Geh du voran, armer Mann
COP30 und die postfossile Heuchelei: Während Europa Milliarden in Gas investiert, verwehrt es Afrika den Zugang zu sauberer Kochenergie. Über 800 Millionen Menschen kochen weiter mit Holz – mit tödlichen Folgen. Der Vorwurf: „grüner Kolonialismus“. Die Konferenz in Belém wurde zum Schauplatz eines Grundsatzstreits über Gerechtigkeit und Energiezugang.
25.11.2025
Auf der COP30 in Belém prallten Welten aufeinander. Während westliche Staaten eine postfossile Zukunft predigen, kochen über 800 Millionen Menschen in Afrika weiterhin auf offenen Feuerstellen – mit tödlichen Folgen. Der Grund: Europa und Deutschland blockieren Kredite für Flüssiggas in Afrika, während sie selbst massiv in Gasinfrastruktur investieren. Afrikanische Delegationen sprechen von „grünem Kolonialismus“ und forderten auf der Klimakonferenz ein Ende der Doppelmoral.
Richard Muyungi, Leiter der afrikanischen Verhandlungsgruppe auf der COP30, bringt es auf den Punkt: „Frauen und Kinder gehen nicht zur Schule und sind wirtschaftlich nicht produktiv, weil sie zehn Stunden Holz sammeln und weitere zehn Stunden fürs Kochen aufwenden.“ Mehr als 800 Millionen Menschen in Subsahara-Afrika haben keinen Zugang zu sauberer Kochenergie. Die Weltgesundheitsorganisation WHO dokumentiert die katastrophalen Folgen: Über eine Million Afrikaner sterben jährlich an den Folgen verschmutzter Raumluft durch das Kochen mit Holz und Holzkohle. Besonders betroffen sind Kleinkinder und Frauen, die dem Rauch stundenlang ausgesetzt sind und tödliche Atemwegserkrankungen erleiden.
Die Lösung wäre technisch simpel und vergleichsweise günstig: Flüssiggas (LPG) verbrennt deutlich sauberer und klimafreundlicher als Holz oder Kohle und emittiert erheblich weniger Feinstaub. Rund 4,5 Milliarden US-Dollar wären laut der Internationalen Energieagentur IEA nötig, um sauberes Kochen in Afrika bis 2030 zu ermöglichen – weniger als die Kosten für ein einziges europäisches LNG-Terminal. Doch genau hier beginnt die Doppelmoral, die afrikanische Delegationen auf der COP30 als „grünen Kolonialismus“ anprangern.
Auf der UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow 2021 beschlossen die EU-Staaten gemeinsam mit anderen westlichen Ländern, ab Ende 2022 keine Öl- und Gasprojekte in Entwicklungsländern mehr mit öffentlichen Mitteln zu unterstützen. Die Europäische Investitionsbank folgt diesem Kurs bereits seit 2019 und stoppte Kredite für fossile Vorhaben. Die Begründung: Nur so ließen sich die Pariser Klimaziele einhalten. Was auf dem Papier nach konsequentem Klimaschutz klingt, entpuppt sich in der Praxis als Bigotterie.
Denn jene europäischen Länder, die Afrika Finanzierungen für Gas verwehren, investieren Milliarden in eigene Gasinfrastruktur. Deutschland baut seine Energiewende von Beginn an auf Dutzenden Gaskraftwerken auf, die die wetterabhängige Stromzufuhr aus Wind und Sonne absichern sollen. Elf neue Terminals für LNG-Erdgas bauen europäische Staaten derzeit, weitere sind in Planung. Nach Berechnungen der Denkfabrik WePlanet verbraucht ein einziges dieser Terminals so viel Gasenergie wie ganz Subsahara-Afrika in Form von LPG zum Kochen. Deutschland allein schafft neue Flüssiggas-Importkapazitäten, die das Dreifache des gesamten LPG-Verbrauchs Afrikas ausmachen.
Auf der COP30 forderten afrikanische Vertreter nun, Energiezugang und sauberes Kochen ins Zentrum der Verhandlungen zu stellen. COP30-Präsident André Corrêa do Lago betonte, Entwicklung und Klimaschutz dürften kein Widerspruch sein. Das Konzept der „gerechten Energiewende“ bedeute, „niemanden zurückzulassen“, sagte Elbia Gannoum, COP30-Sondergesandte und Präsidentin des brasilianischen Windenergie-Verbands. Man könne diese Transformation nicht auf Kosten der Gesellschaft, der Arbeitsplätze oder der Lebensgrundlagen der Menschen verfolgen.
Die Realität in afrikanischen Dörfern wie Lukwangulo in der Demokratischen Republik Kongo zeigt die Absurdität der westlichen Klimapolitik. Familien verbringen wertvolle Zeit damit, Holz aus den Wäldern zum Kochen zu sammeln, oft ihre primäre und manchmal einzige Energiequelle. Einige schaffen es, genug Geld für ein Solarpanel zusammenzukratzen, das vielleicht ein Handy aufladen, ein Radio betreiben und ein wenig Licht zum Lernen für Kinder liefern kann. Doch für das Kochen reicht Solarstrom in ländlichen Gebieten oft nicht aus – die Aufgabe erfordert mehr Energie, als viele Stromlösungen in ländlichen Gegenden bieten können.
In solchen Kontexten kann LPG, oft in großen, tragbaren Kanistern verpackt, eine praktikable Alternative zum Kochen mit Holz sein – und eine, für die selbst überzeugte Befürworter erneuerbarer Energien eine Rolle sehen. Rebekah Shirley, stellvertretende Direktorin für Afrika beim World Resources Institute, betont, dass die LPG-Verteilung einen einfacheren Weg bietet, Haushalte und öffentliche Einrichtungen zu erreichen, die weit vom Stromnetz entfernt sind.
Die EU hält sich zugute, dass sie einen Großteil ihrer Klimafinanzierung für Afrika bereitstellt – insgesamt 35 Prozent aller EU-Entwicklungsmittel sollen klimarelevante Projekte fördern, darunter auch Projekte für „saubere Kochlösungen“. Ohne Flüssiggas allerdings ist dies ein utopisches Unterfangen. Die Bundesregierung äußert sich auf Anfrage uneindeutig: Es gehe nicht darum, afrikanischen Ländern die Nutzung von LPG zu verwehren. Doch Geld solle in Windkraft und Solar fließen. „Knappe Mittel der deutschen und internationalen Entwicklungszusammenarbeit sollen für den Ausbau erneuerbarer Energien verwendet werden – daher unterstützen wir die Nutzung von Erdgas nur in Ausnahmefällen.“
Carlos Lopes, COP30-Sondergesandter für Afrika, sagte gegenüber Climate Home News, dass die Priorität zwar immer noch darin bestehe, dass Afrika so schnell wie möglich auf erneuerbare Energien umsteigt, „aber wenn die Finanzierung nicht kommt, müssen Afrikaner pragmatisch sein und alle Möglichkeiten nutzen, um ihre Entwicklung zu fördern“. Afrikaner seien im Grunde gefangen, nicht wegen fehlender Infrastruktur, sondern wegen der Finanzierungsmodelle, die es ihnen nicht erlaubten, so schnell wie gewünscht auf die neue Form der Wirtschaft umzusteigen.
Die Kampagne „Just Stop Cooking“ von WePlanet bringt die Absurdität satirisch auf den Punkt: Der Slogan spielt darauf an, dass Afrikanern faktisch nahegelegt wird, „einfach mit dem Kochen aufzuhören“, wenn man ihnen weder Strom noch Gas zugänglich macht. Patricia Nanteza, Koordinatorin von WePlanet, erklärt: „LPG ist nicht perfekt, aber der schnellste Weg, Leben zu retten, Wälder zu schützen und Frauen zu stärken.“ Ein Finanzierungsverbot für LPG sei moralisches Versagen.
Unterstützung kommt von afrikanischen Politikern: Issifu Seidu, Ghanas erster Staatsminister für Klimawandel, nannte das Verweigern von günstigen LPG-Krediten „eine himmelschreiende Ungerechtigkeit“. Der ehemalige liberianische Minister Gyude Moore kritisiert, die Politik des Westens rieche „nach bevormundendem grünem Kolonialismus“. Wenn europäische und US-amerikanische Politiker die Gasinvestitionen ihrer eigenen Länder erhöhten, während sie andere belehrten, das Gleiche zu vermeiden, zerstörten sie jedes Gefühl für gemeinsame Ziele oder Fairness.
Afrikanische Delegationen haben auf der COP 30 klargemacht, dass sie Grundbedürfnisse wie Energiezugang als zentrales Gerechtigkeitsthema verhandeln wollen. Mit Elektrizität und sauberem Kochen standen erstmals die Alltagssorgen der afrikanischen Bevölkerung im Mittelpunkt einer Weltklimakonferenz. Die Frage, die in Belém im Raum stand, ist einfach: Gilt die postfossile Zukunft für alle – oder nur für die, die sich bereits entwickelt haben?