Wohnen zwischen Klimakrise, Kostenexplosion und neuen Lebensformen
Kaum ein Feld ist so zentral für das Nachhaltigkeitsziel SDG 11 wie das Wohnen. Der Immobilienmarkt prägt nicht nur das Bild der Städte, sondern entscheidet auch über Inklusion, Klimaschutz und soziale Teilhabe. Steigende Preise, knapper Wohnraum und wachsende soziale Spannungen verdeutlichen, dass nachhaltige Stadtentwicklung längst mehr ist als ein planerisches Ideal.
01.09.2025
Klimakrise trifft Wohnungsnot
Der Gebäudesektor verursacht weltweit 37 Prozent der CO2-Emissionen – und zugleich wächst der Druck, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. „Bis 2050 muss der gesamte Gebäudebestand in Deutschland klimaneutral werden“, mahnen die Autoren Hildebrandt und Krieger im Sachbuch „Zukunft Stadt: Die globale und lokale Bedeutung von SDG 11“. Die Herausforderung ist doppelter Natur: Einerseits explodieren Bau- und Bodenpreise, andererseits erfordert die Klimakrise eine radikale Bauwende mit ressourcenschonenden Materialien und energetischer Sanierung. Ohne Umbau der Finanzierungs- und Förderpolitik bleibt vieles jedoch Stückwerk
Innenstädte als Experimentierräume
Das zeigen Praxisbeispiele von Krieger + Schramm. In Darmstadt entstand auf dem Gelände eines alten Verwaltungsgebäudes ein modernes Studentenwohnheim – ein Projekt, das 1.500 Tonnen Schutt und Altlasten barg, aber zugleich neuen, gesunden Wohnraum schuf. In Oberursel wiederum gelang sozialer Wohnungsbau mit hoher architektonischer Qualität – möglich nur durch gezielte Förderung und das Zusammenspiel vieler Akteure. „Die erfolgreiche Zusammenarbeit zeigt, dass bezahlbarer Wohnraum mit hoher Wohnqualität kein Widerspruch sein muss“, resümiert Matthias Krieger, Geschäftsführer von Krieger + Schramm.
Downsizing und Tiny Houses
Neben großen Projekten gewinnen auch kleinteilige Ansätze an Bedeutung. Alexandra Hildebrandt beschreibt in ihrem Beitrag den Trend zum Downsizing und die Tiny-House-Bewegung. Sie sei nicht nur Ausdruck steigender Mieten, sondern auch einer Suche nach einem reduzierten, selbstbestimmten Leben: „Minimalismus ist eine Chance, das eigene Leben wieder in den Griff zu bekommen und innere Autonomie zu erlangen“. Städte wie Berlin, Bremerhaven oder München experimentieren mit Tiny-House-Siedlungen auf Brachflächen. Der Ökonom Ernst Friedrich Schumacher hatte schon 1973 mit „Small is beautiful“ für eine Rückkehr zum menschlichen Maß geworben – eine Vision, die heute erstaunlich aktuell wirkt.
Experiment mit Wohnen
Besonders eindrücklich schildert die Autorin Anne Weiss ihren Selbstversuch: Sie lebte in Smarthomes, Tiny Houses, Jurten, Ökodörfern und Mehrgenerationenprojekten. Ihre Bilanz ist eindeutig: „Nachhaltig ist etwas nur, wenn alle mitgedacht sind. Menschen mit weniger Einkommen leiden stärker unter der Klimakrise, obwohl sie am wenigsten dafür verantwortlich sind“. Sie fordert ein Abrissmoratorium und plädiert für gemeinschaftliche Wohnformen, die Ressourcen sparen und soziale Isolation verhindern.
Fazit: Wohnen als Schlüssel zur Transformation
Ob Großprojekt oder Tiny House – die Zukunft des Wohnens entscheidet sich an der Schnittstelle von Ökologie, Ökonomie und sozialem Ausgleich. Nachhaltige Bauweise, innovative Finanzierungsmodelle und gemeinschaftliche Wohnformen können dazu beitragen, SDG 11 mit Leben zu füllen. Doch der Weg ist weit. „Wenn wir sinnvoll wirtschaften wollen, müssen wir Gebäudewirtschaft und Mobilität sozial und emissionsarm denken – von der Wiege bis zur Bahre“, so Weiss. Der Immobilienmarkt bleibt damit eines der zentralen Schlachtfelder der Transformation – und zugleich ein Feld voller Chancen für neue, lebenswerte Formen des Zusammenlebens.
Alexandra Hildebrandt · Matthias Krieger · Peter Bachmann
(Hrsg.):
Zukunft Stadt: Die globale und lokale Bedeutung von SDG 11
Wie die sozialökologische Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft gelingen kann. Handlungsempfehlungen – Chancen – Entwicklungen
ISBN 978-3-662-70007-5
Frankfurt 2025