EU Reporting

Wie der Omnibus-Prozess den EU-Green-Deal auf leisen Sohlen zurückdreht

Hinter dem Ziel des Bürokratieabbaus formiert sich in Brüssel ein machtvoller Kurswechsel: Der sogenannte Omnibus-Vorschlag soll ESG-Regeln wie die CSRD und CSDDD „vereinfachen“. Doch Kritiker warnen vor einer systematischen Aushöhlung rechtsstaatlicher Grundprinzipien – und einem politisch motivierten Rückbau europäischer Nachhaltigkeitsstandards.

25.06.2025

Wie der Omnibus-Prozess den EU-Green-Deal auf leisen Sohlen zurückdreht

1. Vom Bürokratieabbau zum Systemwandel

Was als technokratisches Projekt zur Vereinfachung von EU-Rechtsvorschriften begann, entwickelt sich zunehmend zum politischen Sprengsatz: Der „Omnibus“-Vorschlag, mit dem die Europäische Kommission eine Reihe von ESG-Vorgaben wie die CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) und die CSDDD (Corporate Sustainability Due Diligence Directive) überarbeiten will, gerät in die Kritik – und das gleich aus mehreren Richtungen: rechtlich, prozedural und inhaltlich.

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Der offizielle Zweck: kleine und mittlere Unternehmen entlasten, Doppelregulierungen abbauen und die Komplexität von Berichtspflichten senken. Doch faktisch sollen zentrale Verpflichtungen für Tausende Unternehmen abgeschwächt oder gestrichen werden. So bestätigte ein Sprecher des EU-Berichterstatters Jörgen Warborn, dass künftig wohl nur noch Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden von der CSRD und CSDDD betroffen sein sollen – eine drastische Verkleinerung des Anwendungsbereichs mit erheblichen Folgen für Lieferkettentransparenz, Klimaberichterstattung und menschenrechtliche Sorgfalt.

2. Rechtliche Risiken: Rückschritt ohne Verhältnismäßigkeit?

Juristische Fachleute weisen darauf hin, dass der Omnibus-Prozess an fundamentale Prinzipien des EU-Rechts rührt. So darf laut EU-Charta und Europäischer Menschenrechtskonvention einmal eingeführter Grundrechtsschutz nur dann eingeschränkt werden, wenn Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit nachgewiesen sind. Eine solche Abwägung hat im Fall des Omnibus bisher nicht stattgefunden. Die Folge: mögliche Rechtsunsicherheit und neue Angriffsflächen für Klagen.

Ein Vergleich mit der 2014 gekippten Vorratsdatenspeicherung liegt nahe. Auch hier hatte der Europäische Gerichtshof moniert, dass Grundrechte ohne ausreichende Prüfung eingeschränkt worden waren. Sollte der Omnibus ähnliche Schwächen aufweisen, könnte er vor Gericht ebenfalls scheitern – mit unabsehbaren Folgen für die Glaubwürdigkeit der EU-Gesetzgebung.

3. Politische Beschleunigung auf Kosten der Substanz

Laut Recherchen von POLITICO wurde die technische Expertise im Prozess bewusst zurückgedrängt. Die zuständigen Fachgruppen wurden entmachtet, Expertendiskussionen unterbunden. Ziel: Tempo vor Tiefe. Die Antici-Gruppe des Rates – eine Verwaltungseinheit mit primär politischem Auftrag – übernahm die Steuerung, ohne dass eine ordentliche Folgenabschätzung oder öffentliche Konsultation stattfand. Selbst die EU-Bürgerbeauftragte hat inzwischen eine Untersuchung gegen die Kommission eingeleitet – wegen möglicher Verstöße gegen die eigenen Leitlinien für „bessere Rechtsetzung“.

Der Vorwurf: überstürzte Verfahren, fehlende Transparenz und eine politische Agenda, die komplexe ESG-Materie auf ein Minimum reduziert – ohne belastbare Evidenz für den angeblichen Erleichterungseffekt.

4. Tiefere Dynamik: Bürokratieabbau als Deckmantel für Deregulierung

Der Omnibus ist kein Einzelfall. In ganz Europa mehren sich die Anzeichen für eine systematische Neuausrichtung der Nachhaltigkeitspolitik. Unter dem Schlagwort „Bürokratieabbau“ geraten zentrale Green-Deal-Instrumente unter Druck:

  • In Deutschland wurde das nationale Lieferkettengesetz entschärft.
  • Frankreich forderte eine „regulatorische Pause“.
  • Die EVP-Fraktion attackiert die geplante Green Claims Directive – das Vorhaben, Greenwashing durch verbindliche Nachweispflichten zu unterbinden.

Dieser Trend folgt einem neuen politischen Reflex: Nachhaltigkeitsregeln werden zunehmend als Wettbewerbshemmnis gelesen – nicht mehr als strategischer Ordnungsrahmen für eine gerechte Transformation. Die Folgen sind gravierend: Weniger verpflichtende ESG-Standards bedeuten mehr Spielraum für Intransparenz, Greenwashing und unternehmerische Beliebigkeit.

5. Vertrauen statt Verzicht: Der eigentliche Auftrag

Wie es anders gehen könnte, zeigt die Perspektive von Wissenschaftlern wie Andreas Rasche (CBS). Für ihn liegt das eigentliche Problem nicht in der Komplexität der ESG-Regulierung, sondern im mangelnden Verständnis für ihren Zweck. Nachhaltigkeitsgesetze wie die CSRD oder CSDDD seien nie ausreichend vermittelt worden. Das Resultat: extrinsische Ablehnung statt intrinsischer Akzeptanz.

Der Omnibus könnte – statt ESG-Vorgaben zu verwässern – zum Anlass werden, den normativen Kern dieser Regelungen neu zu erklären. Warum sind Transparenz, Sorgfalt und Rechenschaftspflicht nicht nur politische Zumutung, sondern ökonomisch sinnvolle Standards? Warum geht es nicht um „Reporting um des Reportings willen“, sondern um das Fundament zukunftsfähiger Unternehmensführung?

Fazit: Der Omnibus ist mehr als ein technisches Korrekturpaket

Er ist ein Prüfstein für die Zukunft der europäischen Nachhaltigkeitspolitik. Es steht nicht nur zur Debatte, wie viel Bürokratie Unternehmen zumutbar ist – sondern ob Europa bereit ist, Nachhaltigkeit als verbindliches Prinzip wirtschaftlichen Handelns zu sichern. Zwischen Geschwindigkeit und Sorgfalt, Vereinfachung und Substanz entscheidet sich die Richtung: Green Deal oder Rückwärtsgang?

Quelle: UD
 

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