Wirtschaft

Kaffee gegen Kunststoff: Wie ein Kölner Start-up die Recyclingwirtschaft Äthiopiens revolutioniert

Ein außergewöhnliches Geschäftsmodell verbindet Spezialitätenkaffee mit Umweltschutz: Das Start-up Plastic2Beans exportiert Recyclingtechnologie nach Äthiopien und lässt sich in hochwertigem Kaffee bezahlen. Was nach einer ungewöhnlichen Idee klingt, löst gleichzeitig drei Probleme auf einmal – den Devisenmangel in Äthiopien, die fehlende Recyclinginfrastruktur und die faire Bezahlung von Kaffeebauern.

09.12.2025

Kaffee gegen Kunststoff: Wie ein Kölner Start-up die Recyclingwirtschaft Äthiopiens revolutioniert

Es war ein zufälliges Treffen im Schwimmbad, das den Grundstein für eine der innovativsten Nachhaltigkeitsinitiativen der letzten Jahre legte. Als sich der promovierte Polymerchemiker Kalie-Martin Cheng und der Kunststofftechniker Abiye Dagnew 2018 über ihre Kinder kennenlernten, diskutierten sie schnell über ein Problem, das beiden am Herzen lag: die rasant wachsende Plastikindustrie in Entwicklungsländern ohne entsprechende Recyclingstrukturen. Äthiopien, die Heimat von Dagnew, stand dabei im Fokus. Das Land erlebt ein jährliches Wachstum der Kunststoffindustrie von etwa 20 Prozent, doch die Recyclingquote bleibt nahezu bei null.

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Die Dimension des Problems wird besonders bei PET-Flaschen deutlich: Jährlich werden in Äthiopien zwischen fünf und sechs Milliarden PET-Wasserflaschen verbraucht. Doch aus keiner einzigen wird im Land selbst wieder eine neue Flasche hergestellt. Zwar sammeln die einkommensschwächsten Teile der Bevölkerung die Flaschen von der Straße und verkaufen sie an lokale Recycler, doch diese können lediglich schreddern und waschen. Die wertvollen Plastikflakes werden anschließend nach Europa oder China exportiert, wo sie zu hochwertigem Granulat verarbeitet werden. Äthiopische Unternehmen müssen dieses Material dann teuer reimportieren, um daraus neue Produkte herzustellen – ein absurder Pseudokreislauf, der wertvolle Ressourcen verschwendet und die Wertschöpfung ins Ausland verlagert.

Hier setzt das Konzept von Plastic2Beans an. Das Kölner Start-up entwickelt Recyclingprojekte in Äthiopien, exportiert hochwertige Sekundärkunststoffe, Recyclingmaschinen und vermittelt technisches Know-how. Die Bezahlung erfolgt jedoch nicht in Dollar oder Euro, denn davon gibt es in Äthiopien viel zu wenig. Stattdessen kauft Plastic2Beans biologisch angebauten Spezialitätenkaffee von Kleinbauern in der lokalen Währung Birr ein und verkauft diesen in Deutschland und Europa. Mit den Erlösen finanziert das Unternehmen wiederum den Technologietransfer nach Äthiopien.

Dieses außergewöhnliche Modell schafft einen dreifachen Impact: Es umgeht den chronischen Devisenmangel Äthiopiens, baut eine nachhaltige Recyclingwirtschaft auf und garantiert den Kaffeebauern faire Preise. Während Fair-Trade-Händler üblicherweise etwa zehn Prozent über dem Weltmarktpreis zahlen, bezahlt Plastic2Beans aktuell das anderthalbfache des Börsenpreises, zeitweise sogar das Zwei- bis Dreifache. Die Kaffeebauern bauen ihre Pflanzen nicht auf Monokulturen-Plantagen an, sondern in traditionellen Waldgärten im äthiopischen Hochland, wo der Kaffee ohne künstliche Bewässerung, Pestizide oder Dünger gedeiht.

Das Herzstück der Vision ist der Aufbau der ersten PET-Bottle-to-Bottle-Recyclinganlage in Ostafrika. In Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat Plastic2Beans eine umfassende Machbarkeitsstudie erstellt. Die geplante Anlage soll jährlich 16.000 bis 17.000 Tonnen recyceltes PET in Lebensmittelqualität produzieren und dabei etwa 30.000 Tonnen Kohlendioxid-Emissionen einsparen. Nach anfänglichen Investitionen von zehn Millionen Euro soll die Anlage nach zwei bis drei Jahren profitabel arbeiten und jährlich rund fünf Millionen Euro Gewinn erwirtschaften.

Die fehlende Technologie ist die sogenannte Solid-State-Polykondensation, die es ermöglicht, aus alten PET-Flaschen wieder lebensmittelgeeignetes Material herzustellen. Ohne diese Technologie bleibt der Recyclingkreislauf unvollständig. Plastic2Beans hat bereits einen detaillierten Business- und Finanzplan für die Anlage entwickelt und sucht derzeit noch nach europäischen Investoren, die gemeinsam mit äthiopischen Partnern das Projekt realisieren wollen.

Bereits heute kann Plastic2Beans beeindruckende Erfolge vorweisen. In Zusammenarbeit mit lokalen Partnern hat das Start-up eine Gesetzesänderung in Äthiopien erwirkt: Seit 2022 darf für PET-Flaschen nur noch weißes, ungefärbtes Rohmaterial verwendet werden. Diese scheinbar kleine Änderung macht jährlich 140 Millionen Kilogramm PET besser recyclebar, da sortiertes Material deutlich höhere Qualität aufweist. Der Materialwert hat sich dadurch verdreifacht, wovon besonders die Straßensammler profitieren, die nun mehr Geld für die gesammelten Flaschen erhalten. Die höheren Preise haben zu einer gesteigerten Sammelquote geführt, sodass weniger Plastik in der Umwelt verbleibt.

Das Geschäftsmodell von Plastic2Beans finanziert sich zu etwa 50 Prozent aus dem Kaffeeverkauf und zu 50 Prozent aus Aufträgen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Das Start-up hat unter anderem für die GIZ einen umfassenden Bericht über den äthiopischen Recyclingsektor erstellt und arbeitet mit deutschen Verbänden und Betrieben der Kreislaufwirtschaft zusammen. Die Mehrwegflaschen, in denen der Kaffee verkauft wird, sind selbst ein Statement für Ressourcenschonung und kommen mittlerweile in zahlreichen REWE-Märkten zum Einsatz.

Der Kaffee von Plastic2Beans stammt aus verschiedenen Regionen Äthiopiens. Der Limmu überzeugt mit ausgewogenen Aromen von dunkler Schokolade und Karamell, während der Wollega durch die traditionelle Sonnentrocknung der ganzen Kaffeekirsche deutlich fruchtiger und wilder schmeckt – so wie Kaffee traditionell in Äthiopien getrunken wird. Für Kaffeevollautomaten in Büros hat das Start-up spezielle Espresso-Blends entwickelt, die indische Robusta-Bohnen für einen volleren Körper enthalten.

Die Vision von Plastic2Beans geht weit über Äthiopien hinaus. Das Unternehmen möchte das Modell auf weitere Entwicklungsländer übertragen. An der Elfenbeinküste könnte anstelle von Kaffee Kakao als Tauschwährung dienen. Die Gründer sind überzeugt, dass für eine echte ökologische Wende Recyclingkreisläufe direkt vor Ort geschlossen werden müssen, statt Materialien um die halbe Welt zu transportieren. Nur so lässt sich der Verbrauch endlicher Ressourcen wirklich reduzieren.

Das Start-up hat für sein innovatives Konzept bereits mehrere Auszeichnungen erhalten, darunter 2021 den Sonderpreis des Effizienz-Preises Nordrhein-Westfalen. Die Jury würdigte das Geschäftsmodell als neuartigen Ansatz, der Wirtschaftszweige zusammendenkt, die auf den ersten Blick nichts gemeinsam haben, und Güter zur Währung erhebt, um strukturelle Probleme zu umschiffen.

Für Kundinnen und Kunden bedeutet der Kauf von Impact Coffee mehr als nur den Genuss von hochwertigem Spezialitätenkaffee. Mit jeder Tasse unterstützen sie den Aufbau einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft in einem der am schnellsten wachsenden Wirtschaftsräume Afrikas. Sie tragen dazu bei, dass weniger Rohöl für die Herstellung neuer Kunststoffe verbraucht wird, dass Kaffeebauern faire Löhne erhalten und dass innovative Recyclingtechnologien dorthin gelangen, wo sie am dringendsten gebraucht werden.

Die Geschichte von Plastic2Beans zeigt, dass nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit und wirtschaftlicher Erfolg keine Gegensätze sein müssen. Im Gegenteil: Kreative Lösungen, die strukturelle Probleme mit innovativen Ansätzen verknüpfen, können gleichzeitig ökologische, soziale und ökonomische Ziele erreichen. Das Konzept beweist, dass es möglich ist, Kreislaufwirtschaft global zu denken und lokal umzusetzen – ohne dabei die Menschen vor Ort zu übergehen, sondern sie aktiv in den Aufbau einer nachhaltigen Zukunft einzubinden.

In den kommenden Jahren wird sich zeigen, ob die geplante PET-Recyclinganlage tatsächlich realisiert wird. Die Zeichen stehen gut: Mit der Unterstützung der deutschen Entwicklungsbank DEG über das Africa-Connect-Programm sind bereits fünf bis sechs Millionen Euro der benötigten zehn Millionen Euro gesichert. Sollte das Projekt erfolgreich sein, könnte es als Blaupause für ähnliche Initiativen in anderen Entwicklungs- und Schwellenländern dienen und den Weg ebnen für eine wirklich globale Kreislaufwirtschaft.

Quelle: UD
 

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