Umwelt

Tiefsee in Gefahr: Schutz für das größte Ökosystem der Erde

Sie bedeckt den Großteil des Ozeans, bleibt weitgehend unerforscht – und ist durch Klimawandel, Rohstoffabbau und Fischerei bedroht. Eine neue Analyse des European Marine Board fordert mehr Forschung, internationale Regulierung und gezielte Schutzmaßnahmen für die Tiefsee.

19.05.2025

Tiefsee in Gefahr: Schutz für das größte Ökosystem der Erde

Wo beginnt die Tiefsee? Die Definition ist in der Wissenschaft und auch rechtlich durchaus uneinheitlich. Für ihre gemeinsame Analyse des Stands der Tiefseeforschung haben sich die Mitglieder der Arbeitsgruppe „Deep Sea and Ocean Health“ des European Marine Board (EMB) auf eine Tiefe ab zweihundert Metern geeinigt. Ab dieser Tiefe dringt kaum noch Sonnenlicht durch das Wasser, und der Lebensraum verändert sich gravierend. Nach dieser Definition macht die Tiefsee rund 90Prozent des Volumens des Ozeans aus. Ihre Bedeutung für die Ökosysteme und die biologische Vielfalt ist also immens. Doch derzeit wächst der Druck auf diese zum Teil noch relativ unberührten Lebensräume unseres Planeten: Menschliche Aktivitäten wie Ölförderung, Fischerei und der potenzielle Bergbau am Meeresboden bedrohen die Ökosysteme der Tiefsee, und auch der Klimawandel wirkt sich negativ aus.

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Die Arbeitsgruppe aus elf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hat nun ihre Analyse zum Thema Tiefsee und Ozeangesundheit mit zehn Empfehlungen vorgelegt. Unter der Leitung von Professorin Doktor Sylvia Sander, Professorin für Marine Mineralische Rohstoffe am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, und Doktor Christian Tamburini vom Mediterranean Institute of Oceanography (MIO) erarbeiteten sie den Bericht, der heute vom EMB im Rahmen eines Webinars vorgestellt wird. Das Dokument unterstreicht unter anderem die Notwendigkeit erheblicher Investitionen in die Tiefseeforschung, um Wissenslücken zu schließen und Informationen für wissenschaftlich fundierte Entscheidungen, beispielsweise über Tiefseebergbau, bereitzustellen.

„Der Ozean ist ein zusammenhängendes System, das von der Küste bis in die tiefsten Tiefen reicht“, betont Sylvia Sander, „und selbstverständlich kann die Tiefsee nicht losgelöst von der photischen – der lichtdurchfluteten – Zone oder dem Meeresboden betrachtet werden.“ Daher seien Tiefseeforschung, -nutzung und -schutz untrennbar mit der Ozeangesundheit verbunden.

Zehn Empfehlungen für nachhaltigen Tiefseeschutz und bessere Zusammenarbeit:

  1. Effektive Regulierung menschlicher Aktivitäten
  2. Einrichtung eines internationalen Komitees für Tiefsee-Nachhaltigkeit
  3. Entwicklung standardisierter Methoden zur Umweltverträglichkeitsprüfung
  4. Förderung transdisziplinärer Forschungsprogramme
  5. Investition in langfristige Tiefsee-Monitoring-Projekte
  6. Vertiefung des Verständnisses globaler Tiefseeprozesse durch groß angelegte, interdisziplinäre Langzeitforschungsprojekte
  7. Forschungsförderung in Bereichen wie Genomsequenzierung und biogeochemischer Prozesse
  8. Aufbau globaler Kapazitäten für Tiefseeforschung
  9. Technologietransfer in unterrepräsentierte Regionen
  10. Implementierung der FAIR-Prinzipien für Tiefsee-Daten


Die Tiefsee: Unverzichtbare Ökosysteme für das Leben auf der Erde

Dass in den dunklen, kalten Tiefen des Meeres, wo extrem hoher Druck herrscht, überhaupt Leben existieren könnte, wurde bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts bezweifelt, als mit dem Beginn der Tiefseeforschung zum ersten Mal dort lebende Organismen entdeckt wurden. Heute weiß die Forschung, dass die Tiefsee eine große Vielfalt an Lebensformen birgt. An Kontinentalhängen, auf den abyssalen Tiefebenen oder an Hydrothermalquellen, den sogenannten „Schwarzen Rauchern“, gibt es komplexe Ökosysteme, über die noch wenig bekannt ist.

Wissenslücken: Vieles ist noch unerforscht

Schätzungsweise neunzig Prozent aller Organismen in der Tiefsee sind noch nicht beschrieben, und ihre Funktionen innerhalb des Ökosystems sind unbekannt. Auch in der physikalischen Ozeanographie gibt es große Lücken, etwa bei der Modellierung von Tiefenströmungen, die entscheidend für den Transport von Nähr- und Schadstoffen sind. In der Geochemie ist unklar, wie biogeochemische Kreisläufe in der Tiefsee durch menschliche Eingriffe wie Tiefseebergbau beeinflusst werden. So ist beispielsweise noch wenig darüber bekannt, wie Sedimentwolken, die durch den Abbau von Manganknollen entstünden, sich ausbreiten und welche langfristigen Folgen sie für die Lebensgemeinschaften am Meeresboden hätten. Schließlich gibt es auch technische Herausforderungen: Viele moderne Sensoren und Monitoring-Systeme sind für extreme Tiefen unzureichend entwickelt, was die Erfassung wichtiger Parameter erschwert. Diese Wissenslücken müssten dringend geschlossen werden, um wissenschaftlich fundierte Entscheidungen für die Tiefseebewirtschaftung zu ermöglichen, mahnen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an.

Die Herausforderung: Bedrohung der Tiefsee durch menschliche Aktivitäten

Was wir allerdings gesichert wissen: Der Ozean, dessen größter Teil die Tiefsee ist, speichert große Mengen Kohlendioxid und Wärme, was zur Minderung des Klimawandels beiträgt. Er spielt eine Schlüsselrolle im globalen Kohlenstoffkreislauf und produziert als „Lunge des Planeten“ mehr als fünfzig Prozent des Sauerstoffs. Störungen in diesen Funktionen könnten gravierende globale Folgen haben. Um den Erhalt dieser Ökosystemdienstleistungen zu sichern, sind fundierte Schutzmaßnahmen und nachhaltige Nutzungsstrategien dringend erforderlich.

Denn die Auswirkungen menschlichen Handelns beeinträchtigen die Tiefsee in vielfacher Hinsicht. Veränderungen, die in menschlichen Zeitskalen schon nicht mehr rückgängig gemacht werden können – wie Erwärmung, Versauerung und Sauerstoffmangel – bedrohen die sensiblen Lebensräume. Gleichzeitig gefährdet die Übernutzung von Fischbeständen und nicht erneuerbarer Ressourcen wie Erdöl, Erdgas und mineralischer Rohstoffe die Biodiversität und Ökosystemfunktionen.

Dringender Handlungsbedarf für die Ozeangesundheit

2025 sei ein entscheidendes Jahr, um Maßnahmen für die Gesundheit des Ozeans zu ergreifen, sind sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einig: Es sei entscheidend, den Kampf gegen den Klimawandel jetzt wirksam anzugehen, um die angestrebten Netto-Null-Emissionen bis zum Jahr 2050 zu erreichen. Sylvia Sander: „Der Klimawandel ist eine der besorgniserregendsten Bedrohungen für unsere Lebensgrundlagen und das Leben auf der Erde überhaupt. Zusammen mit dem Verlust der Artenvielfalt könnte er in naher Zukunft zu erheblichen und irreversiblen Störungen des gesamten Ozeans, einschließlich der Tiefsee und den von Schnee und Eis bedeckten Teilen der Erde, führen.“

Die Rolle der Europäischen Union: Wie Europa den Schutz der Tiefsee vorantreiben kann

Die Arbeitsgruppe betont, dass Europa eine führende Rolle beim internationalen Schutz und der nachhaltigen Bewirtschaftung der Tiefsee übernehmen sollte, insbesondere im Rahmen bestehender internationaler Abkommen.

„Die Europäische Union könnte bei den internationalen Bemühungen um eine bessere Regelung der Tiefseeaktivitäten eine wichtige Rolle spielen“, sagt Sylvia Sander, „dafür braucht es die Einrichtung wissenschaftlicher Ausschüsse für den Tiefseeschutz und die Entwicklung standardisierter Folgenabschätzungen.“

Außerdem fordern die Forschenden eine gesicherte Finanzierung transdisziplinärer Forschung und langfristiger Überwachung. Sylvia Sander: „Wir müssen besser verstehen, wie es dem Ozean geht, um die Tiefsee zu schützen und nachhaltig zu nutzen – wo zeigen sich Veränderungen?“ Dafür brauche es mehr Forschung und Technik. „Außerdem müssen wir unterrepräsentierte Nationen in der Tiefseeforschung mehr unterstützen und die Wissenschaft als Menschenrecht anerkennen. Nur so können wir die Gesundheit des Ozeans und des Planeten für künftige Generationen sichern.“

Quelle: UD/pm
 

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