Wirtschaft

Boxenstopp – Mehrwegverpackungen für eine nachhaltigere Lebensmittelindustrie

Das Start-up PFABO, kurz für PfandBoxen, bringt mit seinem innovativen Pfandsystem Nachhaltigkeit in die Lebensmittelindustrie. Die Gründer Juliane und Adrian Spieker entwickeln mit ihrem Team nicht nur eine neue Verpackung, sondern ein komplettes Mehrwegsystem, das Produktion, Logistik, Reinigung und digitale Nachverfolgung miteinander vereint.

03.12.2025

Boxenstopp – Mehrwegverpackungen für eine nachhaltigere Lebensmittelindustrie

Das Ziel von PFABO: Einwegverpackungen in der Lebensmittelindustrie drastisch reduzieren und Mehrweg als industriellen Standard etablieren. Durch das Team der Start-A-Factory, das Hardware-Start-ups und Forschende am Fraunhofer IZM zusammenbringt, konnten die PFABO-Boxen dank eines KI-gestützten Prüfverfahrens fit für die Hygieneanforderungen in der Lebensmittelindustrie gemacht werden.

Was war eure Motivation, euch mit den Themen Mehrwegverpackungen und Kreislaufwirtschaft zu beschäftigen?

Juliane Spieker: Verpackungen haben ihre Berechtigung – sie schützen Produkte, sichern Transport und Haltbarkeit. Über die Jahre ist daraus allerdings eine Art „Verpackungsutopie“ geworden. Vieles wird doppelt und dreifach verpackt, was oft gar keinen weiteren Schutz bietet. Als Endverbraucherin merkt man das vor allem beim Einkaufen: Man kommt nach Hause und als Erstes wandern ganz viele Verpackungen in den Mülleimer. Hier wird das Verpackungsaufkommen deutlich spürbar, während es in der Industrie deutlich weitreichender, aber für Verbraucherinnen weitestgehend unsichtbar bleibt. So füllen Produzent*innen zum Beispiel Feinkost und Salate ab, schicken sie weiter, dort werden sie wieder ausgepackt, und die Verpackung wird sofort entsorgt. Ein Riesenaufwand für etwas, das nur ein paar Stunden genutzt wird. Da haben wir uns gedacht – das muss auch anders gehen.

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Adrian ist Maschinenbauer und Produktentwickler und hat die Thematik zu PFABO in seiner Masterarbeit wissenschaftlich aufbereitet und damit den technischen Grundstein gelegt. Gleichzeitig haben wir Kontakte zu möglichen Partnern gesucht und sind so schließlich auch auf das Fraunhofer IZM gestoßen. Dort hatten wir dann Kontakt mit Alexandra Rydz und Ulf Oestermann von der Start-A-Factory. Die beiden haben uns spontan zu einem Workshop eingeladen. Gemeinsam haben wir die ersten Ideen zur Zusammenarbeit mit einzelnen Abteilungen im Forschungsinstitut entwickelt, und kurz darauf stand mit dem ersten Lockdown plötzlich alles still. Aber das Projekt hat überlebt, und wir sind weiter mit dem Fraunhofer IZM in Kontakt geblieben. Mit dem EXIST-Gründerstipendium konnten wir die Arbeit fortsetzen und professionalisieren.

Schließlich haben wir dann ein großes Forschungs- und Entwicklungsprojekt vom Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat bekommen und das Fraunhofer IZM als Verbundpartner mit ins Boot geholt. Alexandra und Ulf haben uns wie vor dem Lockdown unterstützt, und so konnten wir durch die Kooperation mit Start-A-Factory den Weg zu unserem Prototypen weitergehen. Start-A-Factory ist ein einmaliges Konzept in der Wissenschaftslandschaft für Entwicklungsteams mit Hardware-Fokus. Zusammen mit Expertinnen aus der Wissenschaft, modernsten Anlagen und Kontakten zu weiteren Partnerinnen aus der Wirtschaft wurde unsere erste Produktidee in kürzester Zeit zum professionellen Prototypen.

Und welches Know-how war für eure Produktentwicklung ausschlaggebend?

J. Spieker: Beim Thema Kreislaufwirtschaft müssen sehr viele Punkte mitgedacht werden, vor allem, wenn sie im großen Maßstab funktionieren soll. Bei Hunderttausenden oder mehr Verpackungen im Umlauf ist es schlicht unmöglich, jede einzelne Box per Hand zu kontrollieren, weswegen uns von Anfang an klar war, dass der Schritt der Qualitätsüberprüfung automatisiert werden muss. Hier hat das Fraunhofer IZM seine Erfahrung eingebracht. Gemeinsam mit Carsten Brockmann und Christian Tschoban aus der Abteilung RF & Smart Sensor Systems haben wir überlegt: Welche Parameter müssen geprüft werden? Wie lässt sich Sensorik so einsetzen, dass Beschädigungen oder Rückstände zuverlässig erkannt werden?

Wir wollten ein System, das hygienisch einwandfrei arbeitet und dabei wirtschaftlich bleibt. Die Forschenden vom Fraunhofer IZM haben dann eine Sensorik vorgeschlagen, welche wir gemeinsam für PFABO adaptiert haben. Im Mittelpunkt steht hier ein KI-gestütztes Prüfverfahren, bei dem die Maschine „lernt“, bestimmte Oberflächenstrukturen oder Verfärbungen zu erkennen und Rückschlüsse auf mögliche Kontaminationen zieht. Die Entwicklung dieser Prüfsensorik war für uns ein großer Fortschritt, da wir so sicherstellen können, dass eine Verpackung, die in den Kreislauf zurückkommt, den gleichen Hygieneanforderungen wie eine Einwegverpackung entspricht – nur eben mit viel weniger Abfall, da eine unserer Boxen zwischen 250- und 500-mal wiederverwendet werden kann.


Juliane und Adrian Spieker haben mit PFABO ein Mehrwegsystem entwickelt, das Produktion, Logistik, Reinigung und digitale Nachverfolgung miteinander vereint.

Nimm mich mal bitte mit auf die Reise von so einer eurer Boxen – von Herstellung über Benutzung bis hin zu Reinigung und Wiederverwendung…

J. Spieker: Alles beginnt bei unserem Produktionsunternehmen, der Adoma GmbH im Allgäu. Dort entstehen im Spritzgussverfahren unsere Boxen, die je nach Größe 0,25 – 5,4 Liter fassen. Schon in der Produktion wird ein Inmold-Label integriert – das Etikett, welches für die digitale Rückverfolgung wichtig ist. Von dort gehen die Boxen zunächst in die Reinigung und werden schließlich an die Lebensmittelproduzentinnen oder direkt in den Handel geliefert. Die Boxen werden dann beispielsweise mit Feinkost- oder Obstsalaten, Desserts oder Convenience-Produkten befüllt. Je nach Anwendung gelangen sie manchmal noch über den Großhandel direkt zu den Verwenderinnen. Dort wird die Ware entnommen, verarbeitet oder an Endkunden weitergegeben.

Wir beliefern zum Beispiel auch die Vivantes Krankenhäuser in Berlin, welche seit einigen Jahren im Take-away komplett auf Mehrwegverpackungen setzen. Das ist ein positives Beispiel, wie das konsequente und ausnahmslose Umdenken einer Firma Mehrweg zur Normalität machen kann. Wir haben errechnet, dass alleine im Take-away Vivantes so im Jahr circa 620.000 Becher einspart, die sonst Einwegprodukte gewesen wären. Bei dieser Verwendung reinigt das Unternehmen die Becher oder Boxen selbst, und danach kehrt die Box oder der Becher zurück in den Kreislauf. Bei der klassischen Zulieferung (Produktion – Auslage) werden die Gebinde gesammelt und zu einer zentralen Reinigung bei beispielsweise Cup & More geschickt, wo die entscheidende Qualitätskontrolle passiert. Dank der Sensorik, die wir mit dem Fraunhofer IZM entwickelt haben, kann dort jede Box beziehungsweise jeder Eimer zuverlässig geprüft werden, und nur, wenn die Gebinde alle Checks bestehen, werden sie wieder zur Verwendung freigegeben.

Du hast mit Vivantes jetzt eine Erfolgsgeschichte genannt, aber wie, würdest du sagen, ist denn Mehrweg heute generell schon in der Praxis angekommen – und wo siehst du die größte Herausforderung in dem Prozess?

J. Spieker: Ganz klar im Umdenken. Unternehmen haben über Jahrzehnte Strukturen aufgebaut und Prozesse etabliert. Wenn man da eingreift, bedeutet das erstmal Reibung. Abteilungen müssen plötzlich enger zusammenarbeiten, Verantwortlichkeiten verschieben sich. Ohne ein klares Signal „von oben“ nach dem Motto „Wir machen das jetzt“ funktioniert es nicht. Und obwohl es seit einiger Zeit sogar Pflicht ist, Mehrweg im Take-away anzubieten, passiert dies auch in vielen Fällen noch nicht. Das zeigt, wie tief das Muster sitzt. Neben uns – wir engagieren uns vor allem im Bereich Business-to-Business, weil wir dort die größte Wirkung sehen – gibt es auch noch einige andere Anbieter, die Ansätze im Business-to-Customer-Bereich anbieten. So gibt es in einigen Supermärkten schon Mehrweg an der Frischetheke, in Restaurants für den Außer-Haus-Verzehr oder auch Molkereiprodukte im Glas. Aber insgesamt ist die Mehrwegangebotspflicht für Endverbraucher eine Hol-, aber keine Bringepflicht. Wichtig ist und bleibt klares und konsequentes Handeln, sonst funktioniert es nicht.

Dazu kommen natürlich auch technische Herausforderungen. Jede neue Verpackung durchläuft lange Entwicklungszyklen – von der Zeichnung über den 3D-Druck, Tests, Werkzeugbau, Anpassungen, Abfüll- und Reinigungstests. Da zählt jedes Detail, ob es um Materialstärke, Verschluss oder Füllvolumen geht. Bei PFABO sind wir mittlerweile aber ein eingespieltes Team und haben ein gutes Projektmanagement etabliert, sodass diese technischen Entwicklungszyklen relativ reibungslos ablaufen.

Wir sind froh, dass ihr über die Start-A-Factory zu uns gefunden habt und sind gespannt darauf, die Zukunft von PFABO zu verfolgen – wohin soll eure Reise denn in den nächsten Jahren gehen?

J. Spieker: Unser Ziel ist und bleibt, Mehrweg raus aus der Nische zu holen und fest in der Industrie zu etablieren – und noch viel mehr: Mehrweg als Standard für Primärverpackungen in der Lebensmittelbranche. Dafür bauen wir unsere Technik natürlich immer weiter aus und unterstützen Unternehmen bei der Umstellung. Parallel wollen wir unsere Netzwerke stärken. Dazu braucht es Forschung, Industrie und Politik, denn Innovation allein reicht nicht aus – klare gesetzliche Vorgaben sind ebenso wichtig. Als Gründungsmitglied und ehemaliges Vorstandsmitglied im Mehrwegverband Deutschland liegt es mir ebenfalls am Herzen, dass wir Mehrwegenthusiasten uns mehr standardisieren und professionalisieren. Wir rücken regelmäßig bei Veranstaltungen und Fachtagungen das Thema Mehrweg in das Zentrum der Aufmerksamkeit.

Ich erwarte keine 180 Grad-Wendung in einem halben Jahr, aber viele kleine Schritte, die vor allem konsequent durchgezogen werden, können einen großen Unterschied machen. Dafür brauchen wir mutige Unternehmen, technische Entwicklung, Anwender- und Verbraucher, die mitziehen, und eine Politik, die dem Ganzen einen rechtlichen Rahmen setzt. Dann kann Mehrweg zur Normalität werden – und genau das ist unser Antrieb.

Quelle: UD/fo
 

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