Wirtschaft

Mit KI zur Fabrik der Zukunft: Wie Audi die Automobilproduktion neu denkt

Audi treibt die digitale Transformation seiner Fertigung voran: Mit Reallaboren, Robotik und über 100 KI-Anwendungen will das Unternehmen Effizienz, Qualität und Ergonomie auf ein neues Niveau heben. Zwei zentrale Projekte zeigen, wie Künstliche Intelligenz und Datenanalysen den Produktionsalltag revolutionieren – vom intelligenten Picking bis zur autonomen Qualitätskontrolle.

21.07.2025

Mit KI zur Fabrik der Zukunft: Wie Audi die Automobilproduktion neu denkt

Der manuelle Kommissionierprozess (Picking) in der Automobilproduktion beschreibt die gezielte Entnahme und Zusammenstellung von Fahrzeugteilen aus verschiedenen Logistikbehältern – dem sogenannten „Supermarkt“ – zur Versorgung der Produktionslinie. Audi Sport erforscht mit den Instituten Fraunhofer IAO und IPA, welche technologischen Ansätze sich für den Pick-Prozess bestmöglich in den Arbeitsalltag integrieren lassen – zum Beispiel, um die Auswahl falscher Teile zu minimieren, die Produktionsversorgung zu verbessern und die Mitarbeitenden körperlich zu entlasten. „Die Kleinserienfertigung in den Böllinger Höfen ist für solche Forschungszwecke ideal geeignet. Wir produzieren unter anderem die Audi e-tron GT-Familie. Diese Fahrzeuge haben einen hohen Individualisierungsgrad, was den Pick-Prozess durch die hohe Anzahl an unterschiedlichen Teilen besonders komplex und herausfordernd macht“, sagt Alexander Müller, Leiter Logistik der Audi Sport GmbH.

Eine Besonderheit des Forschungsprojekts ist die sogenannte vorgeschaltete Bedürfnisanalyse. Dabei führten Mitarbeitende den Pick-Prozess mit einer Eye-Tracking-Brille durch, die mithilfe von Infrarotkameras die Position und Bewegung der Augen erfasst. Durch die Brille lassen sich Daten wie beispielweise die Pupillendurchmesser und die Blickrichtung ermitteln. So lässt sich auswerten, wohin der Proband genau geschaut hat und welche Tätigkeiten mental am anstrengendsten sind. „Die Herangehensweise, zuerst zu schauen, an welchen Stellen die Mitarbeitenden Unterstützung benötigen, und davon die Nutzbarkeit neuartiger Technologien abzuleiten, zeigt unser übergeordnetes Ziel. Wir wollen die Effizienz sowie die Interaktion zwischen Mensch und Technologie im Werk verbessern. Dafür bringen wir die Innovationen und Forschung direkt vor Ort zu den zukünftigen Anwendern und erproben gemeinsam mögliche Lösungen“, erklärt Müller.

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KI und mobile Robotik als Forschungsfelder

Die Erprobung findet auf einer eigens eingerichteten Reallabor-Fläche in den Böllinger Höfen statt. Auf einer abgegrenzten Fläche im Logistikbereich testen die Forschungspartner in einer realitätsgetreuen Kopie des „Supermarkts“, in dem der Pick-Prozess stattfindet, verschiedene technologische Hilfsmittel und Ansätze. Zum einen möchten Audi und die beiden Fraunhofer-Institute herausfinden, welche Einsatzpotenziale Künstliche Intelligenz (KI) wie beispielsweise Computer Vision im manuellen Picking bieten und wie der Mensch durch diese technologischen Lösungen bestmöglich unterstützt werden kann. Zum anderen prüfen die Forschungspartner die Einsatzpotenziale von mobiler Robotik. Die autonomen mobilen Knickarmroboter sind mit verschiedenen Greifern und einer 3D-Sensorik ausgestattet. Als Testbeispiele dienen echte Fahrzeugaufträge, um den Einsatz der KI- und Robotik-Lösungen realitätsnah zu simulieren. Durch das wiederholte Testen und Evaluieren im realen Umfeld lassen sich die tatsächlichen Anforderungen an den Praxiseinsatz besser erfassen und in den Entwicklungsprozess einbinden. Dadurch sowie durch die unmittelbare Einbindung der Mitarbeitenden in diesen Entwicklungsprozess entstehen passgenaue Lösungen.

„Mit dem Reallabor im Werk Böllinger Höfe bei Audi Sport schlagen wir ein neues Kapitel in der Zusammenarbeit von Forschung und Unternehmen auf. Im Reallabor haben wir erstmals die Möglichkeit, den Einsatz neuer Technologien in realen Arbeitsprozessen wissenschaftlich zu erproben. Dabei kommen die zentralen Impulse von den Werkerinnen und Werkern, die den Nutzen von Künstlicher Intelligenz, Sensorik oder Robotik in ihrer vertrauten Produktionsumgebung bewerten“, sagt Bernd Bienzeisler, Leiter des Forschungs- und Innovationszentrums Kognitive Dienstleistungssysteme KODIS am Fraunhofer IAO.

AI25: Digitale Fabriktransformation im digitalen Ökosystem

Mit dem Projekt baut Audi auf laufende Aktivitäten und die erfolgreiche Zusammenarbeit im Rahmen der Automotive Initiative 2025 (AI25) auf. Gemeinsam mit dem Fraunhofer IAO und weiteren Partnern aus den Bereichen Wissenschaft, Forschung und Technologie hatte Audi 2021 die Initiative ins Leben gerufen. Die AI25 versteht sich als Kompetenznetzwerk, um die digitale Transformation der Automobilproduktion voranzubringen. Im Reallabor Böllinger Höfe werden innovative Lösungen aus der Zusammenarbeit in den Forschungsprojekten getestet und zur Serienreife entwickelt. Die Initiative ist Teil eines ganzen Ökosystems, das in der Region Heilbronn rund um den Innovationspark für Künstliche Intelligenz (IPAI) entsteht.

Artificial intelligence: Audi boosts production efficiency

Fertigung hat höchste Datenmenge im Unternehmen

Neben der Einführung neuer KI-Tools treibt Audi mit Hochdruck den systematischen Ausbau einer Datenorganisation voran. In der Fertigung ist dabei die Menge an Daten so hoch wie nirgends sonst im Unternehmen: Mehrere hunderte Petabyte an Daten gibt es bereits, täglich entstehen tausende Gigabyte neue Daten. Gerd Walker erklärt das Potenzial dieser Datendichte: „Künstliche Intelligenz macht es uns möglich, unseren enormen Datenschatz in der Fertigung umfassender zu nutzen und beschleunigt den Weg unserer 360factory hin zu einer datengetriebenen Fabrik.“ Die 360factory ist die Produktionsstrategie von Audi für eine vollständig vernetzte, innovative und nachhaltige Fertigung.

Zeitersparnis durch generative KI: das Projekt „Tender Toucan“

Seit kurzem setzt Audi bei Angebotsanalysen im Rahmen von Ausschreibungen auf Künstliche Intelligenz. Das KI-Tool mit dem Namen „Tender Toucan“ erstellt auf Basis eines eingereichten Lastenhefts eine Liste mit Anforderungen, sucht die passenden Abschnitte aus den Angeboten und bewertet den Erfüllungsgrad. Mitarbeitende prüfen und ergänzen die Arbeit des Tools und sparen so bis zu 30 Prozent ihrer Zeit. „Tender Toucan“ startet im Sommer in der Fertigungsplanung Antriebe und Hochvoltbatterien in die Serie, ein weiterer Roll-out bei Audi und im Volkswagen-Konzern ist geplant. Die Entwicklung von „Tender Toucan” stellt zudem eine Grundlage für viele weitere KI-Anwendungen bei Audi dar.

Qualitätssteigerung durch KI-gestützte Qualitätsüberwachung: die Projekte „IRIS“ und „WSD“

In der Montage kommt in den Werken Ingolstadt und Neckarsulm seit kurzem eine bildverarbeitende KI-Anwendung zum Einsatz. Das Tool mit dem Namen „IRIS“ prüft mithilfe von Kameras, ob Labels mit technischen Daten am Fahrzeug richtig angebracht sind. Dabei geht es um die Anbringung am richtigen Bauteil, die Position, den Inhalt und die Sprache. So stellt es die Konformität der Fahrzeuge sicher. Mitarbeitende führen weiterhin Stichproben durch. Die Label-Prüfung durch IRIS spart rund eine Minute Fertigungszeit pro Fahrzeug ein.

Kürzlich hat Audi gemeinsam mit Siemens eine weitere KI-gestützte Qualitätsüberprüfung im Karosseriebau in Neckarsulm in Serie gebracht. Bislang kontrollierten Mitarbeitende den Unterboden manuell auf Schweißspritzer und entfernten diese im Anschluss. Nun erkennt die sogenannte „Weld Splatter Detection“ (WSD) mit Hilfe von KI mögliche Schweißspritzer am Unterboden der Karosserien. Diese Metallablagerungen könnten unter anderem zu Kabelbrüchen führen. In einer weiteren Ausbaustufe ab dem Sommer 2025 übernimmt das Entfernen der Schweißspritzer dann automatisiert ein Roboterarm. Die KI-Anwendung WSD spart in diesem Fall nicht nur Zeit in der Fertigung, sondern erhöht für die Mitarbeitenden auch den Arbeitsschutz und verbessert die Ergonomie.

Quelle: UD/cp
 

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