Umweltverbandsklage unter Beschuss: Schwarz-Rot kürzt Klagerecht zusammen
Die große Koalition aus CDU, CSU und SPD hat sich auf eine drastische Einschränkung des Umweltverbandsklagerechts geeinigt. Unter dem Vorwand der Beschleunigung von Infrastrukturprojekten droht einem der wichtigsten Instrumente des Umweltschutzes das faktische Aus – ein Vorhaben, das juristisch höchst fragwürdig erscheint und gegen internationale Verpflichtungen verstoßen könnte.
11.12.2025
Stundenlang berieten die Spitzen der schwarz-roten Koalition im Kanzleramt, dann verkündete Bundeskanzler Friedrich Merz die Ergebnisse. Die Beseitigung aller Infrastruktur-Engpässe werde zum überragenden öffentlichen Interesse erklärt. Doch die eigentliche Brisanz steckt im Detail: Die Koalition will das Umweltverbandsklagerecht massiv einschränken. Einen entsprechenden Gesetzentwurf will sie spätestens am 28. Februar 2026 beschließen. Naturschutz bleibe wichtig, betonte Merz, aber er könne jetzt nicht mehr durch endlose Verfahren dringend notwendige Maßnahmen blockieren.
Was wie pragmatische Beschleunigung klingt, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als fundamentaler Angriff auf rechtsstaatliche Prinzipien. Für Klagen gegen Infrastrukturprojekte sollen künftig klarere Regeln gelten, heißt es im Beschlusspapier. Die aufschiebende Wirkung von Klagen soll wegfallen. Einwendungen würden nur noch zählen, wenn sich die betreffende Person oder Vereinigung bereits im Verwaltungsverfahren beteiligt habe. Dies beuge Missbrauch vor, argumentiert die Koalition. CSU-Chef Markus Söder formulierte es drastischer: Irgendwelche Nichtregierungsorganisationen von ganz woanders her könnten in Zukunft nicht mehr Verfahren, an denen sie zuvor nie beteiligt waren, im Nachhinein blockieren.
Die umweltrechtliche Verbandsklage ist seit ihrer Einführung im Jahr 2006 durch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz mehr als nur ein juristisches Instrument. Sie hat sich als wirksamer Kontrollmechanismus etabliert. Anerkannte Umweltverbände können damit behördliche Entscheidungen gerichtlich überprüfen lassen, ohne darlegen zu müssen, in eigenen Rechten verletzt zu sein. Das gilt etwa für Genehmigungen von Industrieanlagen, wasserrechtliche Erlaubnisse oder Planfeststellungsbeschlüsse für Deponien und Autobahnen. Im März 2025 waren 146 Verbände vom Bund anerkannt.
Die Erfolgsquote der Umweltverbandsklagen spricht eine deutliche Sprache. Fast die Hälfte aller Verfahren zwischen 2006 und 2012 waren ganz oder teilweise erfolgreich, wie eine Studie des Umweltbundesamtes zeigt. Das liegt daran, dass die Verbände nur in wenigen, besonders aussichtsreichen Fällen von ihrem Klagerecht Gebrauch machen. Von 2021 bis 2023 wurden durchschnittlich 69 Umweltverbandsklagen pro Jahr eingereicht – bei insgesamt über 179.000 Verfahren vor Verwaltungsgerichten in diesem Zeitraum. Die Zahlen belegen: Von einer Klageflut kann keine Rede sein.
Roda Verheyen, Leiterin des Bereichs Recht bei der Deutschen Umwelthilfe, betont die Bedeutung erfolgreicher Umweltverbandsklagen für den Umweltschutz. Die Möglichkeit, die Einhaltung des Umweltrechts gerichtlich kontrollieren zu lassen, sei unverzichtbar. Tatsächlich bewirkt schon die bloße Existenz des Klagerechts, dass Genehmigungsbehörden und Vorhabenträger die Stellungnahmen der Verbände ernster nehmen. Dies führt zu genaueren Sachverhaltsermittlungen und zielgerichteteren Auflagen zugunsten des Umweltschutzes.
Die rechtliche Grundlage der Verbandsklage ist international verankert. Deutschland ist seit 1998 Vertragspartei der Aarhus-Konvention, die den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten garantiert. Zudem hat Deutschland die EU-Öffentlichkeitsbeteiligungs-Richtlinie von 2003 umzusetzen. Diese völker- und europarechtlichen Verpflichtungen lassen sich nicht einfach durch nationale Gesetzgebung aushebeln. Wie die Koalition ihre angekündigte Einschränkung des Verbandsklagerechts bei Infrastrukturvorhaben ohne Verstoß gegen internationales und europäisches Recht bewerkstelligen will, bleibt unklar.
Die neue Präklusionsregelung, die Einwendungen nur noch bei vorheriger Beteiligung im Verwaltungsverfahren zulässt, wirft zudem grundsätzliche Fragen auf. Sie könnte faktisch das Ende vieler kleinerer Umweltverbände bedeuten, die nicht über die Ressourcen verfügen, sich flächendeckend an allen Verwaltungsverfahren zu beteiligen. Der Vorwurf, Verbände würden Verfahren blockieren, an denen sie nicht beteiligt waren, ignoriert die Realität: Gerade die nachträgliche gerichtliche Kontrolle deckt oft Rechtsverstöße auf, die im Verwaltungsverfahren übersehen wurden.
Die Koalition inszeniert ihre Beschlüsse als großen Wurf. SPD-Finanzminister Lars Klingbeil bescheinigte der Regierung eine gute Arbeit, man habe maßgebliche Weichen für das Land gestellt. CSU-Chef Söder lobte, die Koalition sei viel besser als ihr Ruf. Kanzler Merz verteidigte den Herbst der Reformen: So umfangreiche Reformen habe es in Deutschland noch nie gegeben. Doch die demonstrative Harmonie bei der Pressekonferenz kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit der Einschränkung des Verbandsklagerechts ein Instrument geschwächt wird, das gerade in den letzten Jahren seine Wirksamkeit unter Beweis gestellt hat.
Der Preis für vermeintlich schnellere Verfahren könnte ein geschwächter Rechtsstaat und eine Natur sein, die ihre Anwälte verliert. Die Frage ist nicht, ob Deutschland seine Infrastruktur braucht. Die Frage ist, zu welchem Preis.