Schuhkarton-Streit: Deichmann scheitert mit Klage gegen Müllgebühren
Der Schuhhändler Deichmann ist mit seinem Versuch gescheitert, sich von doppelten Entsorgungskosten für Schuhkartons zu befreien. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen wies die Klage ab und bestätigte die Zahlungspflicht ans duale System. Der Fall wirft grundsätzliche Fragen zum deutschen Recyclingsystem auf, bei dem Unternehmen für Verpackungen zahlen müssen, die häufig nie beim Verbraucher ankommen.
16.12.2025
Mit einer Klage gegen die Zentrale Stelle Verpackungsregister (ZSVR) in Osnabrück wollte Europas größter Schuhhändler Deichmann eine grundsätzliche Frage klären lassen. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat nun entschieden: Deichmann muss weiterhin Gebühren ans duale System zahlen, auch wenn nach Unternehmensangaben die Mehrheit der Schuhkartons im Laden zurückbleibt. Eine Berufung wurde nicht zugelassen. Im Kern ging es um die Frage, ob Unternehmen für Verpackungen zahlen müssen, die faktisch nur teilweise beim Verbraucher landen.
Die Ausgangslage erscheint paradox. Deichmann verkaufte im vergangenen Jahr rund 90 Millionen Paar Schuhe in Deutschland. Nach Unternehmensangaben verzichten die allermeisten Kunden dabei auf die mitgegebenen Schuhkartons und nehmen nur die Schuhe mit. Die Kartons bleiben in den Filialen zurück, wo Deichmann sie über eigene Entsorgungswege recycelt. Trotzdem muss der Konzern Gebühren an Mülldienstleister zahlen, die über das duale System die Abholung, Sortierung und Wiederverwertung von Verpackungen an den Haushalten organisieren.
Diese doppelte Belastung bezeichnet Axel Augustin vom Bundesverband des Deutschen Textil-, Schuh- und Lederwareneinzelhandels als wirtschaftlich unsinnig. Das Unternehmen zahle einmal für das eigene Abfallsystem und zusätzlich für ein duales System, das durch Deichmann-Kartons faktisch nicht belastet werde. Diese Kosten würden letztlich auch die Verbraucher treffen, so Augustin. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten sei diese Regelung weder gerecht noch sachlich begründbar.
Die ZSVR als zuständige Überwachungsbehörde konnte das Gericht mit ihren Argumenten überzeugen. Entscheidend war ein Gutachten der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung, das ergab, dass mittlerweile rund 62 Prozent der Schuhkäufer den Karton mitnehmen oder nach Online-Bestellung zugeschickt bekommen. Das sind etwa acht Prozentpunkte mehr als noch 2020. Die magische Grenze liegt bei 50 Prozent: Landen mehr als die Hälfte der Verpackungen beim Endverbraucher, greift die Systembeteiligungspflicht. Der Vorsitzende Richter Manfred Klümper stellte klar, dass diese Grenze auf jeden Fall überschritten werde und daher eine Systembeteiligungspflicht für Schuhkartons bestehe.
Die Erfolgsaussichten für Deichmann sind allerdings ungewiss. Die ZSVR hat in der Vergangenheit die meisten Klagen gegen ihre Entscheidungen gewonnen. Ein Lebensmittelhersteller scheiterte mit dem Versuch, Mayonnaise-Eimer von der Systempflicht auszunehmen. Auch ein Schnullerproduzent konnte sich nicht durchsetzen, da das Verwaltungsgericht Osnabrück die Schnullerboxen eindeutig als Verpackungen einstufte. Deichmann-Anwältin Claudia Schoppen kritisierte das Gutachten als nicht aussagekräftig und nicht repräsentativ. Die Marktforscher hätten zu wenige Geschäfte aufgesucht. Nach eigenen Erhebungen von Deichmann bleiben etwa 60 Prozent der Kartons im Laden. Diese Firmenerhebung spielte für das Urteil jedoch keine Rolle. Das Gericht stufte das Gutachten der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung als durchaus aussagekräftig und valide ein. Für Deichmann bedeutet die Entscheidung, dass das Unternehmen auch künftig rund eine halbe Million Euro jährlich für die Lizenzierung zahlen muss.
Der Fall Deichmann ist exemplarisch für ein grundlegendes Problem des deutschen Recyclingsystems. Der Bundesverband des Deutschen Textil-, Schuh- und Lederwareneinzelhandels spricht von einer doppelten Belastung für die gesamte Branche. Unternehmen zahlen einmal für ihr eigenes Entsorgungssystem und zusätzlich für ein duales System, das durch ihren Müll faktisch kaum belastet wird. Diese Kosten treffen letztlich die Verbraucher. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten sei dies weder gerecht noch sachlich begründbar.
Das deutsche Recyclingsystem steht seit Jahren in der Kritik. Obwohl Deutschland als Weltmeister der Mülltrennung gilt, verfehlt das System häufig seine eigentlichen Ziele. Die Verpackungsmenge pro Einwohner ist nach anfänglichem Rückgang wieder gestiegen. Viele Verbraucher sind nach wie vor unsicher, was genau in welche Tonne gehört. Die Folge: Etwa die Hälfte des Mülls im Gelben Sack gehört dort eigentlich gar nicht hin. Diese mangelnde Sortiertreue führt zu erhöhten Sortier- und Recyclingaufwänden und steigenden Kosten.
Ein besonders kritischer Punkt ist die Quotenerfüllung bei Kunststoffen. Während bei Papier und Glas Recyclingquoten von über 85 Prozent erreicht werden, liegt die tatsächliche werkstoffliche Verwertung von Kunststoffen deutlich niedriger. Viele Kunststoffabfälle landen in Müllverbrennungsanlagen zur energetischen Verwertung, was die offizielle Recyclingbilanz verfälscht. Zudem werden erhebliche Mengen ins Ausland exportiert, ohne dass klar ist, ob dort tatsächlich recycelt wird.
Das System des Grünen Punkts und der dualen Systeme kostet Verbraucher jährlich Milliarden Euro. Laut Branchenexperten belaufen sich die Kosten auf etwa 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Diese Summe wird über Lizenzgebühren der Hersteller finanziert, die wiederum auf die Verkaufspreise aufgeschlagen werden. Kritiker bemängeln, dass aufgrund zahlreicher Schlupflöcher nicht alle Unternehmen gleichermaßen zur Kasse gebeten werden, was zu Wettbewerbsverzerrungen führt.
Der Fall Deichmann könnte trotz der Niederlage für die gesamte Schuhbranche richtungsweisend werden. Die Entscheidung schafft zumindest Rechtssicherheit darüber, wie die 50-Prozent-Grenze interpretiert wird. Sollten künftig neue Gutachten ergeben, dass weniger Schuhkartons beim Verbraucher landen, könnte die Branche erneut klagen. Bis dahin gilt jedoch die Systembeteiligungspflicht. Für Verbraucher bedeutet dies, dass Schuhe vorerst nicht günstiger werden. Die Entsorgungskosten bleiben im Preis enthalten, auch wenn viele Kartons nie die Läden verlassen.