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Fernweh schlägt Klimaschutz: Warum Deutsche beim Reisen ihr grünes Gewissen vergessen

Die Deutschen wollen nachhaltig reisen, doch am Ende siegt der günstige Flug. Eine aktuelle Studie zeigt die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Nur 17 Prozent finden Nachhaltigkeit wichtiger als den Preis, gleichzeitig hat bereits jeder Siebte ein schlechtes Gewissen beim Fliegen. Die Reiselust bleibt ungebrochen, steht aber zunehmend unter ethischer Beobachtung.

24.10.2025

Fernweh schlägt Klimaschutz: Warum Deutsche beim Reisen ihr grünes Gewissen vergessen

Die moralische Zerrissenheit der deutschen Urlauber offenbart sich in nüchternen Zahlen. Eine neue Studie der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen, für die 3.000 Bundesbürger befragt wurden, legt den Finger in eine Wunde, die viele Reisende kennen: den Widerspruch zwischen Klimabewusstsein und Urlaubsverhalten. 14 Prozent der Deutschen geben zu, ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn sie ins Flugzeug steigen. Doch wenn es um die konkrete Wahl des Reiseziels geht, spielt die Nachhaltigkeit nur für 17 Prozent eine wichtigere Rolle als der Preis.

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Diese Diskrepanz ist kein Zufall, sondern Ausdruck eines tieferen Konflikts. Einerseits zeigt sich die deutsche Bevölkerung durchaus sensibilisiert für Klimafragen. Studien belegen, dass 63 Prozent der Verbraucher nachhaltiges Reisen heute für wichtiger halten denn je. Der Schutz der Umwelt wird als zentrales Anliegen benannt. Andererseits steht dieser Wertehaltung eine Reisepraxis gegenüber, die davon wenig erkennen lässt. Im Jahr 2024 haben rund 20,6 Millionen Deutsche eine private Flugreise unternommen. Die Buchungszahlen steigen weiter, die Reiselust ist ungebrochen.

Was auf den ersten Blick wie pure Doppelmoral erscheint, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als vielschichtiges Phänomen. Die Stiftung für Zukunftsfragen spricht von einer wachsenden moralischen Ambivalenz. Diese Ambivalenz zeigt sich besonders deutlich bei der Generation der unter 30-Jährigen, die als besonders umweltbewusst gilt, aber gleichzeitig einen erheblichen Teil ihrer Reiseentscheidungen von Social Media und Influencern beeinflussen lässt. 14 Prozent aller Befragten orientieren sich bei der Urlaubswahl an digitalen Vorbildern, die oft exotische Fernreisen inszenieren.

Die ökonomische Realität verschärft den Konflikt zusätzlich. Flugreisen sind heute so günstig wie nie zuvor. Billigflieger ermöglichen Wochenendtrips nach Barcelona für weniger Geld als eine Zugfahrt durch Deutschland kostet. In Zeiten steigender Lebenshaltungskosten wird der Preis zum entscheidenden Faktor. Nachhaltigkeit bleibt da häufig ein Luxusgut für diejenigen, die es sich leisten können oder wollen.

Forscher sprechen mittlerweile von einer Flugbewusstseinsphase, die sich allmählich durchsetzt. Menschen fliegen nicht mehr unbekümmert, sondern mit einem latenten Unbehagen. Dieses schlechte Gewissen führt jedoch selten zu Verhaltensänderungen. Stattdessen entwickeln sich Rechtfertigungsstrategien: Man fliegt ja nur einmal im Jahr weit weg, kompensiert die CO2-Emissionen durch Spenden oder verzichtet dafür beim Essen auf Fleisch. Diese Form der moralischen Buchführung ermöglicht es, den inneren Konflikt zu entschärfen, ohne auf geliebte Urlaubsgewohnheiten verzichten zu müssen.

Die Reisebranche hat diesen Widerspruch längst erkannt und versucht mit unterschiedlichen Strategien darauf zu reagieren. Airlines bewerben nachhaltige Treibstoffe, Hotels ihre Ökozertifikate, Reiseveranstalter ihre CO2-Kompensationsprogramme. Doch die Wirkung dieser Maßnahmen bleibt begrenzt. Nur 5 Prozent der Befragten geben an, dass vegetarische oder vegane Angebote ihre Reisezielwahl beeinflussen. Die Nachfrage nach echten Alternativen zum Fliegen, etwa Nachtzüge oder Fernbusse, wächst zwar, bleibt aber im Vergleich zum Luftverkehr marginal.

Professor Ulrich Reinhardt von der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen sieht in den Studienergebnissen ein klares Signal: Reiseanbieter müssen umdenken. Statt auf moralische Appelle zu setzen, sollten sie flexible Angebote schaffen, die Nachhaltigkeit und Preis in Einklang bringen. Doch solange klimafreundliche Alternativen teurer und umständlicher sind als Flugreisen, wird sich am Verhalten der Masse wenig ändern.

Die Politik steht vor einem Dilemma. Strengere Regulierungen wie höhere Flugsteuern oder Verbote von Kurzstreckenflügen treffen auf massiven Widerstand aus Industrie und Bevölkerung. Gleichzeitig verfehlt Europa seine Klimaziele im Verkehrssektor dramatisch. Die Luftfahrtindustrie verspricht, bis 2050 klimaneutral zu werden, während gleichzeitig die Passagierzahlen verdoppelt werden sollen. Experten halten diese Versprechen für unrealistisch.

Der Widerspruch zwischen Wunsch und Wirklichkeit beim nachhaltigen Reisen spiegelt ein grundsätzliches Problem moderner Gesellschaften wider: Die Bereitschaft, für Klimaschutz zu zahlen oder auf Komfort zu verzichten, endet dort, wo es persönlich unbequem wird. Solange Fernreisen erschwinglich und gesellschaftlich akzeptiert bleiben, wird das schlechte Gewissen zwar wachsen, das Verhalten sich aber kaum ändern. Die Deutschen wollen grün reisen, aber bitte nicht auf Kosten ihrer Urlaubsträume.

Quelle: UD
 

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