Apple: Wie berechtigt sind die Greenwashing-Vorwürfe?
Apple steht in der Kritik: Die als „CO₂-neutral“ beworbene Watch darf nicht mehr so vermarktet werden. Grund sind Aufforstungsprojekte, deren Klimawirkung unsicher ist. Kritiker verweisen auf Monokulturen, kurze Umtriebszeiten und den Verlust der Wirkung, wenn Förderungen enden. Damit rückt Apple in den Mittelpunkt einer Grundsatzfrage: Wie verlässlich sind CO₂-Kompensationen – und wo beginnt Greenwashing, wenn Firmen Neutralität eher mit Zertifikaten als mit echter Vermeidung belegen?
28.08.2025
Apples Umweltversprechen sind groß, die Bilder dazu perfekt: Windräder, recycelte Materialien, ein „bis 2030 klimaneutrales“ Unternehmen. Spätestens seit der Bewerbung bestimmter Watch-Modelle als „CO₂-neutral“ hat der iPhone-Konzern eine Erzählung etabliert, die technische Effizienz und Natur-Kompensation elegant verbindet. Inzwischen holt ihn die Realität ein: Ein Frankfurter Gericht hat Apple untersagt, die Apple Watch in Deutschland weiterhin als „CO₂-neutral“ zu bewerben. Ausschlaggebend war unter anderem, dass sich die Neutralitätsbehauptung auf Aufforstungs- und Plantagenprojekte stützt, deren Klimawirkung und Dauerhaftigkeit nicht hinreichend gesichert seien. Im Fokus stand ein Eukalyptus-Projekt in Paraguay; nur drei Viertel der Flächen sind demnach langfristig bis 2029 vertraglich abgesichert, zudem kritisierte das Gericht ökologische Risiken der Monokultur. Für Apple ist das ein Rückschlag – und für die Debatte über Unternehmensclaims ein Dammbruch.
Auch jenseits Europas wächst der juristische Druck. In den USA klagen Verbraucher gegen die „carbon neutral“-Werbung bei Apple-Uhren und bemängeln, die in China und Kenia generierten Gutschriften hätten keine zusätzliche Emissionsminderung bewirkt – sie wären also auch ohne Apples Geld geflossen. Genau diese Frage der „Additionalität“ ist der Lackmustest jedes Offsetting-Projekts: War die Maßnahme wirklich nur wegen der Finanzierung des Unternehmens möglich, oder wäre sie ohnehin umgesetzt worden? Wenn Letzteres gilt, verpufft der Klimanutzen und die Werbebehauptung gerät ins Wanken. (Reuters)
Apple verweist auf eine andere Reihenfolge: erst harte Vermeidung, dann Restemissionen ausgleichen. Laut eigener Strategie will der Konzern die Emissionen über den gesamten Fußabdruck bis 2030 um 75 Prozent senken und nur verbliebene Restmengen mit „hochwertigen“ Entnahmen, etwa aus Wald- und Feuchtgebietsprojekten, saldieren. Tatsächlich meldete Apple in seinen Fortschrittsberichten bereits deutliche Reduktionen seit 2015. Doch „hochwertig“ ist kein fest definierter Rechtsbegriff, und welche Projekte diesen Anspruch erfüllen, bleibt umstritten – zumal, wenn Holzplantagen mit kurzen Umtriebszeiten beteiligt sind. (Apple)
Dreh- und Angelpunkt der Kritik an Aufforstung als CO₂-Kompensation ist die Unsicherheit über Zeit, Ort und Dauer. Aufforstung speichert Kohlenstoff biologisch – aber nur, solange Bäume stehen, nicht abbrennen, nicht gefällt werden oder beim nächsten Sturm umknicken. Was passiert, wenn Subventionen auslaufen, Pachtverträge enden oder Holzpreise steigen? Dann droht „Permanence-Risk“: Der gespeicherte Kohlenstoff kehrt als CO₂ in die Atmosphäre zurück, während das Zertifikat schon längst verkauft und die Uhr längst beworben ist. Gerade Plantagen sind wirtschaftlichen Zyklen ausgesetzt; wird das Holz frühzeitig geerntet, verschiebt sich der Speicher-Effekt in die Zukunft oder löst sich auf.
Hinzu kommt „Leakage“: Wird eine Fläche für Aufforstung reserviert, kann landwirtschaftliche Nutzung in andere Regionen verdrängt werden, wo dann neue Emissionen entstehen. So kippt die Bilanz – auch wenn das einzelne Projekt sauber wirkt. Die Forschung und NGO-Analysen warnen seit Jahren vor systematischen Überschätzungen der Klimawirkung vieler Natur-Offsets. Berichte kritisieren insbesondere Wald- und Schutzprojekte, die Emissionsminderungen postulieren, ohne Baselines robust zu belegen oder soziale Konflikte ausreichend zu berücksichtigen. Wo Kleinbauern Flächen verlieren und Monokulturen Biodiversität verdrängen, lässt sich Klimaschutz kaum glaubwürdig vermarkten.
Damit ist die Debatte keine Apple-Spezialität, sondern ein Testfall für eine Branche, die gerne mit dem Begriff „Netto-Null“ wirbt. Bei Produkten verschärft sich das Problem: Wer ein einzelnes Gerät als „CO₂-neutral“ labelt, suggeriert Nullwirkung – obwohl Herstellung, Logistik und Nutzung real Emissionen erzeugen und ein nicht-trivialer Teil der behaupteten Neutralität aus Kompensationen stammt. Fachleute kritisieren seit der ersten „CO₂-neutralen“ Apple Watch, dass eine Mischung aus Effizienzgewinnen und Zertifikaten am Ende zwar Emissionen senken kann, aber nie das physische Faktum aushebelt, dass ein neues Produkt Ressourcen verbraucht. Die juristische Linie in Europa ist ebenfalls im Fluss: Pauschale „klimaneutral“-Claims ohne harte, nachprüfbare Grundlage geraten zusehends unter regulatorischen Druck – auch das hat das Frankfurter Urteil vorgezeichnet.
Was folgt daraus? Erstens: Vermeidung schlägt Kompensation. Saubere Energie in der Lieferkette, langlebigere Designs, Reparierbarkeit und zirkuläre Materialien bringen robuste, überprüfbare Effekte – und brauchen keine Annahmen über Waldwachstum in weit entfernten Regionen. Zweitens: Wenn Kompensation unvermeidlich bleibt, muss sie die strengsten Kriterien der Klimawissenschaft erfüllen: zusätzliche Wirkung, dauerhafte Bindung über Jahrzehnte, unabhängige Überwachung und ein glaubwürdiger Puffer für Verluste. Drittens: Kommunikation muss den Graubereich benennen. Wer Restemissionen ausgleicht, sollte genau das sagen – und nicht „Null“ versprechen. Apple hat in Teilen seiner Dokumente eine differenzierte Sprache gewählt, die Priorität auf Vermeidung legt. Der Konflikt entsteht dort, wo Marketing die Nuancen glättet und Gerichte und Verbraucher prüfen, ob eine griffige Behauptung mehr verspricht, als Projekte wirklich halten können.
Für Apple ist der Moment heikel, aber nicht ohne Chance. Der Konzern hat die Macht, Lieferketten schneller auf erneuerbare Energien umzustellen, Materialien konsequenter zu recyceln und Geräte so zu bauen, dass sie länger genutzt und besser repariert werden. Wenn die Kommunikation künftig nüchtern erklärt, was bereits messbar reduziert wurde und was – transparent belegt – vorübergehend kompensiert wird, könnte aus dem Greenwashing-Vorwurf ein Katalysator für bessere Klimastrategien werden. Das Frankfurter Urteil zeigt, dass Europa die Latte höher legt. Ob Apple und andere Tech-Konzerne darüber springen, entscheidet sich nicht in Plantagen, sondern in Fabriken, Rechenzentren und Designstudios – und in der Ehrlichkeit ihrer Claims.