Wirtschaft

Podcast: Ist Nachhaltigkeit tot? Nachgefragt bei Georg Kell

Geopolitische Krisen, populistische Rückschritte und eine regulatorische Rolle rückwärts in Brüssel – die Nachhaltigkeitsdebatte steht unter Druck. Doch ist sie damit am Ende? Im Gespräch mit UmweltDialog zieht Georg Kell, Gründungsdirektor des UN Global Compact, eine kritische, aber optimistische Bilanz. Seine These: Nicht Regulierung, sondern Märkte, Technologie und Natur selbst werden zur eigentlichen Triebkraft für die Transformation.

05.06.2025

Georg Kell betont, dass die geopolitischen Verschiebungen der letzten Jahre das Verhältnis zwischen Politik und Märkten fundamental verändert haben. Während früher globale Regeln und Handelsabkommen der Effizienzsteigerung dienten, dominierten heute Machtpolitik und nationale Interessen. Unternehmen müssten sich daher auf neue politische Realitäten einstellen – dürften dabei jedoch nicht den Fehler machen, Nachhaltigkeit als „Luxusthema“ abzuschreiben.

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Gerade jetzt sei unternehmerische Weitsicht gefragt: Wer sich aus Nachhaltigkeitsprojekten zurückziehe, begehe einen strategischen Fehler. Denn die langfristigen Treiber – Umweltveränderungen und technologische Innovationen – seien stärker denn je. Wetterextreme, Ressourcenverknappung, Preisvolatilität und politische Unsicherheiten ließen sich nur durch vorausschauende Strategien und robuste, nachhaltige Geschäftsmodelle bewältigen.

Technologie statt Compliance: Der falsche Fokus vieler Regulierungen

Kell spart nicht mit Kritik an rein regelgetriebenen Nachhaltigkeitsansätzen. Compliance sei wichtig, aber kein Hebel für echte Veränderung. Insbesondere das deutsche Lieferkettengesetz sieht er skeptisch: gut gemeint, aber zu formalistisch – ohne nachweisliche Wirkung für die Verhältnisse vor Ort. „Juristen und Buchhalter sind wichtig, aber sie verändern nicht die Welt“, so Kell. Besser wäre es, Mittel gezielt in nachhaltige Technologien zu investieren.

Statt staatlicher Detailsteuerung empfiehlt er eine Strategie, die Technologie, Effizienz und unternehmerische Kreativität in den Vordergrund stellt. Gerade KI, digitale Tools und smarte Energiesysteme könnten zentrale Bausteine für eine resiliente und zukunftsfähige Wirtschaft sein.

ESG unter Beschuss – und doch unverzichtbar

Angesprochen auf die zunehmende politische Polarisierung rund um ESG, insbesondere in den USA, plädiert Kell für Differenzierung. ESG sei ursprünglich als Finanzbegriff konzipiert worden – als Werkzeug, um langfristige Risiken und Chancen systematisch zu erkennen. Heute werde der Begriff zwar inflationär und teils widersprüchlich verwendet, doch seine Grundidee bleibe gültig.

Rund ein Drittel der globalen Vermögenswerte werde nach ESG-Kriterien verwaltet, so Kell. Die Kritik daran sei oft politisch motiviert oder beruhe auf Missverständnissen. Vielmehr brauche es nun eine Weiterentwicklung der ESG-Systematik: klarere Messgrößen, stärkere Fokussierung auf echte Materialität – und ein besseres Verständnis dafür, wie Nachhaltigkeit wirtschaftlich mess- und bewertbar wird.

Marktsignale werden zum Gamechanger

Ein zentrales Argument Kells: Die Märkte beginnen, Nachhaltigkeit über Preise zu reflektieren. Klimarisiken, Ernteausfälle, Versicherungsprämien – all das schlage sich zunehmend in wirtschaftlichen Bewertungen nieder. „Zum ersten Mal in der Geschichte der Nachhaltigkeitsbewegung reagieren Märkte systemisch auf ökologische Realität“, so Kell. Für CFOs und CEOs bedeute das: Wer ESG ignoriert, handelt nicht nur verantwortungslos, sondern wirtschaftlich kurzsichtig.

Teilweise entleerte Weltkugel

Gesellschaftliches Versagen – und ein letztes Plädoyer

Besonders nachdenklich wird Kell beim Blick auf die gesellschaftliche Ebene. Er zeigt sich ernüchtert darüber, dass viele Menschen weiterhin nicht bereit seien, die Konsequenzen des Klimawandels ernsthaft anzuerkennen. Zu oft werde Verantwortung abgeschoben – auf Politik, Wirtschaft oder globale Konzerne. Dabei sei der Wandel nur möglich, wenn die Gesellschaft insgesamt bereit sei, höhere Preise, unbequeme Entscheidungen und nachhaltige Lebensweisen zu akzeptieren.

Dennoch bleibt Kell optimistisch. Er glaubt an einen Wertewandel – getrieben von der Erfahrung kommender Krisen. Gesundheit, Sicherheit, Unabhängigkeit: Das könnten die positiven Narrative einer neuen, pragmatischen Nachhaltigkeit sein. Nicht aus Idealismus, sondern aus Notwendigkeit.

Fazit:

Nachhaltigkeit ist nicht tot – aber sie wandelt sich. Was fehlt, ist nicht Regulierung, sondern Sinn, Richtung und Ehrlichkeit. Unternehmen, die Technologie, Märkte und Umwelt realistisch zusammendenken, werden die Gewinner dieser Umbruchphase sein.

Quelle: UmweltDialog
 

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