Umwelt

Vom Wegwerfproblem zur Rückgabestruktur: Wie Lissabon Mehrweg neu denkt

Als erste europäische Hauptstadt setzt Lissabon ein verbindliches Mehrwegsystem um – technisch ausgereift, politisch verankert und alltagstauglich. Rückgabe wird so einfach wie Wegwerfen, Einwegbecher verschwinden aus Hotspots. Das Modell könnte Vorbild für Städte in ganz Europa werden. – ein Fachbeitrag von Sven Hennebach, Senior Manager bei TOMRA Reuse –

11.08.2025

Vom Wegwerfproblem zur Rückgabestruktur: Wie Lissabon Mehrweg neu denkt

Das Vertrauen in das klassische Recyclingsystem gerät zunehmend ins Wanken – als ineffizient, unzuverlässig und zu stark vom Verhalten Einzelner abhängig. Gleichzeitig wächst der politische und gesellschaftliche Druck auf Einweg: Immer mehr Städte erheben Steuern auf Einwegverpackungen, auf EU-Ebene sind verpflichtende Mehrwegquoten geplant. Vor allem im urbanen Raum zeigt sich der Handlungsbedarf deutlich. Dort fallen täglich Millionen Verpackungen an, insbesondere im To-go-Segment. Gerade dort, wo täglich Millionen To-go-Verpackungen im Umlauf sind, braucht es keine besseren Entsorgungsstrategien, sondern neue Lösungen, die Abfall gar nicht erst entstehen lassen. Zwar gibt es wachsenden politischen Rückhalt für Mehrweg, in der Realität aber fehlt es oft an praktikablen Lösungen. Rückgabestellen sind rar, Systeme nicht kompatibel, und der Rückgabeprozess ist meist umständlicher als der Kauf selbst. So bleibt Einweg trotz seiner Umweltfolgen die bequemere Wahl. Was fehlt, ist eine Infrastruktur, die Rückgabe so einfach macht wie das Wegwerfen. Denn nur dann kann Mehrweg zur alltäglichen Normalität werden statt zur Ausnahme mit Mehraufwand.

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Der „Lisbon Cup“: Infrastruktur statt Ideologie

Ein europäisches Vorbild zeigt, wie zirkuläre Systeme konkret funktionieren können. Lissabon hat im Juni 2025 als erste europäische Hauptstadt zusammen mit TOMRA Reuse ein digitales Mehrwegbechersystem eingeführt – technisch durchdacht, politisch gewollt und im urbanen Alltag verankert. Allein in den Ausgehvierteln der Stadt werden jede Nacht rund 25.000 Einwegbecher genutzt, bislang ohne funktionierende Rücknahme. Das neue System setzt genau hier an: mit Rückgabestationen dort, wo Konsum tatsächlich stattfindet, und einem digital gestützten Prozess, der Rückgabe einfach macht. Flankiert wird die Einführung durch eine kommunale Verordnung, die die Ausgabe von Einweg-Plastikbechern in den betroffenen Vierteln untersagt. Das unterstreicht den politischen Willen, funktionierende Mehrwegstrukturen nicht nur zu testen, sondern aktiv umzusetzen.

Kern des Systems ist der sogenannte „Lisbon Cup“, ein standardisierter Mehrwegbecher, der künftig in allen teilnehmenden Gastronomiebetrieben ausgegeben wird. Der portugiesische Hotel- und Gastroverband AHRESP ist als Partner in die Umsetzung eingebunden. Beim Getränkekauf zahlen Konsumenten einen Pfandbetrag von 0,60 Euro, der ohne Registrierung kontaktlos per Bankkarte oder Smartphone direkt an den Rückgabeautomaten digital zurückerstattet wird. Die ersten Stationen stehen an stark frequentierten Orten wie dem Praça do Príncipe Real oder dem Praça de São Paulo. Bis Oktober 2025 werden insgesamt 17 Rückgabestellen in den Ausgehvierteln der Innenstadt installiert. Damit konzentriert sich die Infrastruktur auf jene Zonen mit besonders hohem Konsumaufkommen, vor allem abends und an touristischen Hotspots.

Die Rückgabe ist einfach und erfolgt in Sekundenschnelle. Jeder Becher ist serialisiert, die Umläufe werden digital dokumentiert, die Rückerstattung erfolgt bargeldlos. Die komplette Reinigung und Wiederverteilung übernimmt TOMRA Reuse, ohne Mehraufwand für Gastronomen oder Nutzer. Der Becher durchläuft so einen geschlossenen Kreislauf: von der Ausgabe über die Nutzung bis zur Rückgabe und Wiederverwendung. Mit dieser Infrastruktur schafft Lissabon die Voraussetzungen für echte Kreislaufwirtschaft im urbanen Raum – nicht als Pilotprojekt, sondern als reguläre, städtisch verankerte Lösung. Das Ziel? Ein System, das nicht belehrt, sondern überzeugt.

Erprobte Systeme als Grundlage für den Wandel

Dass ein solches System funktioniert, zeigen zwei weitere Projekte von TOMRA Reuse in Europa. In Aarhus (Dänemark) läuft seit Januar 2024 das weltweit erste stadtweite Rücknahmesystem für Mehrwegbecher im öffentlichen Raum. 27 Sammelstationen ermöglichen die Rückgabe rund um die Uhr – unabhängig vom Anbieter. Bereits nach zwölf Monaten liegt die Rücklaufquote bei 86 Prozent, einzelne Becher wurden mehr als dreißigmal verwendet. Allein ein Straßenfest im Sommer 2024 sparte 100.000 Einwegbecher ein. Für 2025 sind fünf Events mit bis zu 500.000 eingesparten Bechern geplant.

Und Deutschland? In Berlin testen REWE, der Berliner Senat, die DUH und TOMRA seit Frühjahr 2025 eine Mehrwegrückgabe im Supermarkt: In sieben REWE-Märkten im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg können Becher verschiedener Systeme über die bestehenden TOMRA T9-Leergutautomaten gemeinsam mit Flaschen und Dosen zurückgegeben werden. Die Rückführung erfolgt über die bestehende Handelslogistik. Das Projekt zeigt, dass Mehrweg auch im deutschen Handel wirtschaftlich und alltagstauglich integrierbar ist. Gerade dort, wo in Deutschland über Einwegverpackungssteuern diskutiert oder bereits entschieden wird, entsteht jetzt ein konkretes Momentum für Veränderung. Regulierung schafft den Rahmen, aber nur funktionierende Rückgabe-Infrastruktur macht daraus echte Kreislaufwirtschaft.

Mehrweg ist nicht das Problem, sondern die Lösung – wenn man es richtig macht

Lissabon macht vor, wie echte urbane Kreislaufwirtschaft aussehen kann. Als erste europäische Hauptstadt schafft die Stadt eine verbindliche, öffentlich sichtbare Reuse-Infrastruktur – rechtlich verankert, digital unterstützt und gezielt in stark frequentierten Ausgehvierteln umgesetzt. Der Fokus liegt dort, wo besonders viele Einwegbecher anfallen. Rückgabe wird nicht eingefordert, sondern niederschwellig, schnell und ohne Mehraufwand für Nutzer ermöglicht.

Was hier entsteht, ist mehr als ein neues Sammelsystem: Es ist ein Perspektivwechsel. Städte werden zu aktiven Gestaltern von Kreisläufen – nicht durch Appelle, sondern durch Angebote. Die Erfahrungen aus Aarhus, Berlin und nun Lissabon zeigen: Reuse funktioniert, wenn die Infrastruktur mit dem Alltag kompatibel ist. Für Städte, die Mehrweg als Teil ihrer Zukunft denken, liegt die Lösung längst nicht mehr in Ideen, sondern in einsatzbereiten, erprobten Systemen.

Herrn Hennebach im Pilotprojekt Berlin
Quelle: UD
 

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