Wirtschaft

Ben & Jerry's gegen Unilever: Wenn politisches Eis zum Streitfall wird

Die Geschichte eines Eisimperiums, das an der Frage nach politischer Korrektheit zu zerbrechen droht.

06.10.2025

Ben & Jerry's gegen Unilever: Wenn politisches Eis zum Streitfall wird

Der Geruch von frisch gebackenen Waffeln und cremigem Vanilleeis durchzieht normalerweise die Büros von Ben & Jerry’s in Vermont. Doch seit Jahren herrscht dort eisige Stimmung – und das liegt nicht an der Klimaanlage. Der Kampf zwischen den Gründern der Kult-Eismarke und ihrem Mutterkonzern Unilever hat sich zu einem Stellvertreterkrieg entwickelt, der weit über Geschmacksfragen hinausgeht. Es geht um nichts Geringeres als die Frage: Wie weit darf politischer Aktivismus in der Wirtschaft gehen?

Der Anfang vom Ende einer schönen Freundschaft

Alles begann 2021 mit einer scheinbar harmlosen Pressemitteilung. Ben & Jerry’s verkündete, „es sei unvereinbar mit unseren Werten“, das Eis „in den besetzten palästinensischen Gebieten“ zu verkaufen. Was als Gewissensentscheidung der sozial engagierten Marke daherkam, entpuppte sich als Brandsatz in einem bereits aufgeheizten Konflikt.

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Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Israel reagierte empört, jüdische Organisationen sprachen von Antisemitismus, und in den Vereinigten Staaten hagelte es Klagen. Die Amadeu Antonio Stiftung, jahrelanger Partner von Ben & Jerry’s, beendete umgehend die Zusammenarbeit und warf dem Unternehmen vor, der antisemitischen BDS-Bewegung zu folgen.

Doch das wahre Drama spielte sich hinter den Kulissen ab. Unilever, der britische Konzern, der Ben & Jerry’s bereits seit 2000 besitzt, geriet unter massiven Druck. Pensionsfonds drohten mit dem Ausstieg, Investoren liefen Sturm, und plötzlich stand ein Milliardenkonzern wegen einer Eismarke am Pranger.

Jerry Greenfield: Der Mann, der genug hatte

Jerry Greenfield konnte „nicht länger guten Gewissens“ für ein Unternehmen arbeiten, das „zum Schweigen gebracht“ worden war. Im September verließ einer der Gründer demonstrativ das Unternehmen, das er einst aus einer umgebauten Tankstelle heraus aufgebaut hatte. Sein Abgang war mehr als nur ein Rücktritt – es war ein Wutschrei gegen die eigene Machtlosigkeit.

Greenfield und sein Partner Ben Cohen hatten beim Verkauf an Unilever 2000 darauf bestanden, dass die Marke ihre soziale Mission beibehalten dürfe. Ein unabhängiges Board sollte über politische Stellungnahmen entscheiden können. Doch was auf dem Papier wie eine clevere Lösung aussah, entpuppte sich als Zeitbombe. Denn während das Board weiter politisierte, musste Unilever die wirtschaftlichen Konsequenzen tragen.

Unilever: Gefangen zwischen Profit und Politik

Der Konzern aus London fand sich in einer unmöglichen Situation wieder. Einerseits hatte man den Gründern Autonomie zugesichert, andererseits drohten millionenschwere Verluste durch Boykotte und Rechtsstreitigkeiten. Nach einem langwierigen Rechtsstreit erreichte Unilever 2022 eine Einigung, die sicherstellte, dass das Eis weiterhin in ganz Israel und dem Westjordanland verkauft wird.

Doch die Ruhe war trügerisch. Als der Gaza-Konflikt erneut eskalierte, wollte Ben & Jerry’s wieder politisch aktiv werden – und stieß erneut auf den Widerstand des Mutterkonzerns. Die Eismarke verklagte Unilever und warf dem Konzern vor, sie bei ihrer pro-palästinensischen Haltung zum Gaza-Konflikt mundtot zu machen.

Das Ende der woken Ära?

Der Streit um Ben & Jerry’s steht symptomatisch für ein größeres gesellschaftliches Umdenken. Die Zeit, in der Unternehmen mit politischem Aktivismus automatisch Sympathiepunkte sammeln konnten, scheint vorbei. Konsumenten und Investoren werden zunehmend müde von Marken, die sich ständig zu gesellschaftlichen Themen äußern müssen.

Der Konflikt zeigt die Grenzen der „woken“ Unternehmensführung auf. Was geschieht, wenn politische Überzeugungen und wirtschaftliche Realitäten kollidieren? Ben & Jerry’s hatte jahrzehntelang bewiesen, dass sich soziales Engagement und Profit vereinbaren lassen. Doch beim Thema Israel stieß diese Philosophie an ihre Grenzen.

Mittlerweile sammelt Ben Cohen Investoren, um das Unternehmen zurückzukaufen – ein verzweifelter Versuch, die verlorene Kontrolle zurückzugewinnen. Doch auch wenn die Gründer ihre Firma zurückerhalten sollten, die Unschuld der Marke ist dahin. Ben & Jerry’s ist vom Symbol für progressiven Kapitalismus zum Warnsignal für die Risiken politischer Unternehmensführung geworden.

Eiskalte Realitäten

Der Konflikt zwischen Ben & Jerry’s und Unilever ist mehr als nur ein Wirtschaftsstreit. Er markiert das Ende einer Ära, in der Unternehmen glaubten, sie könnten gleichzeitig guten Gewinn und gute Politik machen. Die Realität ist komplizierter und die Welt weniger bereit, sich von Eisproduzenten über Moral belehren zu lassen.

Was bleibt, ist die bittere Erkenntnis: Manchmal schmilzt selbst das beste Eis, wenn die Hitze zu groß wird. Und im Fall von Ben & Jerry’s war es die Hitze eines Konflikts, der älter ist als jede Eismarke und komplexer als jede Geschäftsstrategie.

Die Geschichte von Ben & Jerry’s lehrt uns: In einer polarisierten Welt gibt es keine harmlosen politischen Statements mehr. Jede Position hat ihren Preis – und manchmal ist er höher, als selbst die erfolgreichsten Unternehmer zu zahlen bereit sind.

Quelle: UD
 

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