EU Reporting

Was steht drin in den neuen Simplified ESRS?

Lang und langweilig – die Lektüre der ersten Nachhaltigkeitsberichte nach ESRS war schwer zu verdauen. Nun rudert die EU zurück: 60 Prozent weniger Datenpunkte, klarere Strukturen und mehr Fokus auf das Wesentliche. Doch die eigentliche Veränderung steckt im Detail.

15.12.2025

Was steht drin in den neuen Simplified ESRS?

Die Ernüchterung kam schnell. Als Anfang 2025 die ersten Nachhaltigkeitsberichte nach den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) veröffentlicht wurden, war die Reaktion eindeutig: zu lang, zu sperrig, zu kompliziert. Im Durchschnitt umfassten die Berichte 127 Seiten, gefüllt mit akribisch erhobenen Daten in einem engen regulatorischen Korsett. Was eigentlich Transparenz schaffen sollte, führte zu Information Overload. Selbst erfahrene Leser verloren den Überblick, und die eigentlichen Kernbotschaften gingen im Dickicht der Vorschriften unter.

Die Kritik blieb nicht ungehört. Die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) hat nun mit den sogenannten „Simplified ESRS“ reagiert und einen Neustart gewagt. Das Ergebnis ist radikal: Die Seitenzahl der Standards schrumpft von 257 Seiten auf 156 Seiten, die Anzahl der geforderten Datenpunkte reduziert sich um 60 Prozent. Doch hinter diesen Zahlen verbirgt sich weit mehr als nur eine kosmetische Verschlankung. Es ist der Versuch, einen fundamentalen Zielkonflikt der Nachhaltigkeitsberichterstattung aufzulösen.

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Dieser Zielkonflikt prägte die ersten Berichte maßgeblich. Auf der einen Seite stand der Anspruch, die Informationsbedürfnisse der Adressaten umfassend zu befriedigen. Investoren, Analysten und andere Stakeholder sollten alle relevanten Nachhaltigkeitsinformationen erhalten. Auf der anderen Seite standen die berichtenden Unternehmen, die unter der Last der Anforderungen ächzten. Im ersten Jahr dominierte klar das Compliance-Denken: Hauptsache alle Pflichten erfüllen, egal wie leserfreundlich das Ergebnis ausfällt.

Die neuen Standards setzen nun einen anderen Schwerpunkt. Im Zentrum steht das Konzept der „Fair Presentation“, ein Prinzip, das aus der Finanzberichterstattung bekannt ist und nun erstmals explizit in die Nachhaltigkeitsberichterstattung übertragen wurde. Fair Presentation bedeutet, ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild zu vermitteln – und zwar eines, das für die Adressaten entscheidungsrelevant ist. Eine Information ist dann entscheidungsrelevant, wenn ihr Weglassen, ihre falsche Darstellung oder ihre Verschleierung durch andere Informationen die Entscheidungen der Leser beeinflussen würde.

Dieses Prinzip mag abstrakt klingen, hat aber konkrete Konsequenzen. Unternehmen erhalten nun ein regelrechtes Toolkit, um ihre Berichterstattung zu fokussieren. Der sogenannte „Materiality Filter“ ermöglicht es, nicht automatisch alle geforderten Angaben zu übernehmen, sondern diese auf Entscheidungsrelevanz zu prüfen. Was für Leser nicht wesentlich ist, muss auch nicht berichtet werden – selbst wenn der Standard es prinzipiell vorsieht. Das war zwar theoretisch auch in den bisherigen Standards angelegt, wurde aber in der Praxis kaum genutzt, weil die Unternehmen im ersten Jahr auf Nummer sicher gehen wollten.

Gleichzeitig gilt aber auch die Kehrseite: Fair Presentation bedeutet nicht nur Reduktion, sondern kann auch Ergänzung erfordern. Wenn ein Unternehmen nach Abarbeitung aller Standardanforderungen feststellt, dass wesentliche Aspekte fehlen, um ein vollständiges Bild zu vermitteln, muss es zusätzliche, unternehmensspezifische Informationen bereitstellen. Dieses Instrument der „Entity Specific Considerations“ gab es zwar schon, wird nun aber explizit in das Fair Presentation-Konzept eingebettet.

Auch strukturell eröffnen sich neue Möglichkeiten. Unternehmen dürfen nun ein „Executive Summary“ voranstellen, in dem die wichtigsten Punkte komprimiert dargestellt werden. Umgekehrt können sehr detaillierte methodische Erläuterungen in einen Anhang verschoben werden, damit der Lesefluss im Hauptteil nicht gestört wird. Das Ziel ist klar: Die entscheidungsrelevanten Informationen sollen hervorstechen, nicht in einem Meer von Details untergehen.

Besonders weitreichend sind die Änderungen bei der „Double Materiality Assessment“, der Wesentlichkeitsanalyse. Diese bestimmt, welche Nachhaltigkeitsthemen überhaupt in den Bericht aufgenommen werden müssen. Bisher galt sie als besonders aufwendig und komplex. Die EFRAG führt nun einen Top-down-Ansatz ein: Im ersten Schritt sollen Unternehmen auf Basis einer gesunden Menschenverstandsanalyse ihrer Strategie, ihres Geschäftsmodells, ihres Sektors und ihrer lokalen Tätigkeiten ermitteln, welche Themen ganz klar wesentlich und welche eindeutig unwesentlich sind.

Nur für die Grenzfälle, die sogenannten „Close Calls“, ist dann eine detaillierte Bewertung der einzelnen Impacts, Risiken und Chancen nach dem bisherigen Bewertungsschema notwendig. Das bedeutet: Die „Severity“-Konzepte müssen nicht mehr für jedes Thema bis zur letzten Instanz durchdekliniert und dokumentiert werden. Diese Vereinfachung dürfte den Aufwand für viele Unternehmen erheblich reduzieren.

Interessant ist auch die neue Definition positiver Impacts. Die EFRAG hat beobachtet, dass viele Unternehmen in ihren ersten Berichten als positive Impacts auswiesen, was eigentlich nur Maßnahmen zur Minderung eigener negativer Impacts waren. Die neue Definition stellt klar: Ein positiver Impact ist nur dann einer, wenn er über die Behebung selbst verursachter Schäden hinausgeht. Diese Präzisierung dürfte in vielen Berichten zu Anpassungen führen.

Kontrovers diskutiert wurde auch die Frage, ob mitigierende Maßnahmen bei der Wesentlichkeitsbewertung berücksichtigt werden dürfen – das sogenannte „Net versus Gross Assessment“. Bei tatsächlichen Impacts besteht mittlerweile Konsens, dass nach Maßnahmen bewertet werden soll, alles andere würde zu hypothetischen Konstellationen führen. Bei potenziellen negativen Impacts erlaubt die EFRAG nun, bereits implementierte Maßnahmen zu berücksichtigen. Allerdings gibt es ein wichtiges Korrektiv: Selbst effektiv geminderte Impacts müssen berichtet werden, wenn sie für die Leser so entscheidungsrelevant sind, dass ihr Weglassen zu Fehlentscheidungen führen könnte.

Für Unternehmen ergeben sich daraus klare Handlungsempfehlungen. Diejenigen, die bereits nach ESRS berichtet haben, sollten Umfang und Aufbau ihrer Berichte grundlegend überprüfen. Welche Kernbotschaften sollen transportiert werden? Welche Themen sind wirklich wesentlich? Wie zieht sich ein roter Faden durch den Bericht? Die Vereinfachungen bieten die Chance, aus dem Compliance-Modus in einen echten Kommunikationsmodus zu wechseln.

Unternehmen, die erst 2026 erstmals berichten müssen, haben den Vorteil, von Anfang an strategischer vorgehen zu können. Sie sollten den roten Faden und die Struktur von Beginn an mitdenken und konsequent auf ihre strategischen Ziele und wesentlichen Themen fokussieren. Ein guter Gradmesser ist dabei stets die Frage: Ist das, was wir gerade schreiben, für die Leser und das Unternehmen selbst entscheidungsrelevant?

Doch bei aller Euphorie über die Vereinfachung drängt sich eine kritische Frage auf: Wird hier nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet? Die Reduktion um 60 Prozent der Datenpunkte klingt nach Befreiung, bedeutet aber auch einen massiven Verlust an Informationstiefe. Was die EFRAG als die „am wenigsten relevanten Datenpunkte“ bezeichnet, könnte für spezialisierte Investoren oder NGOs durchaus von Bedeutung sein. Die Granularität, die nun verschwindet, war oft gerade das, was detaillierte Analysen und Vergleiche erst ermöglichte.

Besonders bedenklich ist die Verschiebung vieler Anforderungen in die „Non-Mandatory Implementation Guidance“. Was als Flexibilisierung verkauft wird, ist im Grunde eine Zwei-Klassen-Berichterstattung: Unternehmen, die sich Mühe geben, werden weiterhin umfassend berichten. Andere nutzen die Vereinfachung als Feigenblatt, um mit Minimalaufwand durchzukommen. Die Vergleichbarkeit der Berichte, ein Kernziel der Standardisierung, droht damit wieder verloren zu gehen.

Auch der neue Top-down-Ansatz bei der Wesentlichkeitsanalyse birgt Risiken. Die „gesunde Menschenverstandsanalyse“ klingt pragmatisch, öffnet aber Tür und Tor für Beliebigkeit. Was für das Management auf den ersten Blick unwesentlich erscheint, kann für Betroffene existenziell sein. Gerade bei Lieferkettenthemen oder lokalen Umweltauswirkungen besteht die Gefahr, dass Unternehmen unangenehme Themen nun leichter als „eindeutig unwesentlich“ einstufen können, ohne die detaillierte Bewertung durchlaufen zu müssen.

Das Fair Presentation-Konzept ist zudem ein zweischneidiges Schwert. Theoretisch soll es zu fokussierteren, relevanteren Berichten führen. Praktisch gibt es Unternehmen jedoch einen Freibrief, missliebige Informationen unter dem Deckmantel der Entscheidungsrelevanz wegzulassen. Wer entscheidet, was entscheidungsrelevant ist? Das Management selbst. Die Prüfer werden zwar ein Auge darauf haben, aber die Spielräume sind erheblich gewachsen.

Die „Simplified ESRS“ markieren damit einen ambivalenten Wendepunkt. Sie reagieren auf reale Probleme der ersten Berichtsgeneration und bieten Unternehmen mehr Gestaltungsspielraum. Doch dieser Spielraum kann sowohl für bessere Kommunikation als auch für Greenwashing genutzt werden. Nach einem Jahr der Überforderung droht nun die Gefahr der Unterforderung. Die Balance zwischen Aufwand und Aussagekraft, zwischen Standardisierung und Flexibilität bleibt prekär. Ob die Vereinfachung am Ende zu mehr Transparenz oder nur zu bequemeren Berichten führt, wird sich erst zeigen, wenn die Stakeholder die nächste Generation der Nachhaltigkeitsberichte kritisch unter die Lupe nehmen.

Quelle: UD
 

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