojekte, sondern als aktive Räume für Verantwortung und Kontrolle.
Ein Blick in die Praxis: In nordrhein-westfälischen Städten unterhalten Kommunen Partnerschaften zu chinesischen Städten. In diesen Netzwerken ließe sich etwa bei Ausschreibungen verbindlich auf Standards dringen, bei Austauschprogrammen zivilgesellschaftliche Beteiligung stärken oder gemeinsam Bildungs- und Umweltprojekte starten. Doch angesichts geopolitischer Polarisierung braucht es klar definierte Leitlinien, um solchen Kooperationen nicht zum Werkzeug außenpolitischer Interessen werden zu lassen.
Wenn Mitbestimmung an Grenzen stößt
Auch der Umgang mit übernommenen deutschen Betrieben durch chinesische Investoren war Thema. Studien zeigten, dass das Potenzial einer funktionierenden Mitbestimmung oft schwindet. Betriebsräte klagen über eingeschränkten Zugang zu Informationen, Sprachbarrieren und eine paternalistische Führungsperspektive. Besonders problematisch: die zunehmende Verschiebung von Produktions- und Entscheidungsstrukturen nach China, wodurch in Deutschland der politische und wirtschaftliche Einfluss zurückgedrängt wird.
In den Foren wurde deutlich, dass Deutschland mehr technologische Autonomie benötigt, um Abhängigkeiten aufzulösen, etwa bei Halbleitern oder Batterietechnologien. Doch vollständige Entkopplung ist unrealistisch – China ist als Forschungs- und Technologieakteur zu stark integriert. Vielmehr ginge es darum, strategische Abhängigkeiten zu identifizieren und gezielt zu reduzieren, ohne legitimen Austausch zu blockieren.
Lieferkettengesetz als Prüfstein
Ein wichtiger Weichensteller bleibt das Lieferkettengesetz: Unternehmen wurden häufig auf interne Prozesse fokussiert – Audits, Selbstauskünfte, Compliance-Systeme. Doch gerade in China erweisen sich solche Instrumente als unzureichend, wenn sie nicht durch unabhängige Kontrolle ergänzt werden. Mitwirkung zivilgesellschaftlicher Akteur*innen, transparente Beschwerdemechanismen und stärkerer behördlicher Durchgriff werden gefordert.
Engagement statt Rückzug
In der Schlussbetrachtung der Dokumentation betonen die Autoren, dass trotz aller Schwierigkeiten das Engagement nicht eingestellt werden darf. Die Schließung des China Labour Bulletin im Juni 2025 etwa trifft die Menschenrechtsbeobachtung hart. Dennoch bleibt es notwendig, gesetzliche Instrumente weiterzuentwickeln, Forschung, Dialog und Netzwerke zu stärken und kommunale Akteure einzubinden – als Bausteine einer wertebasierten China-Politik.
Die China-Dialogforen zeigen: Es gibt keine einfache Antwort auf das Verhältnis zu China. Doch gerade in Zeiten geopolitischer Spannungen könnten Städte, Unternehmen und Politik durch kluge Regulierung, klare Standards und kommunale Brückenprojekte einen eigenen Gestaltungsspielraum zurückgewinnen. Der Weg führt nicht über Abgrenzung, sondern über kontrollierte Einbettung – mit Verantwortung, Transparenz und dem Anspruch, Menschenrechte nicht zur Verhandlungsmasse verkommen zu lassen.