Haie zwischen Hoffnung und Zerstörung – Mexikos Schutzmaßnahmen gegen drohenden Tiefseebergbau
Während Mexiko nach jahrzehntelanger Verzögerung endlich fünf bedrohte Haiarten im Atlantik unter Schutz stellt, droht den Meeresriesen durch geplanten Tiefseebergbau eine neue existenzielle Gefahr. Die Ozeane stehen vor einer Zerreißprobe zwischen überfälligen Artenschutzmaßnahmen und industriellen Eingriffen in weitgehend unerforschte Lebensräume.
04.11.2025
Es sind Nachrichten, die deutlich machen, wie prekär die Lage der Weltmeere geworden ist. Auf der einen Seite gibt es einen Hoffnungsschimmer: Die mexikanische Regierung hat nach jahrelanger internationaler Kritik endlich nationale Vorschriften zum Schutz bedrohter Haiarten im Atlantik erlassen. Die Shark League, ein Zusammenschluss führender Meeresschutzorganisationen, zeigt sich erleichtert über diesen längst überfälligen Schritt. Doch gleichzeitig rückt eine Bedrohung näher, die das gesamte marine Ökosystem in seinen Grundfesten erschüttern könnte: der industrielle Tiefseebergbau.
Mexiko, eines der bedeutendsten Länder im weltweiten Haifischfang und -handel, hatte sich bereits zwischen 2009 und 2021 im Rahmen der Internationalen Kommission für die Erhaltung der Thunfischbestände im Atlantik zu Schutzmaßnahmen verpflichtet. Erst jetzt werden diese umgesetzt. Die neuen Regelungen betreffen mexikanische Langleinenfischereien, die zwar primär auf Thunfisch zielen, dabei aber regelmäßig Haie als Beifang aus dem Wasser holen. Im Golf von Mexiko, in der Karibik und im gesamten ICCAT-Konventionsgebiet dürfen Fischer nun fünf besonders gefährdete Haiarten nicht mehr an Bord behalten.
Betroffen sind der Großaugen-Fuchshai, der Weißspitzen-Hochseehai, der Kurzflossen-Mako, verschiedene Hammerhai-Arten sowie der Seidenhai. Werden diese Tiere gefangen, müssen sie in bestmöglichem Zustand freigelassen werden. Sonja Fordham, Präsidentin von Shark Advocates International, betont: „Obwohl viel zu spät, haben Mexikos neue Hai-Schutzmaßnahmen das Potenzial, die internationalen Bemühungen zur Erhaltung einiger der am stärksten gefährdeten Arten im Atlantik erheblich zu stärken.“
Die Dimension der Verspätung wird beim Blick auf die Details deutlich. Die meisten der nun in Mexiko geschützten Haiarten wurden bereits vor mehr als einem Jahrzehnt unter den Schutz der ICCAT gestellt. Der Weißspitzen-Hochseehai gilt nach Einschätzung der Weltnaturschutzunion als vom Aussterben bedroht, der Großaugen-Fuchshai ist außergewöhnlich anfällig für Überfischung. Mexiko stand über Jahre hinweg im Fokus der ICCAT-Kontrollkommission, die die Einhaltung der Hai-Schutzmaßnahmen überwacht.
Doch während diese positive Nachricht einen Lichtblick darstellt, verdüstert sich der Horizont durch eine andere Entwicklung dramatisch. In der Tiefsee, jenem weitgehend unerforschten Reich, das mehr als 90 Prozent des Ozeanvolumens umfasst, droht eine industrielle Revolution mit unabsehbaren Folgen. Geplanter Tiefseebergbau könnte nicht nur die direkten Lebensräume am Meeresboden zerstören, sondern das gesamte marine Nahrungsnetz beeinträchtigen – einschließlich der Haipopulationen.
Die Pläne klingen verlockend für die Industrie: Auf dem Meeresboden in bis zu 5.000 Metern Tiefe lagern Manganknollen, die wertvolle Metalle wie Nickel, Kobalt und Kupfer enthalten. Diese Rohstoffe werden für Batterien und Elektronik dringend benötigt. Doch aktuelle Studien aus dem Jahr 2025 offenbaren das wahre Ausmaß der drohenden Katastrophe. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass beim Abbau von Manganknollen massive Sedimentwolken entstehen, die sich über weite Bereiche ausbreiten und noch in großer Entfernung vom Abbaugebiet die Lebensbedingungen am Meeresboden verändern.
Ein Test im sogenannten DISCOL-Gebiet im Pazifik zeigt die Langzeitfolgen deutlich: Schon 1989 wurde dort der Meeresboden auf elf Quadratkilometern umgepflügt. Als Forscher 26 Jahre später zurückkehrten, waren nicht nur die physischen Spuren noch sichtbar, auch die biogeochemischen Bedingungen hatten sich nachhaltig verändert. Das Ökosystem hatte sich nicht erholt. Antje Boetius vom Alfred-Wegener-Institut warnt: Ein kommerzieller Tiefseebergbau würde Hunderte bis Tausende Quadratkilometer Meeresboden pro Jahr betreffen.
Für Haie bedeutet dies eine existenzielle Bedrohung. Die Raubfische sind auf intakte marine Nahrungsketten angewiesen. Viele Haiarten führen weitreichende Wanderungen durch und nutzen dabei auch Tiefseeregionen als Jagdgebiete oder Durchzugskorridore. Eine aktuelle Studie von Greenpeace aus dem Sommer 2025 dokumentiert, dass sich in zwei für den Tiefseebergbau vorgesehenen Gebieten im Pazifik gefährdete Walarten aufhalten. Die massiven Lärmemissionen durch Abbaumaschinen würden nicht nur Wale beeinträchtigen, sondern auch Haie, die auf ihr Gehör zur Orientierung und Beuteerkennung angewiesen sind.
Zudem würden die Sedimentfahnen die Nahrungssysteme der Tiefsee stören. Plankton und kleine Meeresorganismen, die Grundlage der marinen Nahrungskette, könnten durch die Sedimentablagerungen ersticken. Die Folgen würden sich über die gesamte Nahrungskette fortpflanzen und letztlich auch die Haipopulationen treffen, die bereits durch jahrzehntelange Überfischung stark dezimiert sind.
Die Internationale Meeresbodenbehörde arbeitet derzeit an einem Regelwerk für den Tiefseebergbau. Doch Kritiker warnen, dass die wissenschaftlichen Grundlagen für eine fundierte Entscheidung fehlen. Eine Entdeckung aus dem Jahr 2024 unterstreicht diese Bedenken: Forscher fanden heraus, dass Manganknollen in der Tiefsee eine wichtige Rolle bei der Sauerstoffproduktion spielen könnten, selbst in völliger Dunkelheit. Diese Erkenntnis stellt bisherige Annahmen auf den Kopf und zeigt, wie wenig wir über die komplexen Zusammenhänge in der Tiefsee wissen.
Greenpeace-Meeresexperte Till Seidensticker bringt es auf den Punkt: „Man pflügt den Meeresboden um und zerstört damit das komplette Ökosystem. Die Folgen sind unwägbar, weil der Meeresboden in 4.000 bis 5.000 Meter Tiefe kaum erforscht ist.“ Die Wissenslücken sind eklatant: Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 90 Prozent aller Lebewesen in der Tiefsee bisher nicht wissenschaftlich beschrieben sind.
Während 38 Länder mittlerweile ein Moratorium oder eine vorsorgliche Pause für den Tiefseebergbau fordern, treiben andere Akteure die Pläne voran. Nach der Durchführungsverordnung von US-Präsident Trump im April 2025 beantragte das Unternehmen The Metals Company eine einseitige Genehmigung für kommerziellen Abbau in der Clarion-Clipperton-Zone im Pazifik. Deutschland fährt einen widersprüchlichen Kurs: Offiziell fordert die Bundesregierung eine vorsorgliche Pause, doch die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe erforscht weiterhin Abbaumethoden und plant Tests für 2027 oder 2028.
Die Situation verdeutlicht ein fundamentales Dilemma: Während einzelne Erfolge im Artenschutz wie Mexikos Hai-Schutzmaßnahmen Hoffnung geben, könnten industrielle Großprojekte wie der Tiefseebergbau diese Fortschritte zunichtemachen. Die Ozeane sind ein zusammenhängendes System. Was in der Tiefsee geschieht, bleibt nicht ohne Folgen für die oberen Wasserschichten und die Küstenregionen.
Shannon Arnold vom Ecology Action Centre mahnt: „Weil der wirksame internationale Schutz wandernder Arten von Folgemaßnahmen auf nationaler Ebene abhängt, werden wir weiterhin die Lücken in der Einhaltung der Schutzmaßnahmen durch einzelne Länder aufzeigen.“ Diese Worte gelten nicht nur für den Haischutz, sondern auch für die Verhinderung des Tiefseebergbaus. Denn die Haie, die Mexiko nun endlich schützt, brauchen intakte Ozeane – von der Oberfläche bis in die Tiefe.
Mexikos verspäteter, aber wichtiger Schritt zeigt: Artenschutz ist möglich, wenn der politische Wille vorhanden ist. Doch dieser Wille muss sich auch gegen die Verlockungen des Tiefseebergbaus durchsetzen. Die kommenden Monate werden entscheidend sein. Die Internationale Meeresbodenbehörde könnte noch 2025 wegweisende Entscheidungen treffen. Ob diese im Sinne des Artenschutzes ausfallen oder den Weg für eine industrielle Ausbeutung der letzten weitgehend unberührten Lebensräume der Erde ebnen, wird über die Zukunft nicht nur der Haie, sondern der gesamten Meere entscheiden.
Als Spitzenprädatoren spielen Haie eine entscheidende Rolle für das ökologische Gleichgewicht der Ozeane. Ihr Verschwinden hätte weitreichende Folgen für gesamte Nahrungsketten und marine Lebensräume. Der Schutz dieser Tiere kann nur erfolgreich sein, wenn auch ihre Lebensgrundlagen bewahrt bleiben. Ein Ozean, dessen Tiefsee durch industriellen Raubbau zerstört wird, kann keine gesunden Haipopulationen erhalten. Die Entscheidung liegt jetzt bei der Staatengemeinschaft: Wird sie aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und diesmal rechtzeitig handeln, oder wiederholt sich die Geschichte der verspäteten mexikanischen Hai-Schutzmaßnahmen in globalem Maßstab bei der Tiefsee?